„Das glaube ich nicht. Warum sprachst du denn mit diesem Burschen hier so freundlich? Ah, da sehe ich ja noch etwas, etwas höchst Interessantes!“

Mit diesen Worten trieb der Kosak sein Pferd mit einigen Sätzen an das Gebäude und unter ein einzelnes Fenster, das offenstand, blickte aufmerksam hinein und kam dann wieder herbei.

„Gestern ritt ich hier vorüber“, sagte er. „Es war spät am Abend, und alles schlief. Darum konnte ich euch nicht mehr begrüßen. Aber dort hinter den Scheiben brannte ein Licht, und als ich hineinschaute, sah ich ein Brot, einen Käse und auch Wurst, ein Stück Rolltabak und Streichhölzer. Wem gehörte das?“

„Da mußt du den Vater fragen“, antwortete Mila. „Ich rauche nicht Tabak.“

„Donnerwetter!“ fluchte der Kosak. „Meint ihr etwa, ich wisse nicht, für wen das alles bestimmt ist? Wenn ich nun zum Beispiel ins Meldebuch eintrüge: ‚Bei Peter Dobronitsch werden des Nachts 'die armen Leute' nicht nur gespeist, sondern sie bekommen auch Tabak geschenkt.‘ Was sagst du dazu?“

„Gar nichts. Hast du vielleicht die ‚armen Leute‘ gesehen, die wir speisen?“

„Nein, noch nicht, denn ich habe nur dir zuliebe ein Auge zugedrückt. Nun aber, da ich dir in allem so gleichgültig bin, werde ich die Augen desto besser aufmachen und dann vielleicht noch ganz andere Meldungen eintragen können.“

„Schwerlich.“

„O gewiß. Vielleicht werde ich da schreiben: Mila Dobronitsch ist der berüchtigte ‚Engel der Verbannten‘.“

Das war natürlich nur ein Hohn, denn der Kosak konnte keine Ahnung haben von dem Verhältnis Milas zu Karpala, aber dennoch war es dem schönen Mädchen gar nicht wohl zu Mute – um des Sängers willen, der scheinbar gleichgültig am Baum lehnte und ganz so tat, als ob außer ihm gar niemand vorhanden sei. Sie gab sich Mühe, ein heiteres Lachen hören zu lassen, und antwortete:

„Ich wollte, ich wäre dieser Engel. Wer wollte nicht gern ein Engel sein?“

„Dieser Engel aber handelt gegen das Gesetz. Wenn er in unsere Hände gerät, so wird es ihm schlecht ergehen. Vielleicht hält auch dieser Bursche da dich für einen Engel. Wenigstens standet ihr vorhin, als ich kam, so eng beieinander, als ob ihr schon im Himmel wärt. Was ist er denn?“

„Ein Sänger. Du siehst ja, daß er die Balalaika mit sich hat. Er ist eben hier angekommen.“

„So, so! Den muß ich mir doch etwas genauer betrachten. Ich kenne alle Sänger fünfhundert Werst in der Runde, aber diesen habe ich noch nicht ein einziges Mal gesehen.“

Der Kosak wandte sich dem Genannten zu und nahm ihn mit einem langen, forschenden Blick in Augenschein.

Der Sänger hielt denselben ruhig und gleichmütig aus. Er lehnte still an dem Baum und tat gar nicht, als ob er wisse, daß er einer so scharfen, eingehenden Prüfung unterzogen werde.

Mila hingegen fühlte sich in diesem Augenblick von schwerer, innerer Sorge bedrückt.

Er war ja ein Flüchtling; er war gekommen, um die Hilfe des ‚Engels der Verbannten‘ anzurufen. Und dennoch, als sie ihn so ruhig, so gleichgültig dastehen sah, als ob die Rede des Wachtmeisters ihn gar nichts angehe, da war es ihr, als ob alle Sorge um ihn doch nur unnütz sei.

„Nun“, sagte der Kosak in strengem Ton zu ihm, „hörst du nicht, daß ich von dir rede? Kannst du nicht antworten?“

Der Sänger warf ihm einen Blick zu, in dem ebensowohl Erstaunen wie auch Geringschätzung lag. Er antwortete nur dadurch, daß er leicht die Achsel zuckte.

„Nun, bist du taub?“ rief der Wachtmeister zornig.

Jetzt hielt der Sänger es für geraten, zu antworten:

„Man pflegt doch erst dann eine Antwort zu geben, wenn man gefragt wird.“

Das klang so stolz, so zurückweisend, als ob Alexius mit einem Untergebenen gesprochen habe. Der Wachtmeister fixierte ihn daher erstaunt und entgegnete in zornigem Ton:

„Ich habe dich ja gefragt!“

„Nein. Du hast selbst gesagt, daß du nur von mir gesprochen hast. Hörst du, von mir, aber nicht mit mir. Es ist nicht meine Eigentümlichkeit, etwas dazu zu sagen, wenn der erste beste Mensch von mir redet.“

„Oho! Ich der erste beste Mensch! Schau mich nur an, so wirst du gleich sehen, wer und was ich bin!“

Der Sänger tat so, als ob er dem Kosaken erst jetzt einen Blick gönne, betrachtete ihn noch schärfer und forschender als vorher und antwortete:

„Ja, das sehe ich freilich. Du bist ein Kosak. Aber was ist das weiter? Wir Sänger sind freie Leute. Uns hat kein Mensch etwas zu befehlen.“

„Demjenigen freilich nicht, der wirklich ein Sänger ist.