Die Nase des Michelangelo

Ball, Hugo

Die Nase des Michelangelo

 

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Hugo Ball

Die Nase des Michelangelo

Tragikomödie

 

Personen.

Michelangelo Buonarotti, Bildhauer und Maler.

 

Pietro Torrigiano, ein anderer Bildhauer.

 

Benvenuto Cellini, ein junger Edelmann.

 

Der Papst.

 

Römer. Pilger.

 

Schüler des Michelangelo und Gefolge des Papstes.

 

Ort der Handlung:

Die Werkstätte des Michelangelo zu Rom.

 

 

Erster Auftritt

MICHELANGELO allein.

Was sträubst du dich noch länger? Ists nicht wahr, daß du

Die Zähne schon verlierst? Daß du aus Leder nur

Und Knochen noch bestehst, und drei Pfund schwerer wiegst,

Weil du die Blase voller Steine hast? Fehlts an

Beweisen für dein Greisentum? 's gab eine Zeit,

Da du noch Bergeshäupter untern Hammer nahmst

Und dich bezähmen mußtest, auf der Straße nicht,

Wenn dir ein mißgestaltet Leib begegnete,

An ihm dein Handwerkszeug zu prüfen. All das ist

Vorbei. Jetzt bist du nichts mehr als ein Wiederkäuer

Des eignen Selbst und der Vergangenheit. Da ist

Er wieder, Torrigiano! »Torrigiano, laß

Mich los! Du würgst mich, Torrigiano,« schreie ich.

Was schreckt mich dieser Name immer wieder auf?

Ein Klümpchen Watte, fest ins Ohr gepfropft, hätt einst

Genügt, derartiges Gespenst zu scheuchen. Jetzt

Hat Freund Cellini Grund, voll steter Eifersucht

Sein Götzenbild Buonarotti zu behüten.

Zermürben wills. – Und doch ist alles Selbstbetrug!

Da humpelst du halblahm auf einem Bein herum

Nach sieben Jahren Pinselstrich im Tempel der

Sixtina. Fiedelbogenkrumm noch vom Gerüst,

Das gestern erst zerfiel, schleppst du den Körper kaum!

Dein Auge hat sich, stets der Kuppel zugewandt,

Den Himmel angewöhnt, wie das des Bettelmönchs.

Was Greisentum! Ist deine Hand nicht Schöpferin

Von einem Werke noch, das, wenn dus morgen nur

Enthüllst, dem Papst die volle Würde erst verleiht?

Besinn dich! Lächerlich! Es ist Verdauenszeit!

Da quälst du dich. Ein andrer holt die Flöte her.

Drum aufgepaßt! Denn da er nicht verkommen ist,

So kommt er noch, der Nasenschlächter Torrigiano!

TORRIGIANO herein und sinkt ins Knie.

Was zieht mich auf den Boden hin? Ich will nicht knien!

Ists die Beklemmung? Nein, denn auf der Brust hier steckt

Der Schutzbrief eines Königs! Ists die Ehrfurcht? Doch

Ich habe ja erfahren, wie den Lorbeerkranz,

Und auch wie man den Heiligenschein erwirbt! Es ist

Der Heimatboden, der dich wieder rings umgibt,

Und zu sich niederzwingt! So faß dich, Torrigiano.

MICHELANGELO vor einer zerschlagenen Statue.

So kommt er noch. Geputzt hat ihn das Elend nicht!

Der Haufe Schutt verräts in dem und jenem Brocken.

In England kaufen sie sein Werk, zerschlagen es

Und schicken mirs als Huldigung mit dem Vermerk,

Er sei nach Rom her unterwegs, der Torrigiano,

Und deshalb täten sies. Schön Dank dafür! – Gebein

und Rumpf sind Gassenzeug; doch das Gebiet, wo man

Die Brille denken kann im Antlitz, meißelt er!

Was gibts?

TORRIGIANO.

Besuch!

MICHELANGELO.

Sehr ehrenhaft; doch wenn Ihr mit

Mir speisen wollt – es ist die Zeit – so müßt Ihr Euch

Mit Traub und Dattel schon genügen lassen, Bester!

TORRIGIANO.

Ich wählte keine andre Stunde, weil ich Euch

Allein zu treffen hatte.

MICHELANGELO.

Daß mir Muße blieb,

Gehörig zu Befehl zu sein. Verstehe schon

Den Herren Edelmann. Er kommt vom Norden her?

TORRIGIANO.

Bin weder Edelmann, noch auch ein Bärentreiber.

Mein Name –

MICHELANGELO.

Wer hält Namen im Gedächtnis? Nun,

Ihr kommt mir angenehm. Den Stock, mit dem ich sonst

Hantiere, hab ich zwar verlegt –

TORRIGIANO.

Was soll das?

MICHELANGELO.

Doch

Geht her! Da seht Ihr gleich Homers Odysseus zum –

TORRIGIANO.

Einen Odysseus, wie?

MICHELANGELO.

Warum erstaunt Ihr? Zum

Exempel als ein Stück, das zwar –

TORRIGIANO.

zertrümmert ist

Und doch aus Michangeloscher Hand! Er tuts,

Wenn ihn der kleinste Zehennagel nicht befriedigt.

MICHELANGELO.

– zertrümmert ist und doch den Hammer zücken hätt

Gedurft auf jene Lumpe, die sich ihm genaht!

Es kommt aus England her, schon mit dem Todesstreich

Aus Nebelgegenden stammt Euer Bart ja auch –

TORRIGIANO.

