Er ist und ist Allen, auch Denen, die ihn leugnen!« Er hatte sich erregt erhoben, und als er so im Mondlicht vor Moses stand, überkam es diesen seltsam; ihm wars, als leuchte das Antlitz des Mannes. Er wußte nicht, wie ihm geschah, er mußte auf das Bild des Gekreuzigten blicken, das drüben im Klostergarten stand und sich in dem hellen Lichte scharf abhob vom dunklen Nachthimmel. »Und Der dort?« mußte er fragen und erschrak fast, als er es gesprochen. – »Der dort,« erwiderte der Meschumed und die Stimme klang wunderbar wehmütig und weich, »der dort war ein edler und großer Mensch, vielleicht der beste, der je auf Erden gewandelt. Aber er ist tot und sein Geist ist erstorben, erstorben auch in Jenen, die ihn ihren Erlöser nennen! Die Thörichten – nur durch sich selber wird der Mensch erlöst, durch sich und in sich ...« Er hielt inne, auch Moses schwieg. So saßen die beiden Männer eine Weile stumm neben einander, Jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann fragte Moses: »Und was wollt Ihr mit dem Kinde?« – »Ich will sein Lehrer werden,« erwiderte Schlome, »denn ich habe es sehr lieb gewonnen in den seltenen Stunden, wo ich es sprechen durfte. Und glaubt mir, das ist kein gewöhnliches Kind! O wäre es doch ein Knabe! habe ich oft denken müssen und doch gleich wieder, – Ihr wißt vielleicht, warum – es ist gut, daß es ein Mädchen ist. Denn in diesem Kinde lebt ein großer Hunger nach Wissen und ein seltsames Ahnen des Lichts ...« Aber abwehrend unterbrach ihn der Andere: »Ihr träumt, Schlome! Esther ist kaum neun Jahre alt, und ich, der Vater, habe nie dergleichen bemerkt.« – »Weil Ihr es nicht sehen wollt,« war die Antwort, »oder, verzeiht mir, nicht sehen könnt! Ihr haltet es für Träumerei oder Narrheit, oder meint, es sei Kinderart so. Ich aber weiß, was es heißt, solches Sehnen im einsamen jungen Herzen zu tragen. Glaubt mir, es wäre Frevel, ließet Ihr all' das verkommen, was da emporkeimt. Und darum bitte ich Euch: erlaubt, daß ich Esthers Lehrer werde!« Und wieder war es lange still unter den Männern. Dann endlich erwiderte Moses: »Ich kann nicht, Schwager, ich darf nicht, auch wenn ich wollte. Nicht Euretwegen muß ich so sprechen; von Euch will ich alles Gute glauben und ebenso von dem, was Ihr das Kind lehren würdet. Aber es paßt nicht für meine Tochter. Sie soll ein einfach jüdisch Kind bleiben; ich will es so und es wird so sein. Was soll sie Fremdes erfahren, was ihr Herz sehnsüchtig machen kann und traurig? Mein Kind soll ein frommes, schlichtes Weib werden; es ist das Beste für sie und darum eben will ich es so. Daß sie einen reichen, angesehenen Mann bekommt, dafür hab' ich gesorgt.« – »Ja!« erwiderte der Meschumed und zum ersten Mal in dieser Unterredung klang seine Stimme bitter und herbe, »ja! Ihr seid sehr reich und habt Recht: so habt Ihr auch für einen reichen Eidam gesorgt. Das Mädchen ist nun neun Jahre alt; in sechs, sieben Jahren werdet Ihr ihm den reichsten und frömmsten Jüngling in der Runde aussuchen, oder auch einen Wittwer, wenn der noch reicher und frömmer ist. Sie wird ihn freilich nicht kennen, aber das thut ja nichts, dazu hat sie nach der Hochzeit Zeit genug! Dann wird sie ihn vielleicht fürchten oder hassen oder er wird ihr gleichgültig sein. Aber auch das thut nichts! Denn wozu braucht ein jüdisch Weib die Liebe?! Doch nur, um Gott zu lieben und seine Kinder und – o daß ich's nicht vergesse! – sein bischen Reichtum!« – »Ich verstehe Euch nicht,« sagte Moses zögernd, wie erstaunt. – »Ihr versteht mich nicht?« rief der Andere und erhob sich erregt. »So könnt Ihr sprechen? Ihr?! O Schwager – denkt an meine Schwester!« Moses Freudenthal zuckte auf wie ein Wild, das ein Schuß ins Herz getroffen. Er wollte zürnend erwidern, er wollte den fremden Mahner wegweisen von der Schwelle. Aber er konnte es nicht. Er mußte sein Haupt beugen vor dem Blicke des verachteten, gemiedenen Mannes; er mußte nach langem Kampfe leise, tief aufatmend, sagen: »Es war nicht meine Schuld!« – »Nein,« sprach der Meschumed und seine Stimme klang wieder mild und ruhig, »nein, es war nicht Eure, es war Eures und meines Vaters Schuld. Aber was Ihr an Eurem Kinde thut, das lastet auf Euch, nur auf Euch!« Und als der erschütterte Mann nichts zu erwidern vermochte, fuhr er fort: »Verhärtet nicht Euer Herz, auf daß Ihr nicht frevelt. Denkt an das Wort, das geschrieben steht: ›Gebet zu trinken Denen, die es dürstet!‹ Schwager, darf ich Eurem dürstenden Kinde das Licht und das Leben zeigen?!« Auch darauf hatte dieser nichts zu erwidern vermocht, aber am nächsten Tage ging die seltsame, fast unglaubliche Kunde durch die Gasse, Moses Freudenthal habe sich mit Schlome, dem Meschumed, versöhnt und ihm sogar sein einziges Kind anvertraut.
Das war die Stunde, deren sich der einsame, alte Mann in der Synagoge erinnert, der er aus tiefster Seele geflucht. Und die Erinnerung an diese Sunde folgte ihm auch, als er sich nun mit den anderen Betern erhob und hinaustrat in die lichte Frühlingsnacht. Die engen Gassen waren voll Leben; aus den Fenstern fiel heller Lichtglanz; in den Hausthüren standen die Kinder und die Mädchen und erwarteten ihre Eltern.
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