Er näherte sich ihr fast scheu; er machte ihr kein Kompliment, das wirkte gerade. Und im Übrigen war sie ja, wie gesagt, innerlich verderbt und überspannt. Nun, und die Geschichte entwickelte sich. Zuerst einzelne Begegnungen, dann viele, zuerst wenige Worte, dann viele, zuerst ein Kuß, dann unzählige ... Es war sehr lustig!«
Auch der Gesellschaft kommt es so vor. Die Damen kichern und die Herren lachen. Nur eine Dame kichert nicht: die brave, dicke, deutsche Frau in der Sophaecke. »Sie scheinen die Geschichte nicht so heiter zu finden?« fragt sie ihr Nachbar, der Arzt.
»Nein!« erwidert sie, »es ist ja im Grunde traurig, das arme Mädchen war ja nur ein Opfer!«
»Ja!« sagt der Arzt und seine Stimme vibriert, »sie war ein Opfer! Aber nicht ein Opfer des schönen Rittmeisters, auch nicht das unserer lieben Hausfrau da. Die Sache liegt tiefer, viel tiefer. Wie das Zwielicht unheimlicher ist als die Nacht, so ist die halbe Bildung verderblicher als die Unwissenheit. Die Unwissenheit und die Nacht halten das Auge umfangen und fesseln den Fuß an die Scholle; das Wissen und der Tag öffnen das Auge und lassen uns fröhlich vorwärts schreiten; das halbe Wissen aber und das Zwielicht nehmen uns halb die Binde vom Auge, und lassen uns ins Ungewisse schreiten und – straucheln! Armes Kind! vom reinen Quell hat man sie zurückgerissen, aber es dürstete sie und sie trank aus der Lache. Armes Kind! Sie ...«
Aber ein ziemlich deutliches Gähnen macht den Sprecher verstummen. Denn die dicke Frau ist eine brave Frau, aber geistreich ist sie nicht und unverständliche Reden hört sie nicht gerne an. Die Frau Bezirksrichter aber erzählt inzwischen weiter:
»So wußte Graf Géza sie bald zu Allem zu bewegen. Und als er nach Marburg in die Garnison versetzt wurde, da folgte sie ihm auch dorthin. Als Moses an einem Freitag Abend – es war g'rad so wie heute – nach Hause kam, da fand er das Nest leer. Da war nun ein Gepolter unten, ein Schreien, Weinen und Suchen – es ist nicht mit Worten zu beschreiben. Mein Mann war unten; der Moses hat gerast wie ein wildes Tier; es sind fünf Jahre her, aber ich werde die Nacht nicht vergessen ...
Auch in den nächsten Tagen war es sehr unheimlich. Sie machten es gerade so, als ob die Esther gestorben wäre. Die Läden und die Weinstube wurden gesperrt, die Bilder im Hause schwarz verhangen, die Spiegel gegen die Wand gekehrt. In einer Ecke ihres Zimmers brannte durch sieben Tage und sieben Nächte ein kleines Licht, und eben so lange saß der Moses barfuß, mit zerrissenem Gewande, auf der Diele dieses Zimmers. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber die Juden sollen sogar am Sonntag darauf die Totentruhe leer auf den Friedhof getragen und dort ein leeres Grab geschlossen haben. Am achten Tage aber stand Moses auf und ging ruhig seinen Geschäften nach. Ich bitte Sie – so ein Jud'! Er kam sogar am selben Tage zu uns, den Zins zu fordern; ich erkannte ihn kaum, er war während der Woche grau geworden. Er war ganz ruhig und gefaßt und jetzt scheint er seine Tochter ganz vergessen zu haben.
Dem Juden ist ja bekanntlich sein Geld lieber als sein Kind!«
»Und hat man nie wieder etwas von der Esther gehört?« fragt die dicke Frau.
»Doch, einmal. Aber es ist ungewiß. Der kleine Lieutenant Szilagy – Sie kennen den läppischen Lügner! – der auf Urlaub in Ungarn war, erzählt, er habe den Grafen mit der Esther in einer Loge im Pester Nationaltheater gesehen. Aber der Kleine lügt immer. Und dann kann es auch ein anderes hübsches Mädchen gewesen sein«.
»Wissen Sie, meine Damen«, nimmt nun Frau Emilie, die gebildete Lembergerin, das Wort, »wissen Sie, an was mich die Geschichte erinnert hat?! An ein sehr lustiges Theaterstück, das ich einmal in Lemberg gesehen habe. Es ist aus dem Englischen, von einem gewissen ...
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