Seit sich in meinem Kopfe eine Umwälzung vollzogen hatte, beobachtete man mich mit größerer Aufmerksamkeit als je und folgte mir mit den Augen; ich that nicht einen Schritt, der nicht belauert wurde, ich sprach kein Wort, das man nicht auf die Wagschale legte. Man näherte sich mir und suchte mich auszuforschen, man heuchelte Mitleid oder Freundschaft, man befragte mich, man sprach mir von meinem vergangenen Leben, man klagte mich nur noch schwach an und entschuldigte mich, man hoffte ein besseres Betragen und schmeichelte mir mit einer schöneren Zukunft. Indessen trat man jeden Augenblick in meine Zelle unter allen möglichen Vorwänden; ganz plötzlich zog man heftig meine Vorhänge auseinander, um dann wieder spurlos zu verschwinden. Ich hatte die Gewohnheit angenommen, angekleidet zu schlafen, auch hatte ich noch eine andere, nämlich meine Beichte niederzuschreiben. In den dazu bestimmten Tagen bat ich die Oberin um Tinte und Papier, was mir nie verweigert[42] wurde. Deshalb erwartete ich ungeduldig den Tag der Beichte und setzte inzwischen in meinem Kopfe alles auf, was ich vorzubringen hatte, stellte jedoch alles unter erdichtetem Namen dar. Dabei aber beging ich drei Thorheiten; erstens sagte ich der Oberin, daß ich vielerlei zu schreiben haben würde und bat sie unter diesem Vorwande um mehr Papier, als man gewöhnlich erhält; zweitens beschäftigte ich mich nur mit meiner Denkschrift und dachte nicht weiter an die Beichte; und drittens schrieb ich gar keine Beichte nieder und hielt mich, da ich mich auf diese religiöse Handlung nicht vorbereitet hatte, nur einen Augenblick im Beichtstuhl auf. Das alles wurde bemerkt, und man schloß daraus, daß das Papier, das ich verlangt, zu einem andern Zweck als dem von mir genannten gedient hatte. Ohne zu wissen, daß man sich damit beschäftigen würde, fühlte ich doch, daß man bei mir ein Schreiben von solcher Wichtigkeit nicht finden durfte. Zuerst dachte ich daran, es in meinem Kopfkissen oder meiner Matratze einzunähen, dann es in meinen Kleidern zu verbergen, es im Garten zu vergraben oder ins Feuer zu werfen. Zunächst versiegelte ich es, dann steckte ich es in den Busen und ging zur Messe, welche eben geläutet wurde. Ich befand mich in einer Unruhe, die sich in meinen Bewegungen verriet. Ich saß neben einer jungen Dame, die mich lieb hatte; ich hatte gesehen, wie sie mich manchmal mitleidig anblickte und Thränen vergoß; sie sprach nicht mit mir, doch gewiß litt sie meinetwegen. Auf die Gefahr hin, daß ich alles verderben konnte, beschloß ich, ihr mein Papier anzuvertrauen. Bei einem Augenblick des Gottesdienstes, bei welchem alle Nonnen auf die Kniee fielen, sich niederbeugten und gleichsam in ihren Betstühlen versinken, zog ich leise das Papier aus dem Busen und reichte es ihr hinter meinem Rücken; sie nahm es und steckte es zu sich. Ich hatte gut daran gethan, diesen Entschluß zu fassen, denn[43] als wir den Chor verließen, sagte die Oberin zu mir:

»Schwester Susanne, folgen Sie mir!«

Ich folgte ihr; dann blieb sie auf dem Gange bei einer andern Thür stehen und sagte:

»Hier ist Ihre Zelle, die Schwester Sainte-Jerome wird die Ihrige bewohnen.«

Ich trat ein und sie mit mir. Wir setzten uns alle beide, ohne zu sprechen, als eine Nonne mit Gewändern erschien, die sie auf einen Stuhl legte, während die Oberin zu mir sagte:

