Der Schweizer
sagte: »Nu! nu!« Doch je beschwichtigender er dieses sagte, desto
eifriger ging der Greifswalder ins Geschirr. Dieser war ein Mann
aus jenen Zeiten, als die Läuse gute Tage hatten und die Friseure
zu verhungern fürchteten. Er trug herabhängend langes Haar, ein
ritterliches Barett, einen schwarzen altdeutschen Rock, ein
schmutziges Hemd, das zugleich das Amt einer Weste versah, und
darunter ein Medaillon mit einem Haarbüschel von Blüchers Schimmel.
Er sah aus wie ein Narr in Lebensgröße. Ich mache mir gern einige
Bewegung beim Abendessen, und ließ mich daher von ihm in einen
patriotischen Streit verflechten. Er war der Meinung, Deutschland
müsse in achtunddreißig Gauen geteilt werden. Ich hingegen
behauptete, es müßten achtundvierzig sein, weil man alsdann ein
systematischeres Handbuch über Deutschland schreiben könne, und es
doch notwendig sei, das Leben mit der Wissenschaft zu verbinden.
Mein Greifswalder Freund war auch ein deutscher Barde, und, wie er
mir vertraute, arbeitete er an einem Nationalheldengedicht zur
Verherrlichung Hermanns und der Hermannsschlacht. Manchen
nützlichen Wink gab ich ihm für die Anfertigung dieses Epos. Ich
machte ihn darauf aufmerksam, daß er die Sümpfe und Knüppelwege des
Teutoburger Waldes sehr onomatopöisch durch wässrige und holprige
Verse andeuten könne, und daß es eine patriotische Feinheit wäre,
wenn er den Varus und die übrigen Römer lauter Unsinn sprechen
ließe. Ich hoffe, dieser Kunstkniff wird ihm, eben so erfolgreich
wie andern Berliner Dichtern, bis zur bedenklichsten Illusion
gelingen.
An unserem Tische wurde es immer lauter und traulicher, der Wein
verdrängte das Bier, die Punschbowlen dampften, es wurde getrunken,
smoliert und gesungen. Der alte Landesvater und herrliche Lieder
von W. Müller, Rückert, Uhland u. s. w. erschollen.
Schöne Methfesselsche Melodien. Am allerbesten erklangen unseres
Arndts deutsche Worte: »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der
wollte keine Knechte!« Und draußen brauste es, als ob der alte Berg
mitsänge, und einige schwankende Freunde behaupteten sogar, er
schüttle freudig sein kahles Haupt, und unser Zimmer werde dadurch
hin und her bewegt. Die Flaschen wurden leerer und die Köpfe
voller. Der eine brüllte, der andere fistulierte, ein dritter
deklamierte aus der »Schuld«, ein vierter sprach Latein, ein
fünfter predigte von der Mäßigkeit, und ein sechster stellte sich
auf den Stuhl und docierte: »Meine Herren! Die Erde ist eine runde
Walze, die Menschen sind einzelne Stiftchen darauf, scheinbar
arglos zerstreut; aber die Walze dreht sich, die Stiftchen stoßen
hier und da an und tönen, die einen oft, die andern selten, das
giebt eine wunderbare, komplizierte Musik, und diese heißt
Weltgeschichte. Wir sprechen also erst von der Musik, dann von der
Welt, und endlich von der Geschichte; letztere aber teilen wir ein
in Positiv und spanische Fliegen --« Und so ging's weiter
mit Sinn und Unsinn.
