Ich kannte die Wut der Nonnen und teilte meine Ansicht Herrn Manouri mit, der zu mir sagte:

»Es ist unmöglich, Ihnen alle Leiden zu ersparen; Sie werden solche zu erdulden haben und müssen darauf gefaßt sein, deshalb waffnen Sie sich mit Geduld und lassen Sie sich von der Hoffnung aufrecht erhalten, daß diese Qualen ein Ende nehmen werden. Was den Kerker anbetrifft, so verspreche ich Ihnen, daß Sie nicht mehr dahin zurückkehren werden.«

In der That brachte er einige Tage später der Oberin eine Aufforderung, mich jedesmal und so oft vorzuführen, sobald man es von ihr verlangte.

Am nächsten Tage nach dem Gottesdienste wurde ich aufs neue den öffentlichen Gebeten der Klostergemeinschaft empfohlen; man betete stillschweigend und sprach die Hymne vom vorigen Tage. Dieselbe Zeremonie fand am dritten Tage statt mit dem Unterschiede, daß man mir befahl, mich in die Mitte des Chores zu stellen, und die Gebete für die Sterbenden, die Litaneien für die Heiligen mit dem Schlußsatz ora pro ea herzusagen begann. Am vierten Tage fand ein Mummenschanz statt, der den seltsamen Charakter der Oberin ins rechte Licht stellte. Zum Schluß des Gottesdienstes ließ man mich in einen in der Mitte des Chores stehenden Sarg legen, man stellte Kerzen zu beiden Seiten und einen Weihkessel auf und sprach die Totenmesse, worauf jede Nonne, als sie die Kirche verließ, mich mit Weihwasser besprengte und die Worte dazu sagte: »Requiescat in pace«. Zwei Nonnen hoben sodann das Leichentuch auf, löschten die Kerzen aus und ließen mich, bis auf die Haut vom Wasser durchnäßt, mit dem sie mich boshafterweise bespritzt hatten, liegen. Meine Kleider trockneten an meinem Leibe, denn ich hatte[63] keine zum wechseln. Dieser Qual folgte bald eine andere; die Klostergemeinde kam zusammen, man betrachtete mich wie eine Verworfene, mein Schritt wurde als Abfall angesehen, und man verbot allen Nonnen bei Androhung strenger Strafe, mit mir zu sprechen, mir zu helfen, mir zu nahe zu kommen, ja, auch nur sich der Gegenstände zu bedienen, deren ich mich bedient hatte. Die Gänge in unseren Klöstern sind eng, zwei Personen haben an manchen Stellen Mühe, aneinander vorbeizugehen. Schritt ich nun einen solchen Gang entlang, und kam mir eine Nonne entgegen, so drehte sie sich entweder um, oder drückte sich an die Wand und hielt ihren Schleier und die Kleider fest, aus Furcht, sie könnten die meinen berühren. Hatte man etwas von mir entgegenzunehmen, so stellte ich es auf die Erde, und man nahm es mit einem Tuch; hatte man mir etwas zu geben, so warf man es mir zu. Hatte man das Unglück gehabt, mich zu berühren, so glaubte man sich besudelt, beichtete der Oberin und ließ sich von ihr Absolution erteilen.

Ferner nahm man mir alle meine Ämter ab; in der Kirche ließ man einen Stuhl neben dem, den ich einnahm, zu jeder Seite frei. Ich saß allein im Refektorium an einem Tisch; man trug mir nichts auf, sondern ich war gezwungen, nach der Küche zu gehen und um eine Portion zu bitten. Beim ersten Male rief mir die Schwester Küchenmeisterin zu:

»Treten Sie nicht ein, entfernen Sie sich!«

Ich gehorchte ihr.

»Was wollen Sie?«

»Etwas zu essen.«

»Zu essen? Sie sind nicht wert, zu leben.«

Manchmal kehrte ich um und verbrachte den Tag, ohne etwas zu mir zu nehmen, manchmal bestand ich jedoch darauf, und man setzte mir Speisen auf die Schwelle, die man sich geschämt hätte, Tieren zu geben; ich hob sie[64] weinend auf und ging von dannen. Indessen ließen meine Kräfte infolge der geringen Nahrung nach, die schlechte Qualität derer, die ich zu mir nahm, und noch mehr die Qual, die ich infolge so vieler Zeichen von Unmenschlichkeit zu erdulden hatte, trat dazu, und ich fühlte, wenn ich weiter litt, ohne mich zu beklagen, so würde ich das Ende meines Prozesses nicht erleben. Ich beschloß daher, mit der Oberin zu reden, und obwohl ich halbtot vor Angst war, so klopfte ich doch leise an ihre Thür. Sie öffnete mir, wich bei meinem Anblick mehrere Schritte zurück und rief mir zu:

»Abtrünnige, entfernen Sie sich!«

Ich entfernte mich einige Schritte.