»Schwester Susanne, entkleiden Sie sich, und ziehen Sie dieses Gewand an.«

Ich gehorchte in ihrer Gegenwart, und sie beobachtete alle meine Bewegungen. Die Schwester, welche meine Kleider gebracht, stand vor der Thür; sie trat wieder ein und nahm die, die ich ausgezogen hatte, fort, während die Oberin ihr folgte. Den Grund ihres Benehmens teilte man mir nicht mit, und ich fragte auch gar nicht danach. Indessen hatte man überall in meiner Zelle nachgesucht, man hatte das Kopfkissen, sowie die Matratzen aufgetrennt, hatte alles vom Flecke gerückt, was nur fortzubringen war; man untersuchte meine Fußspuren, ging nach dem Beichtstuhl, nach der Kirche, in den Garten nach dem Brunnen, nach der Steinbank. Doch man fand nichts; trotzdem blieb man überzeugt, es müsse etwas vorhanden sein. Man fuhr fort, mich mehrere Tage hindurch zu beobachten, man ging dorthin, wo ich gegangen war, man schaute überall nach, doch umsonst. Endlich glaubte die Oberin, daß sie die Wahrheit nur durch mich erfahren könnte, und darum trat sie eines Tages in meine Zelle und sagte zu mir:

»Schwester Susanne, Sie haben Fehler, doch der der Lüge gehört nicht dazu, sagen Sie mir also die Wahrheit: Was haben Sie mit all dem Papier gemacht, das ich Ihnen gegeben habe?«[44]

»Madame, ich habe es Ihnen bereits gesagt!«

»Das ist nicht möglich; Sie haben viel Papier von mir verlangt und sind nur einen Augenblick im Beichtstuhl gewesen.«

»Das ist wahr!«

»Was haben Sie also damit gemacht?«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt.«

»Nun gut; schwören Sie mir bei dem heiligen Gehorsam, den Sie Gott geweiht, daß dem so ist, und trotzdem der Schein gegen Sie spricht, will ich Ihnen glauben.«

»Madame, es ist Ihnen nicht gestattet, wegen einer so unbedeutenden Sache einen Schwur zu fordern, und es ist mir nicht gestattet, ihn zu leisten; ich werde nicht schwören.«

»Sie täuschen mich, Schwester Susanne, und wissen nicht, welcher Gefahr Sie sich aussetzen. Was haben Sie mit dem Papier angefangen, das ich Ihnen gegeben habe?«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt!«

»Wo ist es?«

»Ich habe es nicht mehr.«

»Was haben Sie damit angefangen?«

»Was man damit immer macht, wenn man sich seiner bedient hat.«

»Schwören Sie mir bei dem heiligen Gehorsam, daß Sie es gebraucht haben, Ihre Beichte niederzuschreiben und es nicht mehr besitzen!«

»Madame, ich wiederhole Ihnen, da dieser zweite Punkt nicht wichtiger ist als der erste, so werde ich nicht schwören.«

»Schwören Sie mir, oder –«

»Ich werde nicht schwören.«

»Sie werden nicht schwören?«

»Nein, Madame!«

»So sind Sie also schuldig?«

»Und wessen könnte ich schuldig sein?«[45]

»Alles ist Ihnen zuzutrauen; es giebt nichts, dessen Sie nicht fähig sind. Sie haben die Frau gelobt, die meine Vorgängerin gewesen, einzig und allein, um mich herabzusetzen; Sie haben die ganze Klostergemeinde aufgewiegelt, haben gegen die Ordensregel verstoßen, haben die Gemüter entzweit, haben alle Ihre Pflichten verletzt, haben mich gezwungen, Sie und diejenigen zu bestrafen, die Sie verführt haben. Ich hätte in der strengsten Weise gegen Sie verfahren können, doch ich habe Sie geschont, ich dachte, Sie würden Ihr Unrecht einsehen und die Gesinnung Ihres Standes wiederfinden, doch nichts dergleichen ist geschehen. Es geht etwas in Ihrem Geiste vor, das nicht zu Ihrem Heile ist, Sie schmieden Pläne; das Interesse des Hauses verlangt, daß ich dieselben kennen lerne, und ich werde dieselben kennen lernen, dafür stehe ich Ihnen. Schwester Susanne, sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Ich habe sie Ihnen gesagt!«

»Ich werde gehen; fürchten Sie meine Rückkehr ... Ich setze mich, ich lasse Ihnen noch einen Augenblick Zeit, um sich zu entschließen ... Ihre Papiere, wenn solche vorhanden sind ...«

»Ich besitze sie nicht mehr.«

»Oder den Schwur, daß sie nur Ihre Beichte enthielten!«

»Ich kann ihn nicht leisten.«

Sie schwieg einen Augenblick, dann ging sie hinaus und kehrte mit vier ihrer Favoritinnen zurück.