Sie war nicht
geistreich, aber aufmerksam sinnig. Wahrhaft vornehme Formen. Ich
meine nicht die gewöhnliche, steife, negative Vornehmheit, die
genau weiß, was unterlassen werden muß; sondern jene seltnere,
freie, positive Vornehmheit, die uns genau sagt, was wir thun
dürfen, und die uns, bei aller Unbefangenheit, die höchste
gesellige Sicherheit giebt. Ich entwickelte, zu meiner eigenen
Verwunderung, viele geographische Kenntnisse, nannte der
wißbegierigen Schönen alle Namen der Städte, die vor uns lagen,
suchte und zeigte ihr dieselben auf meiner Landkarte, die ich über
den Steintisch, der in der Mitte der Turmplatte steht, mit echter
Docentenmiene ausbreitete. Manche Stadt konnte ich nicht finden,
vielleicht weil ich mehr mit den Fingern suchte, als mit den Augen,
die sich unterdessen auf dem Gesicht der holden Dame orientierten,
und dort schönere Partieen fanden, als »Schierke« und »Elend«.
Dieses Gesicht gehörte zu denen, die nie reizen, selten entzücken,
und immer gefallen. Ich liebe solche Gesichter, weil sie mein
schlimmbewegtes Herz zur Ruhe lächeln. Die Dame war noch
unverheiratet; obgleich schon in jener Vollblüte, die zum Ehestande
hinlänglich berechtigt. Aber es ist ja eine tägliche Erscheinung,
just bei den schönsten Mädchen hält es so schwer, daß sie einen
Mann bekommen. Dies war schon im Altertum der Fall, und, wie
bekannt ist, alle drei Grazien sind sitzen geblieben.
In welchem Verhältnis der kleine Herr, der die Damen begleitete,
zu denselben stehen mochte, konnte ich nicht erraten. Es war eine
dünne, merkwürdige Figur. Ein Köpfchen, sparsam bedeckt mit grauen
Härchen, die über die kurze Stirn bis an die grünlichen
Libellenaugen reichten, die runde Nase weit hervortretend, dagegen
Mund und Kinn sich wieder ängstlich nach den Ohren zurück ziehend.
Dieses Gesichtchen schien aus einem zarten, gelblichen Thone zu
bestehen, woraus die Bildhauer ihre ersten Modelle kneten; und wenn
die schmalen Lippen zusammen kniffen, zogen sich über die Wangen
einige tausend halbkreisartige, feine Fältchen. Der kleine Mann
sprach kein Wort, und nur dann und wann, wenn die ältere Dame ihm
etwas Freundliches zuflüsterte, lächelte er wie ein Mops, der den
Schnupfen hat.
Jene ältere Dame war die Mutter der jüngern, und auch sie besaß
die vornehmsten Formen. Ihr Auge verriet einen krankhaft
schwärmerischen Tiefsinn, um ihren Mund lag strenge Frömmigkeit,
doch schien mir's, als ob er einst sehr schön gewesen sei, und
viel gelacht und viele Küsse empfangen und viele erwidert habe. Ihr
Gesicht glich einem Kodex palimpsestus, wo unter der neuschwarzen
Mönchsschrift eines Kirchenvatertextes die halberloschenen Verse
eines altgriechischen Liebesdichters hervorlauschen. Beide Damen
waren mit ihrem Begleiter dieses Jahr in Italien gewesen und
erzählten mir allerlei Schönes von Rom, Florenz und Venedig. Die
Mutter erzählte viel von den Raphaelschen Bildern in der
Peterskirche; die Tochter sprach mehr von der Oper im Theater
Fenice. Beide waren entzückt von der Kunst der Improvisatoren.
Nürnberg war der Damen Vaterstadt; doch von dessen altertümlicher
Herrlichkeit wußten sie mir wenig zu sagen. Die holdselige Kunst
des Meistergesangs, wovon uns der gute Wagenseil die letzten Klänge
erhalten, ist erloschen, und die Bürgerinnen Nürnbergs erbauen sich
an welschem Stegreifunsinn und Kapaunengesang. O Sankt Sebaldus,
was bist du jetzt für ein armer Patron!
Derweil wir sprachen, begann es zu dämmern; die Luft wurde noch
kälter, die Sonne neigte sich tiefer, und die Turmplatte füllte
sich mit Studenten, Handwerksburschen und einigen ehrsamen
Bürgersleuten, samt deren Ehefrauen und Töchtern, die alle den
Sonnenuntergang sehen wollten. Es ist ein erhabener Anblick, der
die Seele zum Gebet stimmt. Wohl eine Viertelstunde standen alle
ernsthaft schweigend, und sahen, wie der schöne Feuerball im Westen
allmählich versank; die Gesichter wurden vom Abendrot angestrahlt,
die Hände falteten sich unwillkürlich; es war, als ständen wir,
eine stille Gemeinde, im Schiffe eines Riesendoms, und der Priester
erhöbe jetzt den Leib des Herrn, und von der Orgel herab ergösse
sich Palestrina's ewiger Choral.
Während ich so in Andacht versunken stehe, höre ich, daß neben
mir jemand ausruft: »Wie ist die Natur doch im allgemeinen so
schön!« Die Worte kamen aus der gefühlvollen Brust meines
Zimmergenossen, des jungen Kaufmanns. Ich gelangte dadurch wieder
zu meiner Werkeltagsstimmung, war jetzt imstande, den Damen über
den Sonnenuntergang recht viel Artiges zu sagen, und sie ruhig, als
wäre nichts passiert, nach ihrem Zimmer zu führen. Sie erlaubten
mir auch, sie noch eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde selbst,
drehte sich unsre Unterhaltung um die Sonne. Die Mutter äußerte,
die in Nebel versinkende Sonne habe ausgesehen wie eine rotglühende
Rose, die der galante Himmel herabgeworfen in den
weitausgebreiteten, weißen Brautschleier seiner geliebten Erde. Die
Tochter lächelte und meinte, der öftere Anblick solcher
Naturerscheinungen schwäche ihren Eindruck. Die Mutter berichtigte
diese falsche Meinung durch eine Stelle aus Goethe's
Reisebriefen, und frug mich, ob ich den Werther gelesen? Ich
glaube, wir sprachen auch von Angorakatzen, etruskischen Vasen,
türkischen Shawls, Maccaroni und Lord Byron, aus dessen Gedichten
die ältere Dame einige Sonnenuntergangsstellen, recht hübsch
lispelnd und seufzend, recitierte. Der jüngern Dame, die kein
Englisch verstand und jene Gedichte kennen lernen wollte, empfahl
ich die Übersetzungen meiner schönen, geistreichen Landsmännin, der
Baronin Elise von Hohenhausen; bei welcher Gelegenheit ich nicht
ermangelte, wie ich gegen junge Damen zu thun pflege, über Byrons
Gottlosigkeit, Lieblosigkeit, Trostlosigkeit, und der Himmel weiß
was noch mehr, zu eifern.
Nach diesem Geschäfte ging ich noch auf dem Brocken spazieren;
denn ganz dunkel wird es dort nie. Der Nebel war nicht stark, und
ich betrachtete die Umrisse der beiden Hügel, die man den
Hexenaltar und die Teufelskanzel nennt. Ich schoß meine Pistolen
ab, doch es gab kein Echo.
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