Da meine Zelle nicht mehr schloß, so drang man lärmend während der Nacht ein, schrie, schüttelte mein Bett, zerrte an meinen Fenstern, zerschlug dieselben und spielte mir allen möglichen Schabernack. Der Lärm stieg bis in das darüber gelegene Stockwerk, dröhnte auch nach dem unteren, und diejenigen, die nicht im Komplott waren, sagten, es gingen in meinem Zimmer seltsame Dinge vor, sie hätten düstere Stimmen vernommen, Geschrei, Kettengerassel, ich stände mit Gespenstern und Geistern im Verkehr, und man müßte den Gang, in welchem meine Zelle liege, auf das sorgfältigste meiden.
Es giebt in den Klostergemeinden schwache Köpfe, die das glaubten, was man ihnen sagte, und nicht mehr wagten, an meiner Thür vorbeizugehen; solche machten das Zeichen des Kreuzes, wenn sie mir begegneten und flohen, indem sie zu schreien begannen:
»Satan, weiche von mir, mein Gott, komm mir zu Hilfe!«
Eines Tages ging eine der jüngsten über den Korridor; ich kam ihr entgegen, und es war nicht mehr möglich, mir auszuweichen; da packte sie die schrecklichste Furcht. Zuerst wandte sie das Gesicht zur Mauer und rief mit zitternder Stimme:
»Mein Gott! mein Gott! Jesus Maria!«[67]
Indessen kam ich immer näher; als sie mich ganz in ihrer Nähe fühlte, bedeckte sie das Gesicht mit beiden Händen, stürzte heftig in meine Arme und schrie:
»Zu Hilfe, zu Hilfe, Erbarmen; ich bin verloren; Schwester Sainte-Susanne, thun Sie mir kein Leid an, Schwester Sainte-Susanne, haben Sie Mitleid mit mir ...« Während sie diese Worte sprach, fiel sie halbtot zur Erde nieder. Auf ihr Geschrei kommt man herbeigelaufen und bringt sie fort, und es ist kaum glaublich, wie dieser Vorfall entstellt wurde; man machte daraus das größte Verbrechen von der Welt, behauptete, der Dämon der Unkeuschheit hätte sich meiner bemächtigt und schob mir Absichten, Handlungen unter, die ich nicht zu nennen wage.
Eins aber muß ich erwähnen, und dieser Zug wird noch seltsamer erscheinen, als alles andere: Obgleich ich nichts that, was auf einen gestörten Geist hätte hinweisen können, geschweige denn auf einen vom Teufel besessenen Geist, so berieten sie doch, ob man nicht die Teufelsaustreibung an mir vornehmen sollte, und mit großer Stimmenmehrheit kam man zu der Ansicht, daß der Dämon in mir hause und mich von der Ausübung religiöser Pflichten zurückhielte. Eine andere fügte hinzu, ich knirsche bei einzelnen Stellen der Predigten mit den Zähnen und zittere in der Kirche. Alle waren der Meinung, es ginge etwas in mir vor, das nicht natürlich wäre, und man müßte den Großvikar davon in Kenntnis setzen, was denn auch geschah.
Dieser Großvikar war ein Herr Hebert, ein bejahrter und erfahrener Mann, heftig, aber gerecht und aufgeklärt. Man schilderte ihm ganz genau die Aufregung, die im Hause herrschte, und die Anklagen waren so stark und mannigfach, daß Herr Hebert trotz seines gesunden Menschenverstandes nicht umhin konnte, ihnen zum Teil näherzutreten und anzunehmen, daß viel Wahres daran sei. Die Sache erschien ihm wichtig genug, um sich persönlich damit[68] zu beschäftigen; er ließ seinen Besuch anmelden und kam in der That in Begleitung zweier junger Geistlichen, die ihn in seiner schweren Pflicht unterstützten.
Einige Tage vorher hörte ich, wie man in der Nacht leise in mein Zimmer trat. Ich sagte nichts, erwartete, daß man zu mir sprach, und man rief mir wirklich mit leiser und zitternder Stimme zu:
»Schwester Sainte-Susanne, schlafen Sie?«
»Nein, ich schlafe nicht; wer ist da?«
»Ich bin's!«
»Wer sind Sie?«
»Ihre Freundin, die vor Angst stirbt und sich selbst der Gefahr aussetzt, um Ihnen einen vielleicht ganz unnützen Rat zu erteilen. Hören Sie: morgen oder übermorgen wird der Großvikar erscheinen; Sie werden angeklagt werden. Bereiten Sie sich deshalb auf Ihre Verteidigung vor. Leben Sie wohl, haben Sie Mut und der Herr sei mit Ihnen.«
Nachdem sie diese Worte gesprochen, entfernte sie sich mit der Leichtigkeit eines Schattens.
Indessen wurde mein Prozeß eifrig betrieben; eine Menge Personen jedes Standes, jedes Geschlechts, jedes Gewerbes, die ich gar nicht kannte, interessierten sich für mein Schicksal und verwandten sich für mich.
