Denn diese Frau ist sehr dick, und geistreich ist sie auch nicht, aber sie hat ein braves Herz. »Das war nicht recht!« spricht sie sehr laut und sehr ernst. »Sie haben da eine schwere Schuld auf sich geladen!«
Die Frau Bezirksrichter blickt sie erstaunt an. Wäre sie nicht eine höfliche Frau, eine Frau von Welt und die Hausfrau dazu, sie würde spöttisch lächeln und mit den Achseln zucken. So aber begnügt sie sich, entschuldigend zu sagen: »Mon Dieu! es handelt sich ja nur um eine Jüdin!«
»Nur eine Jüdin!« wiederholt der Chorus der Andern laut und leise. Auch wird viel gekichert.
Und »nur eine Jüdin!« tönt auch eine ernste tiefe Mannesstimme in den Weiberdiskant. Das Spiel im Nebenzimmer ist beendet, die Herren sind zu den Damen getreten. »Sie sind in schwerem Unrecht, Frau Direktor.« Es ist der Arzt des Städtchens, der so gesprochen, ein hochgewachsener, stattlicher Mann. Er ist selbst Jude. Man haßt ihn wegen seines Glaubens, man fürchtet ihn wegen seines Sarkasmus. Aber seiner Stellung wegen muß man ihn dennoch in dieser Gesellschaft dulden, die er aufsuchen muß, weil er keine andere hat in dem kleinen, armseligen Landstädtchen. »Sie sind im Unrecht,« wiederholt er. »Sie können sich noch immer nicht von dem Vorurteil Ihrer deutschen Heimat emanzipieren, das auch im Juden den Menschen sieht. O! daß Sie sich noch immer nicht in die hiesigen Anschauungen schicken können!«
»Spotten Sie nur,« meint die Hausfrau eifrig. »Deshalb behaupte ich doch: es ist in den ungebildeten Jüdinnen sehr wenig moralisches Gefühl!«
»Ja!« ist die trockene Antwort, »besonders wenn man sie durch Paul de Kock bildet. Aber ich bitte, lassen Sie sich nicht stören, fahren Sie fort.«
Und die Frau Bezirksrichter fährt fort:
»Ja, wo bin ich nur geblieben?! Richtig! – Also im nächsten Frühjahr war sie mit meinem ganzen Kock fertig. Andere deutsche Bücher hatte ich auch nicht mehr. Da bat sie mich so lange, bis ich für sie in der Leihbibliothek in Tarnopol abonnierte. Ich that es nicht gerne, es machte viele Scherereien, aber sie bat so sehr, mein Gott, ich hätte ein Marmorherz haben müssen. Und da las sie alle Bücher nach dem Katalog durch, von About bis Zschokke. Der Alte hatte keine Ahnung davon, er hat es auch nie erfahren. Sie las nämlich nur des Nachts in ihrem Zimmer. Aber ihren Augen schadete diese Anstrengung nicht. Sie hatte die schönsten, klarsten Augen, groß, blau, blau wie der Himmel. Und der Wuchs wie eine Königin, schlank, stolz und doch üppig. Kurz, sie war ein hübsches, wunderhübsches Mädchen. Aber überspannt und verderbt, eine Romannärrin. Als ihr der Alte – sie war sechzehn Jahre alt – einen Bräutigam aussuchte, einen Sohn vom Moschko Fränkel in Chorostkow, einen ganz gesunden Judenjungen in ihrem Alter, da erklärte sie, sie wollte lieber sterben, als ihn heiraten. Aber unser Freudenthal unten ist kein Mensch, der mit sich spaßen läßt. Die Verlobung wurde dennoch gefeiert und die schöne Esther saß beim Feste, bleich und zitternd wie eine Totkranke.
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