15 hat sich erschossen. Eben haben sie ihn zur Leichenhalle gebracht. Jetzt ist die Polizei oben.«
Ich stieg zu Nr. 15 hinauf und fand zwei Polizisten und einen Inspektor mit den Untersuchungen beschäftigt. Ich stellte ein paar dumme Fragen, und sie warfen mich hinaus. Dann traf ich Scudders Bedienten und quetschte ihn aus, aber ich merkte bald, daß er keinen Verdacht geschöpft hatte. Er war ein Jammerlappen mit einem Leichenbittergesicht, und eine halbe Krone tröstete ihn schon sichtlich.
Am nächsten Tag war ich bei der gerichtlichen Untersuchung zugegen. Ein Teilhaber eines Zeitungsverlages bezeugte, daß der Verstorbene ihm Angebote für Papierholzmasse gemacht habe und seines Wissens Vertreter einer amerikanischen Firma gewesen sei. Die Geschworenen erkannten auf Selbstmord im Zustand geistiger Umnachtung, und das wenige, was an persönlichem Eigentum da war, wurde dem amerikanischen Konsul ausgehändigt. Ich berichtete Scudder ausführlich, und er war sehr interessiert. Er gäbe was drum, sagte er, wenn er hätte dabeisein können: das wäre wohl so pikant gewesen wie die Lektüre der eigenen Todesanzeige.
Während der ersten beiden Tage, die er in meinem Hinterzimmer verbrachte, war Scudder sehr friedlich. Er las, rauchte und machte sich eine Menge Notizen in einem Taschenbuch, und jeden Abend spielten wir Schach, wobei er mich erbarmungslos schlug. Ich glaube, er kurierte seine Nerven nach der recht anstrengenden Zeit, die hinter ihm lag. Aber am dritten Tag merkte ich, daß er unruhig zu werden begann. Er legte eine Liste der Tage bis zum 15. Juni an und hakte jeden Tag mit Rotstift ab, nachdem er in Kurzschrift Notizen eingetragen hatte. Ich fand ihn ein paarmal tief in Gedanken, die scharfen Augen blickten ins Leere; und nach solchen Meditationen war er meist sehr bedrückt.
Dann merkte ich, daß er allmählich wieder nervös wurde. Er horchte auf kleine Geräusche und fragte mich immer wieder, ob Paddock vertrauenswürdig sei. Ein- oder zweimal war er sehr schlechter Laune und entschuldigte sich dann. Ich nahm es ihm nicht übel. Ich sah ihm alles nach, denn er hatte einen sehr schwierigen Job übernommen.
Um die eigene Haut sorgte er sich nicht, nur um den Plan, den er ausgearbeitet hatte. Dieser kleine Kerl bestand aus purer Entschlossenheit, nirgendwo war eine schwache Stelle. Eines Abends wurde er sehr feierlich.
»Hören Sie, Hannay«, sagte er, »ich glaube, ich sollte Sie etwas gründlicher in die ganze Sache einweihen. Es wäre mir gräßlich, wenn ich draufginge und niemand zurückließe, der weiterkämpft.« Und er begann, mir im einzelnen zu erzählen, was ich bisher nur in großen Zügen von ihm erfahren hatte.
Ich hörte ihm nicht sehr aufmerksam zu. Mich interessierten nämlich seine persönlichen Abenteuer mehr als seine hohe Politik. Ich fand, daß Karolides und seine Angelegenheiten mich nichts angingen, das alles überließ ich ihm. Darum habe
ich eine Menge von dem, was er erzählte, wieder vergessen. Ich erinnere mich, daß er sehr entschieden behauptete, Karolides sei erst dann in Gefahr, wenn er nach London komme, und daß die Gefahr aus den allerhöchsten Kreisen drohe, wo niemand sie im mindesten vermute. Er erwähnte den Namen einer Frau - Julia Czechenyi -, sie habe damit zu tun. Sie werde, so verstand ich ihn, der Lockvogel sein, der Karolides aus der Obhut seiner Leibwache herauslocken werde.
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