Ein gemütlicher Mecklenburger, der seine Nase im Punschglase
hatte, und selig lächelnd den Dampf einschnupfte, machte die
Bemerkung, es sei ihm zu Mute, als stände er wieder vor dem
Theaterbüffet in Schwerin. Ein anderer hielt sein Weinglas wie ein
Perspektiv vor die Augen und schien uns aufmerksam damit zu
betrachten, während ihm der rote Wein über die Backen ins
hervortretende Maul hinablief. Der Greifswalder, plötzlich
begeistert, warf sich an meine Brust und jauchzte: »O, verständest
du mich, ich bin ein Liebender, ich bin ein Glücklicher, ich werde
wieder geliebt, und, Gott verdamm' mich! es ist ein gebildetes
Mädchen, denn sie hat volle Brüste, und trägt ein weißes Kleid, und
spielt Klavier!« -- Aber der Schweizer weinte, und küßte zärtlich
meine Hand, und wimmerte beständig: »O Bäbeli! O Bäbeli!«
In diesem verworrenen Treiben, wo die Teller tanzen und die
Gläser fliegen lernten, saßen mir gegenüber zwei Jünglinge, schön
und blaß wie Marmorbilder, der eine mehr dem Adonis, der andere
mehr dem Apollo ähnlich. Kaum bemerkbar war der leise Rosenhauch,
den der Wein über ihre Wangen hinwarf. Mit unendlicher Liebe sahen
sie sich einander an, als wenn einer lesen könnte in den Augen des
andern, und in diesen Augen strahlte es, als wären einige
Lichttropfen hineingefallen aus jener Schale voll lodernder Liebe,
die ein frommer Engel dort oben von einem Stern zum andern hinüber
trägt. Sie sprachen leise mit sehnsuchtbebender Stimme, und es
waren traurige Geschichten, aus denen ein wunderschmerzlicher Ton
hervor klang. »Die Lore ist jetzt auch tot!« sagte der eine und
seufzte, und nach einer Pause erzählte er von einem Halle'schen
Mädchen, das in einen Studenten verliebt war, und, als dieser Halle
verließ, mit niemand mehr sprach, und wenig aß, und Tag und Nacht
weinte, und immer den Kanarienvogel betrachtete, den der Geliebte
ihr einst geschenkt hatte. »Der Vogel starb, und bald darauf ist
auch die Lore gestorben!« so schloß die Erzählung, und beide
Jünglinge schwiegen wieder und seufzten, als wollte ihnen das Herz
zerspringen. Endlich sprach der andere: »Meine Seele ist traurig!
Komm mit hinaus in die dunkle Nacht! Einatmen will ich den Hauch
der Wolken und die Strahlen des Mondes. Genosse meiner Wehmut! ich
liebe dich, deine Worte tönen wie Rohrgeflüster, wie gleitende
Ströme, sie tönen wieder in meiner Brust, aber meine Seele ist
traurig!«
Nun erhoben sich die beiden Jünglinge, einer schlang den Arm um
den Nacken des andern, und sie verließen das tosende Zimmer. Ich
folgte ihnen nach und sah, wie sie in eine dunkle Kammer traten,
wie der eine, statt des Fensters, einen großen Kleiderschrank
öffnete, wie beide vor demselben mit sehnsüchtig ausgestreckten
Armen stehen blieben und wechselweise sprachen. »Ihr Lüfte der
dämmernden Nacht!« rief der erste, »wie erquickend kühlt ihr meine
Wangen! Wie lieblich spielt ihr mit meinen flatternden Locken! Ich
steh' auf des Berges wolkigem Gipfel, unter mir liegen die
schlafenden Städte der Menschen, und blinken die blauen Gewässer.
Horch! dort unten im Thale rauschen die Tannen! Dort über die Hügel
ziehen in Nebelgestalten die Geister der Väter. O, könnt' ich
mit euch jagen auf dem Wolkenroß durch die stürmische Nacht, über
die rollende See, zu den Sternen hinauf! Aber ach! ich bin beladen
mit Leid, und meine Seele ist traurig!« -- Der andere Jüngling
hatte ebenfalls seine Arme sehnsuchtsvoll nach dem Kleiderschrank
ausgestreckt, Thränen stürzten aus seinen Augen, und zu einer
gelbledernen Hose, die er für den Mond hielt, sprach er mit
wehmütiger Stimme: »Schön bist du, Tochter des Himmels! Holdselig
ist deines Antlitzes Ruhe! Du wandelst einher in Lieblichkeit! Die
Sterne folgen deinen blauen Pfaden im Osten. Bei deinem Anblick
erfreuen sich die Wolken, und es lichten sich ihre düstern
Gestalten. Wer gleicht dir am Himmel, Erzeugte der Nacht? Beschämt
in deiner Gegenwart sind die Sterne, und wenden ab die
grünfunkelnden Augen. Wohin, wenn des Morgens dein Antlitz
erbleicht, entfliehst du von deinem Pfade? Hast du gleich mir deine
Halle? Wohnst du im Schatten der Wehmut? Sind deine Schwestern vom
Himmel gefallen? Sie, die freudig mit dir die Nacht durchwallten,
sind sie nicht mehr? Ja, sie fielen herab, o schönes Licht, und du
verbirgst dich oft, sie zu betrauern.
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