Die neununddreissig Stufen

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Zum Buch

John Buchan

 

Die neunundreißig Stufen

 

Roman Am dem Englischen von

Maria Hackel

Illustrationen von

Edward Gorey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diogenes

 

Titel der englischen Originalausgabe

>The Thirty-Nine Steps<

Hodder & Stoughton, London 1930

Die deutsche Erstausgabe

erschien 1967 im Diogenes Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch, 1975

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Alle Rechte an den Illustrationen vorbehalten

Copyright © 1967 by

Diogenes Verlag AG Zürich

6o/77/E/2

ISBN 3 257 20210 5

 

 

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EIN TOTER

 

 

Gegen drei Uhr kam ich an jenem Nachmittag aus der Stadt zurück, und das Leben machte mir keinen Spaß mehr. Seit drei Monaten war ich nun wieder in der alten Heimat, und ich hatte sie bis obenhin satt. Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, so werde es kommen, dann hätte ich ihn ausgelacht; aber es war tatsächlich so gekommen. Das Wetter ging mir an die Nieren, das Geschwätz der Durchschnittsengländer ödete mich an, ich kam nicht genug an die frische Luft, und was London an Vergnügungen zu bieten hatte, kam mir so fade vor wie Sodawasser, das in der Sonne gestanden hat. >Richard Hannay<, sagte ich mir ein Mal ums andere, >du bist auf ein totes Gleis geraten, alter Freund; sieh zu, daß du davon weg kommst.<

Ich biß mir auf die Lippen, wenn mir die Pläne einfielen, die ich während der letzten Jahre in Bulawayo geschmiedet hatte. Ich hatte mein Schäfchen im trocknen - kein sehr großes Schäfchen, aber groß genug für mich; und ich hatte mir alles mögliche ausgedacht, wie ich mir das Leben höchst angenehm machen wollte. Mein Vater hatte mich bei der Auswanderung von Schottland nach Rhodesien mitgenommen, als ich sechs Jahre alt war, und seitdem war ich nicht daheim gewesen. Darum war England für mich wie ein Märchen aus >Tausendundeine Nacht<, und ich hatte gehofft, mein weiteres Leben dort verbringen zu können. Aber ich war von Anfang an enttäuscht. Nach etwa einer Woche hatte ich genug von den Sehenswürdigkeiten und nach weniger als einem Monat auch von Restaurants, Theatern und Rennen. Ich hatte keinen rechten Freund, mit dem ich mich herumtreiben konnte, das war wahrscheinlich der Grund. Es gab genug Leute, die mich einluden, aber ich schien sie nicht besonders zu interessieren. Sie fragten mich ein- oder zweimal flüchtig nach Südafrika, und dann redeten sie von ihren eigenen Angelegenheiten. Eine ganze Reihe von Damen, die auch eine Zeitlang irgendwo im britischen Empire gelebt hatten, bat mich zum Tee, um mich mit Schullehrern aus Neuseeland und Redakteuren aus Vancouver bekannt zu machen -und das war das Trübseligste, was man sich vorstellen kann.

Da war ich nun, siebenunddreißig Jahre alt, kerngesund, hatte Geld genug, das Leben zu genießen, und brachte den ganzen Tag lang vor Gähnen den Mund nicht mehr zu. Ich war schon fast entschlossen, abzuhauen, zurück ins Veld, in die unbesiedelten Landstriche von Südafrika, denn im ganzen Vereinigten Königreich gab es niemanden, der sich so langweilte wie ich.

An jenem Nachmittag hatte ich meine Börsenmakler wegen Geldanlagen geplagt, nur um irgend etwas zu denken zu haben, und auf dem Heimweg schaute ich in meinen Klub hinein - eine bessere Kneipe, wo Leute aus den Kolonien als Mitglieder aufgenommen wurden. Ich bestellte einen Whisky-Soda und las die Abendzeitungen. Sie waren voll von den Unruhen im Nahen Osten, und es stand ein Artikel über Karolides, den griechischen Ministerpräsidenten, darin. Diesen Burschen mochte ich eigentlich gern. Nach allem, was man hörte, schien er der einzige Mann von Format in dem ganzen Theater zu sein; und er spielte mit ungezinkten Karten, das war mehr, als man von den meisten anderen sagen konnte. Ich hatte den Eindruck, daß er in Berlin und Wien ganz hübsch verhaßt war, daß wir ihm aber die Stange hielten, und eine Zeitung war der Ansicht, er sei der einzige Schutzwall zwischen Europa und einem Weltkrieg. Ich weiß noch, ich dachte darüber nach, ob ich mir nicht irgendwo da unten Arbeit suchen sollte. Albanien, das schien mir das Land zu sein, wo einem das Gähnen vergehen könnte.

Gegen sechs Uhr ging ich nach Hause, zog mich um, speiste im Café Royal und ging dann in ein Kabarett. Es war eine blöde Vorstellung, nichts als alberne Frauen und Männer mit Affengesichtern, und ich blieb nicht lange. Die Nacht war schön und klar, als ich zu der Wohnung zurückging, die ich in der Nähe vom Portland Place gemietet hatte.

Die Menge drängte sich auf dem Gehweg, geschäftig und geschwätzig, und ich beneidete die Leute darum, daß sie etwas zu tun hatten. Diese Ladenmädchen und Büroangestellten und Stutzer und Polizisten hatten alle irgendein Interesse im Leben, das sie in Gang hielt. Ich gab einem Bettler eine halbe Krone, weil ich ihn gähnen sah - er litt wie ich. Am Oxford Circus blickte ich in den Frühlingshimmel hinauf und tat ein Gelübde: noch einen Tag lang wollte ich der alten Heimat die Chance geben, mich irgendwie einzurangieren; wenn nichts geschah, würde ich das nächste Schiff nach Kapstadt nehmen.

Meine Wohnung war im ersten Stock eines Neubaus hinter dem Langham Place. Das Haus hatte einen gemeinsamen Treppenaufgang mit Portier und Liftmann am Eingang, aber es gab kein Restaurant oder dergleichen, und jede Wohnung war von den anderen ganz getrennt. Ich mag keine Bedienten bei mir wohnen haben, deshalb hatte ich einen Diener engagiert, der nur tagsüber da war. Er kam jeden Morgen um acht Uhr und ging gewöhnlich um sieben Uhr abends fort, denn ich war zum Dinner nie zu Hause.

Ich steckte gerade den Schlüssel ins Schloß, als ich jemanden dicht neben mir bemerkte.