Ich benutzte den Rat meiner Freundin, um den Beistand Gottes anzuflehen, meine Seele zu beruhigen und mich auf meine Verteidigung vorzubereiten. Ich bat den Himmel nur um das Glück, gefragt und unparteiisch angehört zu werden. Wenn es in meinem Interesse war, vor meinen Richtern unschuldig und klug zu erscheinen, so war es für meine Oberin ebenso wichtig, daß man mich als boshaft, vom Dämon besessen, schuldig und wahnsinnig erblicken sollte. Während ich daher meine Inbrunst und meine Gebete verdoppelte, verdoppelte man auch die Bosheiten; man gab mir als Nahrung nur das Notwendigste,[69] um mich nicht vor Hunger sterben zu lassen; man überhäufte mich mit Schmähungen, man beraubte mich vollständig der Nachtruhe; alles, was die Gesundheit vernichten und den Geist zerstören kann, wurde ins Werk gesetzt. Eines Tages, als ich meine Zelle verließ, um zur Kirche zu gehen, bemerkte ich, als ich den Gang durchschritt, auf der Erde eine Zange; ich beugte mich, um sie aufzuheben und sie so hinzulegen, daß die, die sie verloren hatte, sie leicht wieder finden konnte. Das Tageslicht hinderte mich, zu sehen, daß sie fast rotglühend war; ich erfaßte sie, doch als ich sie wieder fallen ließ, riß sie mir auf der Innenseite meiner Hand die ganze Haut mit fort. Man stellte in der Nacht, an Orten, wo ich vorbeigehen mußte, Hindernisse auf, sowohl zu meinen Füßen, als auch in der Höhe meines Kopfes, so daß ich mich wohl hundertmal verletzt habe und mich wundere, wie ich dabei nicht umgekommen bin. Ich hatte kein Licht und war stets genötigt, unter Zittern und Beben mit ausgestreckten Händen durch die Gänge zu schreiten. Kurz und gut, es war hohe Zeit, daß der Archidiakon erschien, es war Zeit, daß mein Prozeß zu Ende ging!
An dem Tage, da der Großvikar erwartet wurde, trat die Oberin schon am frühen Morgen in meine Zelle. Sie war von drei Schwestern begleitet; die eine trug einen Weihkessel, die andere ein Kruzifix, die dritte Stricke. Die Oberin sagte mit starker und drohender Stimme zu mir:
»Stehen Sie auf, werfen Sie sich auf die Kniee, und empfehlen Sie Ihre Seele Gott!«
»Madame,« versetzte ich, »bevor ich Ihnen gehorche, möchte ich Sie fragen, was mit mir geschehen soll, was Sie über mich beschlossen haben, und was ich von Gott erflehen soll?«
Ein kalter Schweiß floß mir über den ganzen Körper; ich zitterte und fühlte, wie meine Kniee unter mir zusammenbrachen.[70] Entsetzt betrachtete ich die unheilverkündenden Begleiterinnen; sie standen in derselben Linie, mit düsterem Gesicht, zusammengepreßten Lippen und geschlossenen Augen. Ich glaubte, aus dem Schweigen, das man beobachtete, entnehmen zu dürfen, man hätte mich nicht gehört; ich wiederholte die letzten Worte dieser Frage, denn sie ganz zu wiederholen, hatte ich nicht die Kraft. Daher sprach ich mit schwacher und erlöschender Stimme:
»Um welche Gnade soll ich Gott bitten?«
»Bitten Sie ihn um die Verzeihung Ihrer Sünden Ihres ganzen Lebens,« sagte man mir, »sprechen Sie zu ihm, als ständen Sie im Begriff, vor ihm zu erscheinen.«
Bei diesen Worten glaubte ich, sie hätten Rat gehalten und beschlossen, sich meiner zu entledigen. Ich hatte wohl gehört, daß das manchmal in gewissen Mönchsklöstern vorkäme, daß diese richteten, verurteilten und mit dem Tode bestraften; doch glaubte ich nicht, daß diese ungerechte Rechtsprechung jemals in einem Frauenkloster ausgeübt worden wäre. Bei diesem Gedanken des bevorstehenden Todes wollte ich aufschreien, doch mein Mund blieb offen stehen, und kein Ton kam heraus. Flehend streckte ich der Oberin die Arme entgegen, und mein zusammensinkender Körper neigte sich nach hinten über; ich fiel, doch mein Sturz war nicht hart. Ich verlor das Bewußtsein und das Gefühl und hörte nur unklare Stimmen um mich herumsurren; entweder sprachen sie wirklich, oder die Ohren klangen mir nur. Ich unterschied nichts als das Summen, welches immer noch andauerte. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustande blieb; doch ich wurde von einer plötzlichen Frische demselben entrissen, die mir ein leichtes Zucken verursachte.
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