Die Gassen der Stadt sind bis auf einige Kotlachen in der Mitte des Ringplatzes getrocknet, die Luft weht fast sommerlich lau und im Garten der Mönche drüben blühen die Fruchtbäume und der Flieder. »Frühling! Frühling!« jauchzen die Christenkinder, die eben aus der Nachmittagsschule vorübereilen. »Es wird Frühling!« sagt der Herr Bezirksrichter, greift an den Hut und führt seinen Gast die Treppe empor. »Es wird Frühling!« wiederholt der alte Mann unten und streicht sich über die Stirn, als erwache er aus einem Traum ... »es wird Frühling!«

»Ein merkwürdiger Mensch, der alte Moses!« plaudert oben der Bezirksrichter zu seinem Gaste, dem neuen Aktuar. »Ich weiß nicht, ein Sonderling. Man würde es ihm nicht ansehen; er weiß mehr vom Jus als der beste Advokat. Und denken Sie nur: er ist der reichste Mann im ganzen Kreise. Man spricht von mehreren Millionen. Und dabei plagt er sich die ganze Woche, als müßte er sein Essen für den Sabbath verdienen!«

»Ein Schmutzian, wie die Juden alle,« sagt der Aktuar und ringelt den Rauch seiner Cigarre in die Luft.

»Hm! doch nicht! Er ist wohlthätig, man muß sagen, sehr wohlthätig. Das macht ihm aber keine Freude und das Verdienen auch nicht. Und doch spekuliert er fortwährend. Für wen? ich bitte Sie, für wen?!«

»Hat er keine Kinder?« fragt der Andere.

»Ja freilich! Das heißt, wie man's nimmt. Nach seiner Auffassung hat er keine. Aber kennen Sie seine Geschichte noch nicht?! Die weiß ja alle Welt – da sieht man, daß Sie aus Lemberg kommen. Da haben Sie wohl auch nichts von der Tochter des Alten gehört, von der schönen Esther Freudenthal? Das ist ja ein ganzer Roman, den müssen Sie hören!« ...

Der alte Mann, dessen Geschichte alle Welt kennt, lehnt unten noch immer an der Thür seines Hauses und sieht zu, wie die Blütenzweige im Klostergarten im Winde schwanken. Woran er wohl denken mag? An seine Geschäfte nicht. Denn seine Augen sind feucht geworden und um die Lippen zuckt es einen Augenblick wie verhaltener Schmerz. Er legt seine Hand über die Augen, als blende ihn das Sonnenlicht.

Dann richtet er sich auf und schüttelt das Haupt, als wollte er die trüben Gedanken mit abschütteln. »Beeilt Euch! es wird bald Sabbath!« ruft er dem Anstreicher zu und tritt näher heran, um die Arbeit zu besichtigen. Der kleine, buckelige Mann im abgeschabten polnischen Schnürrock ist eben mit den beiden Thürflügeln fertig geworden und hinkt nun mit dem Farbentopf an den Fensterladen. Im hellsten Zinnoberrot hatte diese Tafel einst in schöneren Tagen geprangt und in weißen Buchstaben war darauf jener schlichte Witz zu lesen gewesen, den man überall an den Schenkstuben der jüdisch-polnischen Städtchen findet: »Heute ums Geld, morgen umsonst!« Nun ist die Pracht längst dahin, die Worte sind unleserlich geworden, und emsig führt der Kleine den Pinsel mit dem saftigen Grün darüber hin. »Wißt Ihr noch, Pani Moschko,« plaudert er dabei, »daß auch dies hier mein Werk ist?« Und er deutet auf das schmutzige Braunrot des alten Anstrichs.

Aber Moses denkt wohl an Wichtigeres und blickt kaum auf. »So?« sagt er dann gleichgültig.

»Ei freilich!« fährt das Männchen eifrig fort. »Erinnert Ihr Euch nicht mehr? Vor fünfzehn Jahren war's und gerade an einem so schönen Tage wie heute, da hab' ich's gemalt. Das Haus war noch neu und ich noch ein junger Bursch. ›Ich bin zufrieden mit Euch, Janko!‹ habt Ihr damals gesagt. Ihr seid vor dem Thore gestanden, ich glaube gar, an derselben Stelle und neben Euch Eure kleine Esterka. Heilige Jungfrau! was war das Kind schön! Und wie lieb es gelacht hat, wie so ein weißer Buchstabe nach dem andern auf dem roten Grund herauskam! Es hat auch gleich gefragt, was sie bedeuten, das liebe Kind! Und drei Theresienzwanziger habt Ihr mir für die Arbeit gegeben. Ich weiß es noch ganz genau.