Ich hab' damals gedacht: ›Janko! das ist deine letzte Arbeit in Barnow.‹ Denn der alte Herr von Polanski hat mich nach Krakau schicken wollen, in die Malerschule. Aber er hat bald selbst nichts gehabt und sogar später seine Tochter Jadwiga aus Not und Durst verkaufen müssen, und so bin ich ein Anstreicher geblieben. Ja, der Mensch denkt und ... Teufel! der Alte ist fort und ich lüge da nur mich selber laut an wie ein Narr. Der Jud' zählt gewiß wieder seine Millionen ...«
Aber Janko irrt. Moses Freudenthal zählt in diesem Momente seine Schätze nicht. Und ungezählt gäbe er sie vielleicht hin, könnte er dadurch die Thatsache aus seinem Leben streichen, durch die er ärmer und elender geworden ist, als der Bettler vor seiner Thüre. Er hat sich in die große dämmerige Wohnstube geflüchtet, in die kein Sonnenstrahl und kein Menschenlaut dringt. Hier darf er sich in den Sorgenstuhl werfen und aufschluchzen aus tiefstem Herzensgrund, ohne daß ihn die Leute fragen, was ihm fehle, hier darf er sein Haupt beugen und sein Haar zerwühlen und die Hände vor das Antlitz pressen. Er weint nicht, er betet nicht, er flucht nicht, aber zischend, wie ein schriller Wehelaut, klingt es immer wieder durch das öde Gemach: »Wie lieb das Kind gelacht hat!« ...
So sitzt er lange in der Dämmerung. Dann erhebt er sich und richtet den Blick nach oben, nicht wie ein Flehender – nein! wie ein Mann, der sein gutes Recht fordert. »Mein Herr und Gott!« ruft er, »ich flehe nicht, daß sie wiederkomme, denn durch meine Knechte ließe ich sie von meiner Schwelle jagen; ich flehe nicht, daß sie wiederkomme, denn durch meine Knechte ließe ich sie von meiner Schwelle jagen; ich flehe nicht, daß sie glücklich werde, denn sie hat zu viel gesündigt an Dir und mir; ich flehe nicht, daß sie elend werde, denn sie ist mein Fleisch und Blut; ich flehe nur, daß sie sterbe, damit ich meinem einzigen Kinde nicht fluchen muß, daß sie sterbe, mein Herr und Gott, sie oder ich! ...«
Und oben schließt der Bezirksrichter seine Erzählung: »Was aus der hübschen Kleinen geworden ist, weiß man nicht. Man denkt nicht mehr an sie; auch der Alte scheint die Geschichte vergessen zu haben.
Denn sie sind ein herzloses Volk, diese Juden, Einer wie der Andere ...«
Es ist Dämmerung geworden im Städtchen, aber Licht in dem Herzen seiner Bewohner. Das düstere winkelige Ghetto strahlt im Glanze von tausend Kerzen und tausend frohen Menschenangesichtern. Wie ein gewöhnliches, natürliches Ereignis und doch zugleich wie eine geheimnisvolle, wonnige Offenbarung ist der Sabbath eingezogen in die Herzen und in die Stuben, und hat alles Dunkel und alle Ärmlichkeit der Wochentage aus ihnen verscheucht. Heute ist jede Kammer erleuchtet und jeder Tisch gedeckt und jedes Herz selig. Der Thoralehrer hat des Hungers vergessen, der Wasserträger der harten Arbeit, der Dorfgeher des Hohnes und der Schläge, und der reiche Wucherer der Prozente. Heute sind Alle gleich und Alle gläubige, fröhliche, demütige Söhne eines Vaters. Das dürftige Talglicht im Thonleuchter und die Wachskerze im silbernen Kandelaber bescheinen dasselbe Bild. Die Töchter des Hauses und die kleinen Knaben sitzen still da und sehen der Mutter zu, die nach altem schönem Brauch ihren Segen über die Sabbathlichter spricht, der Vater langt vom Bücherbrett das mächtige Gebetbuch und giebt es seinem ältesten Knaben, daß er es ihm bis zum Thore der Synagoge nachtrage. Dann treten sie auf die Gasse; die Männer gehen mit den Männern, die Weiber mit den Weibern, wie es die strenge Sitte fordert. Sie sprechen nicht viel mit einander und das wenige ernst und ruhig.
Heute wird keine Klage laut und kein Jubelruf, denn in ihrem Innern ist es Sabbath, tiefer, heiliger Gottesfriede ...
Auch in dem großen weißen Hause gegenüber dem Kloster strahlen die Sabbathlichter. Aber eine fremde Hand hat sie entzündet und kein frommer Frauenmund spricht den Segen über sie. In der guten Stube prangt das feinste Linnen auf den Tischen und reicher schwerer Hausrat an den Wänden, doch kein frohes Kinderlachen klingt darin und kein liebes Wort. Nur die vielen Kerzen knistern leise im Verbrennen und das giebt einen traurigen Ton.
Aber der alte Mann, der nun im Festtagsgewand in die Stube tritt, ist der Einsamkeit und dieser Töne schon seit Jahren gewohnt, seit langen, ewig langen fünf Jahren. Früher freilich hat er oft um sich blicken und lauschen müssen, ob die liebe Stimme nicht wieder klinge. Denn ein solcher Abend war es ja, da sein Kind von ihm gegangen. Heute jedoch schreitet er rasch durch die Stube, nimmt das schwere, ledergebundene Buch vom Brette und verläßt eilig das Haus. Oder fürchtet er gerade heute die Geister der Erinnerung, die ihm aus allen Ecken und Enden der einsamen, lichtbestrahlten Stube aufsteigen müssen?!
Wenn dem so, dann ist es thöricht, ihnen entfliehen zu wollen, Moses Freudenthal! Sie heften sich an deine Fersen und sie umschwirren dein Haupt, magst du noch so rasch dahineilen durch die engen, dämmerigen Gäßchen. Sie klingen in deinen Ohren, magst du es auch versuchen, mit den Begegnenden zu plaudern, sie stehen vor deinen Augen, magst du auch noch so gläubig aufblicken zu den Weihetäfelchen an den Pfosten des Gotteshauses! Und wie du durch die Reihen schreitest und dich auf deinen Sitz niederlassest, da schlagen sie vollends die Flügel über deinem Haupte zusammen und sie blicken dich an aus den Lettern deines Buches und sie rufen dir zu aus den Stimmen der Beter! ...
»Jubelt vor Gott! Brechet aus in Freude, in Jubelklang und Sang.
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