Die Mutter de Monc billigte die Bußübungen nicht, die am Leibe vorgenommen wurden, sie hatte sich nur zweimal in ihrem Leben kasteit, einmal am Tage vor der Ablegung meines Gelübdes und einmal bei einer ähnlichen Gelegenheit. Sie wünschte, daß ihre Nonnen sich wohl befänden und gesund an Geist und Körper sein sollten. Das erste, wenn eine Nonne in den Orden eintrat, war, daß sie sich alle Büßerhemden mit den Geißeln bringen ließ, daß sie verbot, die Nahrungsmittel durch Asche zu verderben, auf der harten Erde zu schlafen und sich mit irgend einem dieser Instrumente zu versehen. Die zweite Oberin dagegen schickte jeder Nonne ihr Büßerhemd und ihre Geißel zurück und ließ das neue und das alte Testament einfordern.

Ich war der jetzigen Oberin gleichgültig, um nichts Schlimmeres zu sagen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich der vorigen lieb und wert gewesen war; doch bald verschlimmerte ich mein Schicksal durch einige Handlungen, und zwar erstens dadurch, daß ich mich ganz dem Schmerz überließ, den ich über den Verlust unserer ersten Oberin empfand, weil ich sie bei jeder Gelegenheit lobte, daß ich zwischen ihr und der jetzt waltenden Vergleiche anstellte, die der letzteren nicht günstig waren; daß ich den Zustand des Hauses in früheren Jahren schilderte, daß ich an den Frieden erinnerte, dessen wir uns erfreuten, die Nachsicht, die man für uns besessen, an die geistige wie irdische Nahrung, die man uns damals verabreichte, und indem ich die Sitten, die Gefühle und den Charakter der Schwester de Monc in den Himmel hob. Zweitens warf ich das Büßerhemd ins Feuer und entledigte mich meiner Geißel, machte meinen Freundinnen darüber Vorstellungen und veranlaßte einige, meinem Beispiel zu folgen; drittens verschaffte[38] ich mir ein altes und neues Testament; viertens hielt ich mich streng an die Regel des Hauses und wollte nicht mehr und nicht weniger thun, als dieselbe gebot; infolgedessen ließ ich mich zu keiner über meine Verpflichtung hinausgehenden Handlungen herbei, sang nur, wenn ich Chordienst hatte und stieg nur an Festtagen zur Orgel hinauf. Ich las die Vorschriften, las sie immer wieder und kannte sie schließlich auswendig; wenn man mir etwas befahl, was entweder nicht klar ausgedrückt oder was überhaupt nicht erwähnt war, oder was mir widersinnig erschien, wies ich es mit festem Entschlusse zurück; ich nahm das Buch zur Hand und sagte:

»Hier sind die Verpflichtungen, die ich übernommen habe, und andere bin ich nicht eingegangen.«

Meine Reden machten auch auf andere Eindruck, und die Autorität der Oberin wurde dadurch sehr beeinträchtigt; denn sie konnte nicht mehr über uns, wie über ihre Sklavinnen verfügen. Es verging fast kein Tag, ohne eine aufregende Szene. In ungewissen Fällen fragten mich meine Gefährtinnen um Rat; und ich war stets für die Regel gegen den Despotismus. Ich machte bald den Eindruck einer Aufrührerin und spielte auch ein wenig die Rolle einer solchen. Die Großvikare des Erzbischofs wurden unaufhörlich herbeigerufen; ich erschien vor ihnen, verteidigte meine Gefährtinnen, und nicht ein einziges Mal kam es vor, daß man uns verurteilt hätte.

Trotzdem durchsuchte man meine Zelle und entdeckte darin das alte und das neue Testament. Ich hatte mir unvorsichtige Reden über die verdächtige Vertraulichkeit einiger Favoritinnen entschlüpfen lassen; die Oberin hatte lange und häufige Zusammenkünfte mit einem Geistlichen, und ich hatte den Grund von dem Vorwand zu unterscheiden verstanden. Ich unterließ nichts, was mich gefürchtet, verhaßt machen konnte, und erreichte in der That[39] meinen Vorsatz. Man beklagte sich nicht mehr über mich bei den Vorgesetzten, sondern ließ es sich angelegen sein, mir das Leben schwer zu machen. Man verbot den anderen Nonnen, sich mir zu nähern, und bald sah ich mich allein; ich hatte eine kleine Anzahl von Freundinnen; man vermutete, sie würden sich heimlich für den Zwang entschädigen, den man ihnen auferlegte, und da sie sich am Tage nicht mit mir unterhalten konnten, so würden sie mich in der Nacht oder in verbotenen Stunden besuchen. Man beobachtete uns, man überraschte mich bald mit dieser oder jener; man machte aus dieser Unklugheit ein ungeheures Verbrechen, und ich wurde in der unmenschlichsten Weise dafür bestraft; man verurteilte mich dazu, ganze Wochen die Messe auf den Knieen anzuhören und zwar von den übrigen getrennt; ich mußte von Wasser und Brot leben, mußte in meiner Zelle eingeschlossen bleiben und die niedrigsten Arbeiten des Hauses versehen. Meine sogenannten Mitschuldigen wurden nicht besser behandelt. Wenn man mir keine Schuld nachweisen konnte, so ersann man eine solche; man gab mir gleichzeitig die widerspruchvollsten Befehle und bestrafte mich, wenn ich denselben nicht nachgekommen war; man verrückte die Stunden des Gottesdienstes und der Mahlzeiten; man änderte ohne mein Wissen die ganze Klosterregel um, und trotzdem ich die größte Aufmerksamkeit walten ließ, wurde ich doch tagtäglich für schuldig befunden und tagtäglich bestraft.