Aus England her?

MICHELANGELO.

Und sollte eine Huldigung

Mir sein, weil es die Arbeit eines Mannes ist,

Der mir die Nase einst zum Klumpen schlug. Ihr könnt

Die Narbe des entstellten Gliedes heut noch sehn,

Doch zu verächtlich ist mir solche Huldigung,

Ein Zeichen aus Barbarenland. – Was hats mit Euch?

Ihr krallt die Nägel in den Tisch und werdet fahl?

Mein Wort galt Euren Vettern auch, nicht Euch allein!

TORRIGIANO.

Hört auf! Ihr irrt. Ich kenne den, ders meißelte.

Wenn ich erschrocken bin, ists, weil mich, was ich seh,

Zu unerwartet trifft; fast wie ein Ahnungsblitz,

Voll eines Schicksalklangs aus Grauen und Gelächter.

Da ist ein Mann, der nur ein Nasenbein zerschlug,

Der dafür in den Tod gehöhnt wird und der doch,

Ihr selber sagts, berufen war, gekrönt zu werden.

Ein Mann, der als ein Knabe einen Knaben schlug

Im Hain des Medici Magnifico, weil er

Den Spott auf eine Kunst nicht länger duldete,

Die schlechter war als Eure, doch auch fleißiger,

Und der dafür wie an das Scheunentor der Kauz,

An Eures Ruhmes Wand genagelt werden soll.

MICHELANGELO.

Du kennst ihn? Bist sein Freund? Wohl gar vorausgeschickt,

Im bösen Rom dich umzusehen, ob man es

Betreten könne? Daß die Vorsicht angebracht

War, das bewies dir also jüngst der Volksaufstand,

Als das Gerücht verbreitet war, dein Freund sei hier,

Der Papst es aber närrisch fand, die Stadt nach ihm

Bis in die Katakomben zu durchstöbern. Was

Dir denn noch fehlt, vernimm! Wohl ist die Nase nichts

Als ein Kanal, den jedes Schnupftuch trocknet. Ich

Jedoch bin Bonarotti, aller Menschenform

Gestalter und Verklärer, der am eignen Leib

Sein Leben lang Verunstaltung zu schleppen hat.

Die latschenhafte Häßlichkeit der Nase schafft

Mir Spott, und Hohn soviel ich Feinde habe; geh

Ich auf der Straße, bildet sich von Lachern, die

Den Lippenmuskel fletschen, ein verflucht Spalier.

Dafür ist seiner Buße Maß mir noch nicht voll

Genug; ganz zu geschweigen, daß es Leute gibt,

Die ihres Meisters Qualen tiefer fühlen als

Der Meister selbst, und daß somit von mir allein

Nicht abhängt, wie es ihm ergeht, wenn er in Rom

Erscheint. Das sage ihm! Du selbst nimm dich in acht:

Die sieben Hügel tragen ein gefährlich Pflaster!

Weich meinen Schülern aus und spute dich davon!

TORRIGIANO.

Das sagst du einem Späher. Doch zum zweiten Mal

Irrst du. Ich bin Pietro Torrigiano selbst.

Sieh her! Wer zeichnet so?

 

Zieht ein Blatt hervor.

 

MICHELANGELO.

Nur einer! Ja, du bists.

TORRIGIANO.

So siehst du, daß man dreißig Jahre im Exil

Verkommen kann und doch dann seinen Mann noch stehn!

MICHELANGELO.

Was kamst du her nach Rom?

TORRIGIANO.

Ein König fand sich: da

Erkannt ich, wer ich bin.

MICHELANGELO.

Was willst du?

TORRIGIANO.

Abrechnung

Mit dir, wies Männern ziemt! Die Wiedereinsetzung

In seinen Staat vom Papst, und Rechenschaft will ich

Von deinem Anhang, der mit purem Schall mir stets

Die Existenz umblies.

MICHELANGELO.

Du hoffst dir?

TORRIGIANO.

Menschlichkeit,

MICHELANGELO sarkastisch.

So sprich! Ich bin die erste deiner drei Instanzen.

TORRIGIANO.

Erinnere dich! Was wars für eine Freveltat

Die ich an dir verübt? Es war noch zu Florenz.

Wir saßen vor den Fresken des Masaccio. Mit

Viel Fleiß und Schweiß, wir andern. Du, der Ältere, warst

Des Fürsten Liebling, kamst mitunter, sahst uns zu.

Dann gingst du im Gefühl der Überlegenheit

Von Brett zu Brett und ließest deinen Überfluß

Satirischen Gewitzels los. Zur Fledermaus,

Wie sie die Buben spannen, ward mit einem Zug

Der Kruzifixus. Die Madonna wandelte

Sich um zu einer Marketenderin, die statt

Des Leichnams einen Schnapsbetrunknen koste. Längst

Für jene andern hatte sichs in mir empört.

Ich sah sie mühsam immer nach dem Höchsten ringen.

Da sollt es sein: Du kamst auch mir zu nah und ich

Verstand den Spaß nicht: Als mein Brett mir eine Waffel

Wies, wo die Nase Petri vorher stand, da flog

Dir meine Faust ins Angesicht und du fielst um.

MICHELANGELO.

Daß ich für tot hinweggetragen ward!

TORRIGIANO.

Nun mußt

Ich fliehn und floh von Stadt zu Stadt: zuerst nach Rom,

Dann nach Venedig.