Wie im Leben überhaupt, geht's uns auch auf
dem Harze. Aber es giebt immer gute Seelen, die uns wieder auf den
rechten Weg bringen; sie thun es gern, und finden noch obendrein
ein besonderes Vergnügen daran, wenn sie uns mit selbstgefälliger
Miene und wohlwollend lauter Stimme bedeuten, welche große Umwege
wir gemacht, in welche Abgründe und Sümpfe wir versinken konnten,
und welch ein Glück es sei, daß wir so wegkundige Leute, wie sie
sind, noch zeitig angetroffen. Einen solchen Berichtiger fand ich
unweit der Harzburg. Es war ein wohlgenährter Bürger von Goslar,
ein glänzend wampiges, dummkluges Gesicht; er sah aus, als habe er
die Viehseuche erfunden. Wir gingen eine Strecke zusammen, und er
erzählte mir allerlei Spukgeschichten, die hübsch klingen konnten,
wenn sie nicht alle darauf hinaus liefen, daß es doch kein
wirklicher Spuk gewesen, sondern daß die weiße Gestalt ein Wilddieb
war, und daß die wimmernden Stimmen von den eben geworfenen Jungen
einer Bache (wilden Sau), und das Geräusch auf dem Boden von der
Hauskatze herrührte. Nur wenn der Mensch krank ist, setzte er
hinzu, glaubt er Gespenster zu sehen; was aber seine Wenigkeit
anbelange, so sei er selten krank, nur zuweilen leide er an
Hautübeln, und dann kuriere er sich jedesmal mit nüchternem
Speichel. Er machte mich auch aufmerksam auf die Zweckmäßigkeit und
Nützlichkeit in der Natur. Die Bäume sind grün, weil grün gut für
die Augen ist. Ich gab ihm Recht, und fügte hinzu, daß Gott das
Rindvieh erschaffen, weil Fleischsuppen den Menschen stärken, daß
er die Esel erschaffen, damit sie den Menschen zu Vergleichungen
dienen können, und daß er den Menschen selbst erschaffen, damit er
Fleischsuppen essen und kein Esel sein soll. Mein Begleiter war
entzückt, einen Gleichgestimmten gefunden zu haben, sein Antlitz
erglänzte noch freudiger, und bei dem Abschiede war er gerührt.
So lange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur
entzaubert; sobald er aber fort war, fingen die Bäume wieder an zu
sprechen, und die Sonnenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen
tanzten, und der blaue Himmel umarmte die grüne Erde. Ja, ich weiß
es besser; Gott hat den Menschen erschaffen, damit er die
Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder Autor, und sei er noch so
groß, wünscht, daß sein Werk gelobt werde. Und in der Bibel, den
Memoiren Gottes, steht ausdrücklich, daß er die Menschen erschaffen
zu seinem Ruhm und Preis.
Nach einem langen Hin- und Herwandern gelangte ich nach der
Wohnung des Bruders meines Klausthaler Freundes, übernachtete
alldort, und erlebte folgendes schöne Gedicht:
I.
Auf dem Berge steht die Hütte, Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauscht die grüne Tanne, Und erglänzt der goldne Mond.
In der Hütte steht ein Lehnstuhl, Reich geschnitzt und
wunderlich, Der darauf sitzt, der ist glücklich, Und der Glückliche
bin Ich!
Auf dem Schemel sitzt die Kleine, Stützt den Arm auf meinen
Schoß; Äuglein wie zwei blaue Sterne, Mündlein wie die
Purpurros'.
Und die lieben, blauen Sterne Schaun mich an so himmelgroß, Und
sie legt den Lilienfinger Schalkhaft auf die Purpurros'.
Nein, es sieht uns nicht die Mutter, Denn sie spinnt mit großem
Fleiß, Und der Vater spielt die Zither, Und er singt die alte
Weis'.
Und die Kleine flüstert leise, Leise, mit gedämpftem Laut;
Manches wichtige Geheimnis Hat sie mir schon anvertraut.
»Aber seit die Muhme tot ist, Können wir ja nicht mehr gehn Nach
dem Schützenhof zu Goslar, Und dort ist es gar zu schön.
»Hier dagegen ist es einsam Auf der kalten Bergeshöh', Und
des Winters sind wir gänzlich Wie vergraben in dem Schnee.
»Und ich bin ein banges Mädchen Und ich fürcht' mich wie ein
Kind Vor den bösen Bergesgeistern, Die des Nachts geschäftig
sind.«
Plötzlich schweigt die liebe Kleine, Wie vom eignen Wort
erschreckt, Und sie hat mit beiden Händchen Ihre Äugelein
bedeckt.
Lauter rauscht die Tanne draußen, Und das Spinnrad schnarrt und
brummt Und die Zither klingt dazwischen, Und die alte Weise
summt:
»Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen, Vor der bösen
Geister Macht; Tag und Nacht, du liebes Kindchen, Halten Englein
bei dir Wacht!«
II.
Tannenbaum mit grünen Fingern Pocht ans niedre Fensterlein, Und
der Mond, der gelbe Lauscher, Wirft sein süßes Licht herein.
