Frau Christine hat wirklich früher Chane geheißen, zuerst Chane Bilkes, dann Chane Silberstein. Und der Weinhändler hat sie dem Bezirksrichter wirklich friedlich abgetreten. Auch darin hat sie Recht, daß sie, Emilie, mit einem solchen Weibe unmöglich verkehren kann. Aber bezüglich des Kaufpreises ist sie im Irrtum. Der Kaufpreis war nicht eine Geldnote, sondern ein Menschenherz.

 

Die alte Betschul' ist ein graues, verwittertes Gebäude, in fernen Zeiten erbaut, wohl gar im Mittelalter. Die Bauern nennen sie die »Judenburg«, weil sich hier einmal die Juden verborgen und verschanzt, als sie ein Fürst Czartoryski totschlagen und ausrauben wollte. Er wollte dies aus doppeltem Grunde: erstens war es gerade Jagdzeit, aber wenig Füchse und Eber auf der Haide, zweitens brauchte er Geld. Aber die Juden bargen ihr Gut und Blut hinter den Mauern und Eisenriegeln der Betschul' und hielten hier so lange aus, bis des jagellonischen Königs Mannen aus der nahen Veste Jagiellnica herbeieilten und die Geängstigten befreiten. Damals waren die Mauern stark und die Eisenriegel fest, jetzt ist von den Riegeln nichts mehr zu sehen, und halb geborsten, halb in die Erde gesunken sind die Mauern. Aber wie um die einstige Bedeutung dieses Gottes- und Schutzhauses anzudeuten, drängen sich hier an drei Seiten desselben am dichtesten die dürftigen Häuser und Hütten der Judenstadt.

An der vierten Seite hat der nahe Fluß, der träge, schleichende Sered, nur für zwei Häuser Raum gelassen, ein großes, neues Haus, das – eine Seltenheit in dieser Gegend – mit gelber Ölfarbe bemalt ist, und für ein schmutziges, baufälliges Hüttlein, das trübselig am Ufer klebt. Es ist, als dränge das gelbe Haus seinen ärmlichen Nachbar in den Fluß, so stark neigen sich die moderigen Wände der Hütte über die trüben, langsamen Wasser. Im gelben Hause wohnte einst der reiche Weinhändler Manasse Silberstein mit seinem Sohne Nathan und in dem Hüttlein wohnte und wohnt noch heute Nathan Bilkes, ein armer, sehr armer Mann.

Nathan war ein »Dorfgeher«, so lange seine Kräfte es erlaubten, und lebt jetzt, ein schwacher, einsamer Greis, von seinen sauer erworbenen Pfennigen und, wo diese nicht reichen, von der Unterstützung der Gemeinde. Er ist früh schwach und alt geworden, wie alle Leute seines Berufs. Denn es ist ein überaus harter, mühsamer Beruf. Ein »Dorfgeher« heißt in der Sprache seiner Glaubensgenossen derjenige Mann, der die Bauern in den umliegenden Dörfern mit dem Nötigen versieht und sich dabei sein Brot herausschlägt. Er zieht Sonntag am frühen Morgen aus dem Städtchen, den Rücken gebeugt von einem riesigen Pack Waren. Da drin ist Alles enthalten, wonach nur ein ruthenisches Bauernherz verlangen mag, bis auf das Eine, wonach ein solches Herz am meisten verlangt: Schnaps verkauft der »Dorfgeher« nicht. Aber sonst verkauft er wirklich Alles: Strohhüte, Ledergurte, Stiefel, Taschenmesser für die Bursche; Blumen, Bänder, Korallen, Liebestränke, Kleiderstoffe; Spindeln für die Mädchen; Leinwand, Talg, Geschirre, Heiligenbilder, Zaubermittel, Wachslichter, Nadel und Zwirn für das Haus, Gebetbücher, alte Hosen und Kaftane, neue »Teffilim« und »Mesusas« für die vereinzelt wohnenden Glaubensgenossen; Schnupftabak, Kalender, die Zeitungen der verflossenen Woche, seine Stoffe und Stickereien für die Pfarr- und Edelhöfe; Liqueure, Spielkarten, geschmuggelte Cigarren und andere Dinge für die Kavallerieoffiziere; kurzum Alles, Alles! So zieht er die Woche über, jahraus, jahrein, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, immer und immer, trotz Winterkälte, trotz Sommerglut. Er kennt alle Leute und alle Leute kennen ihn. Bedürfen sie seiner, so gestatten sie, daß er ihre Schwelle betrete; brauchen sie nichts, so jagen sie ihn fort und hetzen, wenn er besonders hartnäckig ist, ihre Hunde auf ihn. Der Bauer und der Edelmann, der Kadett und der Kaplan prüfen ihren Witz an ihm oder, wenn sie nicht gerade geistreich aufgelegt sind, ihre Gerte und ihre Sporen. Er aber wird nicht müde, vom frühen Morgen bis zum späten Abend seinen heisern Ruf zu erheben, zu feilschen und zu überlisten, wo er nur immer kann. Ist kein Bargeld im Hause, so läßt er sich mit Fellen bezahlen, oder mit Getreide, oder mit Hühnern und Enten oder mit Eiern. Am Freitag Nachmittag aber kehrt er in die Stadt zurück und ist einen Tag lang ein Mensch, und wird erst am Sonntag wieder zum »Dorfgeher«.

Solch' ein Dorfgeher war auch Nathan Bilkes, und damit ist sein Leben beschrieben; es ist sonst nichts Besonderes darüber zu berichten. Sein Vater hatte ein Mädchen für ihn ausgesucht, das wurde sein braves Weib, gebar ihm zwei Kinder und starb früh. Die Kinder aber, ein Knabe und ein Mädchen, wuchsen herrlich heran in der düstern, dumpfigen Hütte, wie ja auch zuweilen in Schutt und Moder schöne Blumen gedeihen. Aber – »an ihrer Schönheit und Stärke sind sie mir gestorben,« klagt der Vater. Für ihn sind sie Beide tot und begraben. Der Sohn mußte Soldat werden, weil er so trefflich dazu taugte, und weil Nathan die fünfzig Gulden nicht aufbrachte, welche die Assentierungskommission für die Freigebung forderte. Wenigstens behauptete Beer Blitzer, der Makler, es sei mit fünfzig Gulden zu richten.