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Später, als es ganz dunkel geworden, trat sie vor die Thüre. Ich
kam -- ich näherte mich -- sie zieht sich langsam zurück in den
dunkeln Hausflur -- ich fasse sie bei der Hand und sage: »Ich bin
ein Liebhaber von schönen Blumen und Küssen, und was man mir nicht
freiwillig giebt, das stehle ich« -- und ich küßte sie rasch -- und
wie sie entfliehen will, flüstere ich beschwichtigend: »Morgen
reis' ich fort und komme wohl nie wieder« -- und ich fühle den
geheimen Wiederdruck der lieblichen Lippen und der kleinen Hände --
und lachend eile ich von hinnen. Ja, ich muß lachen, wenn ich
bedenke, daß ich unbewußt jene Zauberformel ausgesprochen, wodurch
unsere Rot- und Blauröcke, öfter als durch ihre schnurrbärtige
Liebenswürdigkeit, die Herzen der Frauen bezwingen: »Ich reise
morgen fort und komme wohl nie wieder!«
Mein Logis gewährte eine herrliche Aussicht nach dem
Rammelsberg. Es war ein schöner Abend. Die Nacht jagte auf ihrem
schwarzen Rosse, und die langen Mähnen flatterten im Winde. Ich
stand am Fenster und betrachtete den Mond. Giebt es wirklich einen
Mann im Monde? Die Slaven sagen, er heiße Klotar, und das Wachsen
des Mondes bewirke er durch Wasseraufgießen. Als ich noch klein
war, hatte ich gehört, der Mond sei eine Frucht, die, wenn sie reif
geworden, vom lieben Gott abgepflückt und zu den übrigen Vollmonden
in den großen Schrank gelegt werde, der am Ende der Welt steht, wo
sie mit Brettern zugenagelt ist. Als ich größer wurde, bemerkte
ich, daß die Welt nicht so eng begrenzt ist, und daß der
menschliche Geist die hölzernen Schranken durchbrochen, und mit
einem riesigen Petrischlüssel, mit der Idee der Unsterblichkeit,
alle sieben Himmel aufgeschlossen hat. Unsterblichkeit! schöner
Gedanke! wer hat dich zuerst erdacht? War es ein Nürnberger
Spießbürger, der, mit weißer Nachtmütze auf dem Kopfe und mit
weißer Thonpfeife im Maule, am lauen Sommerabend vor seiner
Hausthüre saß, und recht behaglich meinte, es wäre doch hübsch,
wenn er nun so immerfort, ohne daß sein Pfeifchen und sein
Lebensatemchen ausgingen, in die liebe Ewigkeit hineinvegetieren
könnte! Oder war es ein junger Liebender, der in den Armen seiner
Geliebten jenen Unsterblichkeitsgedanken dachte, und ihn dachte,
weil er ihn fühlte, und weil er nicht anders fühlen und denken
konnte? -- Liebe! Unsterblichkeit! -- in meiner Brust ward es
plötzlich so heiß, daß ich glaubte, die Geographen hätten den
Äquator verlegt, und er laufe jetzt gerade durch mein Herz. Und aus
meinem Herzen ergossen sich die Gefühle der Liebe, ergossen sich
sehnsüchtig in die weite Nacht. Die Blumen im Garten unter meinem
Fenster dufteten stärker. Düfte sind die Gefühle der Blumen, und
wie das Menschenherz in der Nacht, wo es sich einsam und
unbelauscht glaubt, stärker fühlt, so scheinen auch die Blumen,
sinnig verschämt, erst die umhüllende Dunkelheit zu erwarten, um
sich gänzlich ihren Gefühlen hinzugeben und sie auszuhauchen in
süßen Düften. -- Ergießt euch, ihr Düfte meines Herzens, und sucht
hinter jenen Bergen die Geliebte meiner Träume! Sie liegt jetzt
schon und schläft; zu ihren Füßen knieen Engel, und wenn sie im
Schlafe lächelt, so ist es ein Gebet, das die Engel nachbeten; in
ihrer Brust liegt der Himmel mit allen seinen Seligkeiten, und wenn
sie atmet, so bebt mein Herz in der Ferne; hinter den seidnen
Wimpern ihrer Augen ist die Sonne untergegangen, und wenn sie die
Augen wieder aufschlägt, so ist es Tag, und die Vögel singen, und
die Herdenglöckchen läuten, und die Berge schimmern in ihren
smaragdenen Kleidern, und ich schnüre den Ranzen und wandre.