Vater, Mutter schnarchen leise In dem nahen Schlafgemach, Doch
wir beide, selig schwatzend, Halten uns einander wach.
»Daß du gar zu oft gebetet, Das zu glauben wird mir schwer,
Jenes Zucken deiner Lippen Kommt wohl nicht vom Beten her.
»Jenes böse, kalte Zucken, Das erschreckt mich jedesmal, Doch
die dunkle Angst beschwichtigt Deiner Augen frommer Strahl.
»Auch bezweifl' ich, daß du glaubest Was so rechter Glaube
heißt, Glaubst wohl nicht an Gott den Vater An den Sohn und
heil'gen Geist?«
Ach, mein Kindchen, schon als Knabe, Als ich saß auf Mutters
Schoß, Glaubte ich an Gott den Vater, Der da waltet gut und
groß;
Der die schöne Erd' erschaffen, Und die schönen Menschen
drauf, Der den Sonnen, Monden, Sternen Vorgezeichnet ihren
Lauf.
Als ich größer wurde, Kindchen, Noch viel mehr begriff ich
schon, Und begriff, und ward vernünftig, Und ich glaub' auch an
den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend Uns die Liebe offenbart, Und zum
Lohne, wie gebräuchlich, Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachsen, Viel gelesen, viel gereist, Schwillt
mein Herz, und ganz von Herzen, Glaub' ich an den heil'gen
Geist.
Dieser that die größten Wunder, Und viel größre thut er noch; Er
zerbrach die Zwingherrnburgen, Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er, Und erneut das alte Recht: Alle
Menschen, gleichgeboren, Sind ein adliges Geschlecht.
Er verscheucht die bösen Nebel Und das dunkle Hirngespinnst, Das
uns Lieb' und Lust verleidet, Tag und Nacht uns angegrinst.
Tausend Ritter, wohlgewappnet, Hat der heil'ge Geist
erwählt, Seinen Willen zu erfüllen, Und er hat sie mutbeseelt.
Ihre teuern Schwerter blitzen, Ihre guten Banner wehn! Ei, du
möchtest wohl, mein Kindchen, Solche stolze Ritter sehn?
Nun, so schau mich an, mein Kindchen, Küsse mich und schaue
dreist; Denn ich selber bin ein solcher Ritter von dem heil'gen
Geist.
III.
Still versteckt der Mond sich draußen Hinterm grünen Tannenbaum,
Und im Zimmer unsre Lampe Flackert matt und leuchtet kaum.
Aber meine blauen Sterne Strahlen auf in hellerm Licht, Und es
glüht die Purpurrose, Und das liebe Mädchen spricht:
»Kleines Völkchen, Wichtelmännchen Stehlen unser Brot und Speck,
Abends ist es noch im Kasten, Und des Morgens ist es weg.
»Kleines Völkchen, unsre Sahne Nascht es von der Milch, und läßt
Unbedeckt die Schüssel stehen, Und die Katze säuft den Rest.
»Und die Katz' ist eine Hexe, Denn sie schleicht, bei Nacht
und Sturm Drüben nach dem Geisterberge, Nach dem altverfallnen
Turm.
»Dort hat einst ein Schloß gestanden, Voller Lust und
Waffenglanz; Blanke Ritter, Fraun und Knappen Schwangen sich im
Fackeltanz.
»Da verwünschte Schloß und Leute Eine böse Zauberin, Nur die
Trümmer blieben stehen, Und die Eulen nisten drin.
»Doch die sel'ge Muhme sagte: Wenn man spricht das rechte
Wort Nächtlich zu der rechten Stunde, Drüben an dem rechten
Ort:
»So verwandeln sich die Trümmer Wieder in ein helles Schloß, Und
es tanzen wieder lustig Ritter, Fraun und Knappentroß;
»Und wer jenes Wort gesprochen, Dem gehören Schloß und
Leut', Pauken und Trompeten huld'gen Seiner jungen
Herrlichkeit.«
Also blühen Märchenbilder Aus des Mundes Röselein, Und die Augen
gießen drüber Ihren blauen Sternenschein.
Ihre goldnen Haare wickelt Mir die Kleine um die Händ',
Giebt den Fingern hübsche Namen, Lacht und küßt, und schweigt am
End'.
Und im stillen Zimmer alles Blickt mich an so wohlvertraut;
Tisch und Schrank, mir ist als hätt' ich Sie schon früher mal
geschaut.
Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr Und die Zither, hörbar
kaum, Fängt von selber an zu klingen, Und ich sitze wie im
Traum.
Jetzo ist die rechte Stunde, Und es ist der rechte Ort; Staunen
würdest du, mein Kindchen, Spräch' ich aus das rechte Wort.
Sprech' ich jenes Wort, so dämmert Und erbebt die
Mitternacht, Bach und Tannen brausen lauter, Und der alte Berg
erwacht.
Zitherklang und Zwergenlieder Tönen aus des Berges Spalt, Und es
sprießt, wie'n toller Frühling Draus hervor ein Blumenwald.
Blumen, kühne Wunderblumen, Blätter, breit und fabelhaft, Duftig
bunt und hastig regsam, Wie gedrängt von Leidenschaft.
