Anziehender erschien mir jetzt das grüne Land hinter dem Hügelkamm, denn dort würde ich Gehölze finden und Häuser, aus Steinen erbaut.

Gegen sechs Uhr abends kam ich aus dem Moorland heraus auf ein weißes Straßenband, das sich im engen Tal eines Baches hinaufwand. Als ich ihm folgte, wichen die grünen Felder vor einem Hang zurück, die Schlucht weitete sich zu einer Hochfläche, und alsbald hatte ich eine Art von Paß erreicht, wo ein einsames Haus in der Dämmerung aus seinem Schornstein rauchte. Die Straße schwang sich über eine Brücke, und am Brückengeländer lehnte ein junger Mann.

Er rauchte eine lange Tonpfeife und sah aus bebrillten Augen nachdenklich ins Wasser. In der linken Hand hielt er ein kleines Buch, ein Finger diente ihm als Lesezeichen. Langsam sagte er vor sich hin:

»Wie wenn der Greif mit Flügelschritt durch Wildnis, über Berg und moor'ges Tal den Arimaspian verfolgt.«

Er schrak zusammen, als mein Schritt auf dem Pflaster der Brücke erklang, und ich blickte in ein sympathisches, sonnenverbranntes, knabenhaftes Gesicht.

»Guten Abend«, sagte er ernsthaft. »Ein schöner Abend zum Wandern.«

Der Geruch von Torf rauch und von einem leckeren Rostbraten wehte mir vom Hause entgegen.

»Ist das hier ein Gasthaus?« fragte ich.

»Zu Diensten«, antwortete er höflich. »Ich bin der Eigentümer, und ich hoffe, Sie bleiben über Nacht, denn, um ehrlich zu sein, ich habe eine Woche lang keine Gesellschaft gehabt.«

Ich hockte mich auf das Brückengeländer und stopfte meine Pfeife. Ich witterte einen Verbündeten.

»Für einen Gastwirt sind Sie etwas jung«, bemerkte ich.

»Mein Vater ist vor einem Jahr gestorben und hat mir dies hier hinterlassen. Ich lebe hier mit meiner Großmutter zusammen. Für einen jungen Mann ist es eine langweilige Sache, und ich habe mir den Beruf nicht ausgesucht.«

»Was hätten Sie denn gewählt?«

Er wurde wahrhaftig rot. »Ich möchte Bücher schreiben«, sagte er.

»Und was könnte dafür wohl besser sein?« rief ich aus. »Mann Gottes, wie oft habe ich schon gedacht, ein Gastwirt könnte der beste Geschichtenerzähler der Welt sein!«

»Jetzt nicht mehr«, erwiderte er eifrig. »Vielleicht früher, als es Pilgrime gab und Balladensänger und Straßenräuber und Postkutschen auf der Straße. Aber jetzt nicht mehr. Hierher kommt doch nichts als Autos mit dicken Weibern drin, die nur zum Mittagessen bleiben, und im Frühling ein Angler oder zwei und die Jagdpächter im August. Daraus kann man nicht viel machen. Ich möchte das Leben sehen, die Welt bereisen und Geschichten schreiben wie Kipling und Conrad. Aber bisher habe ich nicht mehr erreicht, als daß sie im Chambers' Journal ein paar Gedichte abgedruckt haben.«

Ich betrachtete das Gasthaus, das sich im Sonnenuntergang golden von den braunen Hügeln abhob.

»Ich bin ein bißchen in der Welt herumgekommen, und so ein Erbe würde ich nicht verachten. Glauben Sie, daß man das Abenteuer nur in den Tropen oder unter Leuten mit roten Hemden findet? Vielleicht ist es Ihnen in diesem Augenblick ganz nahe.«

»Das ist genau, was Kipling sagt«, erwiderte er, und seine Augen leuchteten auf. Er zitierte: »Den >Neun Uhr fünfzehn< schickt das Abenteuer ...«

»Jetzt erzähle ich Ihnen mal eine wahre Geschichte«, rief ich, »und in einem Monat dürfen Sie einen Roman darüber schreiben.«

Dort auf der Brücke hockend, in der weichen Dämmerung des Maiabends, spann ich ihm ein wunderbares Garn. Obendrein war es noch großenteils wahr, obwohl ich kleine Einzelheiten änderte. Ich gab mich als den Besitzer einer Diamantmine aus Kimberley aus, der viele Ungelegenheiten mit Diamantenschmugglern gehabt und eine Bande gesprengt hatte. Diese hatte mich über das Meer hin verfolgt und meinen besten Freund ermordet, und jetzt war sie mir auf der Spur.

Ich erzählte die Geschichte wirklich gut, obwohl ich das aus Bescheidenheit selber nicht sagen sollte. Ich beschrieb sehr anschaulich meine Flucht quer durch die Kalahari-Wüste nach Deutsch-Südwestafrika, die knisternd heißen Tage, die herrlichen blausamtenen Nächte. Ich beschrieb einen Mordversuch in einem Rasthaus, dem ich entgangen war, und von dem Portland Place-Mord gab ich einen furchtbar blutigen Bericht. »Abenteuer wollen Sie haben«, rief ich, »also das haben Sie hier aus erster Hand. Diese Teufel sind hinter mir her, und die Polizei ist hinter ihnen her. Und dieses Wettrennen will ich um jeden Preis gewinnen.«

»Beim Himmel!« flüsterte er und schnappte nach Luft, »das ist ja reinster Rider Haggard und Conan Doyle!«

»Sie glauben mir also«, sagte ich dankbar.

»Natürlich glaube ich Ihnen«, er hielt mir die Hand hin. »Ich glaube alles, was ungewöhnlich ist. Das einzige, dem ich nicht traue, ist das Normale.«

Er war sehr jung, aber er war der richtige Mann für mich.

»Ich glaube, im Augenblick haben sie meine Spur verloren, aber ich muß mich ein paar Tage unsichtbar machen.