Meine Gesundheit hielt diesen langen und harten Prüfungen nicht stand; ich verfiel in Niedergeschlagenheit, Kummer und Schwermut. Ich suchte zu Anfang am Fuße der Altäre Kraft und fand sie auch manchmal dort. Ich schwankte zwischen Entsagung und Verzweiflung hin und her, indem ich mich bald der ganzen Strenge meines Schicksals unterwarf, bald daran dachte, mich durch gewaltsame Mittel von demselben zu befreien. Es befand sich in dem[40] entlegensten Teil des Gartens ein tiefer Brunnen. Wie oft bin ich zu demselben gegangen, wie oft habe ich hinein geblickt! Daneben befand sich eine Steinbank. Wie oft habe ich mich auf dieselbe gesetzt und den Kopf auf den Rand des Brunnens gestützt! Wie oft bin ich im Sturm meiner Gedanken plötzlich aufgesprungen mit dem festen Entschluß, meinen Qualen ein Ende zu machen!

Ich zweifle heute nicht, daß meine häufigen Besuche bei diesem Brunnen bemerkt worden waren, und daß meine grausamen Feindinnen gehofft hatten, ich würde eines Tages den Plan ausführen, den ich im tiefsten Grunde meines Herzens nährte. Mehrere Male fand ich die Gartenthür zu Stunden geöffnet, wo sie geschlossen sein mußte, und merkwürdigerweise an den Tagen, wo man mich ganz besonders gequält hatte; man hatte die Heftigkeit meines Charakters bis aufs äußerste getrieben und hielt mich für geistesgestört. Doch sobald ich erraten zu haben glaubte, daß man dieses Mittel, das Leben zu verlassen, meiner Verzweiflung sozusagen anbot, daß man mich förmlich bei der Hand zu diesem Brunnen führte, da kümmerte ich mich nicht mehr um ihn, mein Geist wandte sich andern Dingen zu; ich hielt mich in den Korridoren und Gängen auf und maß die Höhe der Fenster ab. Abends, wenn ich mich auskleidete, probierte ich unbewußt die Stärke meiner Strumpfbänder, an einem anderen Tage weigerte ich mich zu essen, ging in das Refektorium herunter, blieb dort, den Rücken gegen die Wand gelehnt, mit geschlossenen Augen, und rührte die Speisen nicht an, die man mir hingestellt hatte; ich vergaß mich so vollkommen in diesem Zustande, daß alle Nonnen bereits hinausgegangen waren, während ich noch immer im Saale verharrte. Man zog sich nun möglichst geräuschlos zurück und ließ mich dort, dann bestrafte man mich, weil ich die Religionsübung versäumt hatte.

So weit war ich gekommen, da gedachte ich daran,[41] mein Gelübde ungültig erklären zu lassen. Zuerst dachte ich nur flüchtig daran; jedoch beruhigte mich dieser Gedanke, mein Geist sammelte sich wieder; ich beherrschte mich, vermied allerlei Unannehmlichkeiten und ertrug andere, die mir zustießen, geduldiger. Man bemerkte diese Veränderung und wunderte sich darüber; die Bosheit machte plötzlich Halt wie ein feiger Feind, der uns verfolgt und dem wir im Augenblick, da wir es am wenigsten erwarten, gegenübertreten müssen.

Dadurch, daß man sich beständig mit einer Sache beschäftigt, wird man von ihrer Gerechtigkeit durchdrungen und hält sie schließlich auch für möglich; man fühlt sich sehr stark, wenn man auf diesem Standpunkt angelangt ist. Das war bei mir seit 14 Tagen der Fall, denn mein Geist arbeitet schnell. Um was handelte es sich denn? Eine Denkschrift aufzusetzen und sie einem Rechtsgelehrten zu unterbreiten; beides war nicht ohne Gefahr.