Die Gestalt schlank und doch üppig, biegsam und doch königlich stolz, das Antlitz blaß, edel, scharf geschnitten, die Augen dunkel und träumerisch und tief, abgrundtief. Aber das Merkwürdigste an all dieser Schönheit ist die Farbe der Haut, das mattmilde, gelbliche Weiß, Bernsteinweiß könnte man es nennen, über dem die Röte der Gesundheit nur wie ein leiser Hauch liegt. Die Gestalt und dieses Antlitz – sie mahnen an die Sulamith und Suleika, an die holden Schönheitszauber des Orients. Aber die Frau Bezirksrichter trägt ein Kreuzchen am Halse und auf ihren Visitenkarten steht: »Christine von Negrusz.«
Es ist eigentlich rätselhaft und sonderbar, aber durch diese Karten allein verkehrt diese Frau mit den übrigen Menschen. Sie empfängt keine Besuche, sie macht keine; zwischen ihr und den verehrlichen Honoratioren von Barnow ist eine Schranke aufgerichtet, die keiner der beiden Teile überschreitet. Wird ein verheirateter Beamter nach Barnow versetzt, so wird er von seinen Kollegen sorgsam instruiert: er leiht sich vom Herrn von Wolanski die alte Karosse mit den alten Schimmeln und fährt mit seiner Ehehälfte vor das große, weiße Haus. Da schickt er die beiden Karten in den ersten Stock und empfängt die Antwort: die Herrschaften bedauerten, aber der Herr Bezirksrichter sei verhindert und die gnädige Frau unwohl. Und eine Woche später kommt Herr von Negrusz in ganz demselben Wagen mit seiner Frau vor die Wohnung des neuen Amtsgenossen gefahren und dann vollzieht sich dieselbe Komödie mit vertauschten Rollen. Damit schließt zugleich jeder weitere Verkehr. Das ist so der Gebrauch, der schließlich zum Gesetz geworden ist.
Und dann noch etwas. Frau Christine geht nie allein aus, sie verläßt das Haus nur einige Male in der Woche zu einem Spaziergang an der Seite ihres Gatten. Alle übrigen Leute im Städtchen machen ihre Promenade im neuen, gräflichen Park, im Park um das Schloß der Gräfin Jadwiga Bortynska, geborenen Polanska. Aber der Bezirksrichter und seine Gattin gehen regelmäßig in den einsamen, schlecht erhaltenen Anlagen spazieren, die – jenseits des Flusses – um das alte Schloß liegen. Der gerade Weg dahin führt durch die Judenstadt, aber den vermeidet dieses menschenscheue Paar. Sie gehen rings um das Städtchen herum. Man könnte glauben, das geschehe darum, um den Staub und die Gerüche der Judengasse zu vermeiden. Aber nein! – als sie einmal ein Gewitter überraschte, machten sie im strömenden Regen gleichfalls den großen Umweg. Warum? Herr von Negrusz sieht Jedermann frank und frei ins Auge und vermeidet Niemandes Begegnung, wenn er allein ist. Welcher Bann scheidet also gerade seine schöne Frau von den übrigen Menschen?
Ihr braucht nur den Neuigkeitenanzeiger von Barnow und Umgegend zu fragen, die hübsche, üppige Frau Emilie, die Gattin des neuen Aktuars. Er ist schon zehn Jahre im Städtchen, aber er heißt noch immer der »neue« Aktuar, im Gegensatze zu seinem Kollegen, der schon zwanzig Jahre in Barnow ist. Nun, Frau Emilie wird euch eine Visitenkarte zeigen und dazu sagen: »Ich bitte Sie, wie kann man mit einer solchen Frau Umgang haben? Sehen Sie sich nur die Karte an – warum hat sie nicht auch darauf setzen lassen, was für eine ›Geborene‹ sie ist? Weil es sich sehr schlecht machen würde: ›Christine von Negrusz, geborene Bilkes, geschiedene Silberstein‹. Denn sie heißt eigentlich Chane, und der Nathan Bilkes in dem kleinen Hüttchen neben der Judenschule ist ihr Vater und ein anderer Nathan, der Nathan Silberstein, ihr erster Mann. Dieser Negrusz ist nämlich ein ganz überspannter Mensch. Zuerst hat er die Tochter eines Millionärs heiraten wollen, eines armenischen Barons, und als man ihm die natürlich nicht gegeben hat, ist er plötzlich sehr genügsam geworden und hat sich in das passabel hübsche Judenweib verliebt und hat sie ihrem Mann abgekauft.«
»Abgekauft?« werdet ihr erstaunt fragen. »Um Geld, um bares Geld?«
»Natürlich – um was sonst?« wird der Anzeiger versichern. »Und das wundert Sie im Ernst? Ich bitte Sie, so einem Juden ist Alles feil, sogar sein Weib. Man sagt sogar, wie viel es den Negrusz gekostet hat: tausend Gulden. Wenn Sie übrigens mir allein nicht glauben wollen, so fragen Sie die ganze Stadt oder fragen Sie am besten den Silberstein selbst – er ist ein Weinhändler, und wenn er auch sonst das ganze Jahr herumreist, so ist er doch zu den großen Feiertagen immer hier. Er wird Ihnen bestätigen: ›Ich habe sie dem Bezirksrichter friedlich abgetreten‹. Nun, und da frage ich Sie: kann man mit einem solchen Weibe verkehren?!«
Die üppige Emilie hat Recht, sie hat in Allem Recht.
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