Rosen, wild wie rote Flammen, Sprühn aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie krystallne Pfeiler, Schießen himmelhoch empor.
Und die Sterne, groß wie Sonnen, Schaun herab mit
Sehnsuchtsglut; In der Lilien Riesenkelche Strömet ihre
Strahlenflut.
Doch wir selber, süßes Kindchen, Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide Schimmern lustig um uns her.
Du, du wurdest zur Prinzessin, Diese Hütte ward zum Schloß, Und
da jubeln und da tanzen Ritter, Fraun und Knappentroß.
Aber ich, ich hab' erworben, Dich und alles, Schloß und
Leut': Pauken und Trompeten huld'gen Meiner jungen
Herrlichkeit!
Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespenster beim
dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor
mir schwebte die schöne Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend.
Der Geist des Gebirges begünstigte mich ganz offenbar; er wußte
wohl, daß so ein Dichtermensch viel Hübsches wiedererzählen kann,
und er ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß
nicht jeder sah. Aber auch mich sah der Harz, wie mich nur wenige
gesehen, in meinen Augenwimpern flimmerten eben so kostbare Perlen,
wie in den Gräsern des Thals. Morgentau der Liebe feuchtete meine
Wangen, die rauschenden Tannen verstanden mich, ihre Zweige thaten
sich von einander, bewegten sich herauf und herab, gleich stummen
Menschen, die mit den Händen ihre Freude bezeigen, und in der Ferne
klang's wunderbar geheimnisvoll, wie Glockengeläute einer
verlornen Waldkirche. Man sagt, das seien die Herdenglöckchen, die
im Harz so lieblich, klar und rein gestimmt sind.
Nach dem Stande der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche
Herde stieß, und der Hirt, ein freundlich blonder junger Mensch,
sagte mir, der große Berg, an dessen Fuß ich stände, sei der alte,
weltberühmte Brocken. Viele Stunden ringsum liegt kein Haus, und
ich war froh genug, daß mich der junge Mensch einlud, mit ihm zu
essen. Wir setzten uns nieder zu einem
Dejeuner dinatoire, das aus Käse und Brot bestand; die
Schäfchen erhaschten die Krumen, die lieben blanken Kühlein
sprangen um uns herum, und klingelten schelmisch mit ihren
Glöckchen, und lachten uns an mit ihren großen, vergnügten Augen.
Wir tafelten recht königlich; überhaupt schien mir mein Wirt ein
echter König, und weil er bis jetzt der einzige König ist, der mir
Brot gegeben hat, so will ich ihn auch königlich besingen.
König ist der Hirtenknabe, Grüner Hügel ist sein Thron, Über
seinem Haupt die Sonne Ist die schwere, goldne Kron'.
Ihm zu Füßen liegen Schafe, Weiche Schmeichler, rotbekreuzt!
Kavaliere sind die Kälber, Und sie wandeln stolz gespreizt.
Hofschauspieler sind die Böcklein; Und die Vögel und die
Küh', Mit den Flöten, mit den Glöcklein, Sind die
Kammermusici.
Und das klingt und singt so lieblich, Und so lieblich rauschen
drein Wasserfall und Tannenbäume, Und der König schlummert ein.
Unterdessen muß regieren Der Minister, jener Hund, Dessen
knurriges Gebelle Wiederhallet in der Rund'.
Schläfrig lallt der junge König: »Das Regieren ist so schwer,
Ach, ich wollt', daß ich zu Hause Schon bei meiner Kön'gin
wär'!
»In den Armen meiner Kön'gin Ruht mein Königshaupt so weich,
Und in ihren lieben Augen Liegt mein unermeßlich Reich!«
Wir nahmen freundschaftlich Abschied, und fröhlich stieg ich den
Berg hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, für
die ich in jeder Hinsicht Respekt habe. Diesen Bäumen ist nämlich
das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es
sich in der Jugend sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit
vielen großen Granitblöcken übersäet, und die meisten Bäume mußten
mit ihren Wurzeln diese Steine umranken oder sprengen, und mühsam
den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können. Hier und da
liegen die Steine, gleichsam ein Thor bildend, über einander, und
oben darauf stehen die Bäume, die nackten Wurzeln über jene
Steinpforte hinziehend, und erst am Fuße derselben den Boden
erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen scheinen. Und
doch haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe empor geschwungen,
und, mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie
fester als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des flachen
Landes. So stehen auch im Leben jene großen Männer, die durch das
Überwinden früher Hemmungen und Hindernisse sich erst recht
gestärkt und befestigt haben. Auf den Zweigen der Tannen kletterten
Eichhörnchen und unter denselben spazierten die gelben Hirsche.
Wenn ich solch ein liebes, edles Tier sehe, so kann ich nicht
begreifen, wie gebildete Leute Vergnügen daran finden, es zu hetzen
und zu töten. Solch ein Tier war barmherziger als die Menschen, und
säugte den schmachtenden Schmerzenreich der heiligen Genovefa.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte
Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln.
Überall schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den
schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen.
Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel. Hier und da
sieht man, wie das Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt
und die nackten Baumwurzeln und Fasern bespült.
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