In diesen philosophischen Betrachtungen und Privatgefühlen
überraschte mich der Besuch des Hofrat B., der kurz vorher
ebenfalls nach Goslar gekommen war. Zu keiner Stunde hätte ich die
wohlwollende Gemütlichkeit dieses Mannes tiefer empfinden können.
Ich verehre ihn wegen seines ausgezeichneten, erfolgreichen
Scharfsinns, noch mehr aber wegen seiner Bescheidenheit. Ich fand
ihn ungemein heiter, frisch und rüstig. Daß er letzteres ist,
bewies er jüngst durch sein neues Werk: »Die Religion der
Vernunft«, ein Buch, das die Rationalisten so sehr entzückt, die
Mystiker ärgert, und das große Publikum in Bewegung setzt. Ich
selbst bin zwar in diesem Augenblick ein Mystiker, meiner
Gesundheit wegen, indem ich nach der Vorschrift meines Arztes alle
Anregungen zum Denken vermeiden soll. Doch verkenne ich nicht den
unschätzbaren Wert der rationalistischen Bemühungen eines Paulus,
Gurlitt Krug, Eichhorn, Bouterwek, Wegscheider u. s. w.
Zufällig ist es mir selbst sehr ersprießlich, daß diese Leute so
manches verjährte Übel forträumen, besonders den alten
Kirchenschutt, worunter so viele Schlangen und böse Dünste. Die
Luft wird in Deutschland zu dick und auch zu heiß, und oft fürchte
ich zu ersticken, oder von meinen geliebten Mitmystikern in ihrer
Liebeshitze erwürgt zu werden. Drum will ich auch den guten
Rationalisten nichts weniger als böse sein, wenn sie die Luft etwas
gar zu sehr abkühlen. Im Grunde hat ja die Natur selbst dem
Rationalismus seine Grenze gesteckt; unter der Luftpumpe und am
Nordpol kann der Mensch es nicht aushalten.
In jener Nacht, die ich in Goslar zubrachte, ist mir etwas
höchst Seltsames begegnet. Noch immer kann ich nicht ohne Angst
daran zurückdenken. Ich bin von Natur nicht ängstlich, und Gott
weiß, daß ich niemals eine sonderliche Beklemmung empfunden habe,
wenn z. B. eine blanke Klinge mit meiner Nase Bekanntschaft zu
machen suchte, oder wenn ich mich Nachts in einem verrufenen Walde
verirrte, oder wenn mich im Konzert ein gähnender Lieutenant zu
verschlingen drohte -- aber vor Geistern fürchte ich mich fast eben
so sehr wie der österreichische Beobachter. Was ist Furcht? Kommt
sie aus dem Verstande oder aus dem Gemüt? Über diese Frage
disputierte ich so oft mit dem Doktor Saul Ascher, wenn wir in
Berlin im Café Royal, wo ich lange Zeit meinen Mittagstisch hatte,
zufällig zusammentrafen. Er behauptete immer, wir fürchten etwas,
weil wir es durch Vernunftschlüsse für furchtbar erkennen. Nur die
Vernunft sei eine Kraft, nicht das Gemüt. Während ich gut aß und
gut trank, demonstrierte er mir fortwährend die Vorzüge der
Vernunft. Gegen das Ende seiner Demonstration pflegte er nach
seiner Uhr zu sehen, und immer schloß er damit: »Die Vernunft ist
das höchste Prinzip!« -- Vernunft.
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