Karolides würde zu Hause bleiben, und genau das wollten sie. Auf irgendeine Art hatte der Anblick von Scudders totem Gesicht mich zu seinem Verbündeten gemacht. Er war dahin, aber er hatte mich ins Vertrauen gezogen, und ich fühlte mich durchaus verpflichtet, seine Aufgabe zu übernehmen.

Man mag dies lächerlich finden von einem Mann, dessen eigenes Leben in Gefahr war, aber so sah die Sache für mich aus. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, nicht tapferer als andere, aber es erbittert mich, einen guten Mann unterliegen zu sehen, und das lange Messer dort sollte nicht Scudders Ende sein, wenn ich seine Rolle übernehmen konnte.

Eine Stunde oder zwei brauchte ich, um das gründlich zu überlegen, dann war mein Entschluß gefaßt. Ich mußte irgendwie verschwinden und bis zum Ende der zweiten Juniwoche verschwunden bleiben. Dann mußte ich einen Weg finden, mich mit Leuten von der Regierung in Verbindung zu setzen, und ihnen berichten, was Scudder mir anvertraut hatte. Ich wünschte bloß, er hätte mir mehr erzählt oder ich hätte dem wenigen, was er mir erzählt hatte, aufmerksamer zugehört. Ich wußte nichts als die bloßen Tatsachen. Es bestand ein großes Risiko, daß - selbst wenn ich den anderen Gefahren entging - man mir schließlich nicht glauben würde. Dieses Risiko mußte ich eingehen und konnte nur hoffen, daß etwas geschah, was in den Augen der Regierung meine unglaubhafte Geschichte bestätigte.

Meine wichtigste Aufgabe war, die nächsten drei Wochen durchzustehen. Es war jetzt der 24. Mai, das hieß, daß ich mich zwanzig Tage lang verstecken mußte, ehe ich wagen konnte, mich an die Obrigkeit zu wenden. Ich rechnete damit, daß zweierlei Verfolger mir nachstellen würden - Scudders Feinde, die mich umbringen wollten, und die Polizei, die mir wegen des Mordes an Scudder an den Kragen wollte. Es würde eine verrückte Hetzjagd werden, und seltsamerweise verbesserte diese Aussicht spürbar meine Laune. Ich hatte so lange träge in den Tag hineingelebt, daß fast jede Möglichkeit der Betätigung mir willkommen war. Wenn ich allein da bei der Leiche sitzen bleiben und darauf warten sollte, daß ich Glück hatte - ich würde mir vorkommen wie ein zertretener Wurm; wenn aber mein Leben von meiner eigenen Schlauheit abhing, dann war ich mit Vergnügen dabei.

Mein nächster Gedanke war, ob Scudder irgendwelche Papiere bei sich hatte, die mich besser über seine Angelegenheit unterrichten konnten. Ich zog das Tischtuch weg und durchsuchte seine Taschen - die Leiche hatte nichts Schreckliches mehr für mich. Das Gesicht war wunderbar friedlich für einen Mann, der in einem einzigen Augenblick gefällt worden war. In der Brusttasche fand ich nichts und in der Weste nur ein paar Münzen und eine Zigarrenspitze. Die Hosentaschen enthielten ein kleines Taschenmesser und etwas Silbergeld und die Seitentasche der Jacke ein altes Zigarrenetui aus Krokodilleder. Keine Spur von dem kleinen schwarzen Buch, in das ich ihn hatte Notizen machen sehen. Das hatte zweifellos der Mörder mitgenommen.

Aber als ich aufblickte, sah ich, daß ein paar Schubladen des Schreibtisches herausgezogen waren. Scudder hätte sie nicht so gelassen, denn er war der ordentlichste Mensch, den man sich denken kann. Jemand mußte nach etwas gesucht haben - vielleicht nach dem Taschenbuch.

Ich ging durch die Wohnung, öffnete die Schränke und stellte fest, daß alles durchwühlt worden war - das Innere der Bücher, Schubladen, Kasten, sogar die Taschen der Anzüge in meinem Kleiderschrank und die Anrichte im Eßzimmer. Aber nirgendwo war das Notizbuch. Sehr wahrscheinlich hatte der Feind es gefunden, aber nicht bei Scudder selbst.

Dann holte ich einen Atlas hervor und sah mir eine große Karte der britischen Inseln an. Meine Idee war, mich in irgendeine Wildnis zu verziehen, wo meine Lebenserfahrung im Veld von Südafrika mir weiterhelfen konnte, denn in einer Stadt wäre ich wie eine gefangene Ratte gewesen. Ich dachte, Schottland wäre am besten, denn meine Familie stammte dorther, und man würde mich überall für einen ganz gewöhnlichen Schotten halten. Zuerst dachte ich halbwegs daran, als deutscher Tourist aufzutreten, denn mein Vater hatte deutsche Geschäftspartner gehabt, und ich hatte die Sprache recht fließend sprechen gelernt und obendrein drei Jahre lang in Deutsch-Damaraland nach Kupfer gesucht. Aber dann überlegte ich, daß ich als Schotte weniger auffallen und auch weniger dem entsprechen würde, was die Polizei von meiner Vergangenheit wissen mochte.