»Noch weiter!«

Ich entfernte mich noch weiter.

»Was wollen Sie?«

»Da weder Gott noch die Menschen mich zum Tode verurteilt haben, so wünsche ich, Madame, daß Sie befehlen, daß man mir das zum Leben Notwendige verabreiche.«

»Leben?« sagte sie zu mir, »sind Sie dessen würdig?«

»Das weiß nur Gott; doch ich sage Ihnen im voraus, wenn man mir weiter die Nahrung verweigert, so werde ich gezwungen sein, mich bei denen zu beklagen, die mich unter ihren Schutz genommen haben. Ich bin hier nur ein anvertrautes Gut, bis über mein Schicksal und meinen Stand entschieden sein wird.«

»Gehen Sie,« sagte sie zu mir, »besudeln Sie mich nicht mit Ihren Blicken; ich werde dafür sorgen.«

Ich ging, und sie schloß heftig die Thür. Anscheinend gab sie die nötigen Befehle, doch ich wurde deshalb nicht besser behandelt; man machte sich ein Verdienst daraus, ihr ungehorsam zu sein; man warf mir die gröbsten Speisen vor und verdarb sie noch mit Asche und allerlei Unrat.

Dieses Leben führte ich, solange mein Prozeß dauerte. Das Sprechzimmer war mir nicht vollständig verboten; man[65] konnte mir die Erlaubnis nicht nehmen, mich mit meinen Richtern oder Advokaten zu besprechen; doch auch dieser mußte mehrmals erst Drohungen anwenden, bevor er mich zu Gesicht bekam. Dann begleitete mich eine Schwester, und dieselbe führte Klage, wenn ich leise sprach. Blieb ich lange, so wurde sie ungeduldig, unterbrach mich, strafte mich Lügen, widersprach mir, wiederholte der Oberin meine Reden, veränderte sie, entstellte sie und schob mir Worte unter, die ich gar nicht gesprochen hatte. Man ging soweit, daß man mich bestahl, man plünderte mich förmlich aus, nahm mir meine Stühle, meine Decken und Matratzen, man gab mir keine reine Wäsche mehr; meine Kleider zerrissen, ich war fast ohne Schuhe und Strümpfe. Mit Mühe erhielt ich Wasser, und mehrmals war ich genötigt, selbst an den Brunnen zu gehen. Mehrere Schwestern spieen mir ins Gesicht; ich war schrecklich unreinlich geworden, und da man die Klagen fürchtete, die ich bei unseren Beichtvätern hätte vorbringen können, wurde mir sogar die Beichte untersagt.

An einem großen Festtage, ich glaube, es war der Himmelfahrtstag, ruinierte man mir mein Schlüsselloch, so daß ich nicht zur Messe gehen konnte; und vielleicht hätte ich auch alle anderen Gottesdienste verfehlt, hätte ich nicht den Besuch des Herrn Manouri erhalten, dem man zuerst sagte, man wüßte nicht, was aus mir geworden wäre, man bekäme mich nicht mehr zu Gesicht, und ich erfüllte keine Religionsübungen mehr. Indessen gelang es mir doch mit vieler Mühe, das Schloß loszureißen, und ich begab mich zur Thüre des Chores, die ich verschlossen fand, wie es immer geschah, wenn ich nicht als eine der ersten erschien. Ich lag auf der Erde, den Kopf und den Rücken an eine der Mauern gelehnt, die Arme auf der Brust gekreuzt, und versperrte mit dem übrigen Körper den Zugang. Als der Gottesdienst zu Ende war und die Nonnen hinausgehen[66] wollten, blieb die erste stehen, die anderen traten herzu; die Oberin ahnte, was vorging, und sagte:

»Tretet auf sie, sie ist ja doch nur ein Leichnam!«

Einige gehorchten und traten mich mit Füßen, andere waren weniger unmenschlich, doch keine wagte, mir die Hand zu reichen und mich aufzuheben. Während ich bewußtlos dalag, holte man aus meiner Zelle mein Betpult, das Bildnis unserer Stifterin, die anderen heiligen Bilder und das Kruzifix; man ließ mir nur das, was ich an meinem Rosenkranz trug, doch auch dieses blieb mir nicht lange. Ich lebte zwischen zwei nackten Mauern, in einem Zimmer ohne Thür, ohne Stühle; ich schlief im Stehen oder auf einer Strohmatte.