Nun, was willst du von mir, was hast du beschlossen?«

»Mama,« erwiderte ich ihr, »ich weiß, daß ich nichts besitze, und nichts beanspruchen darf. Ich bin weit entfernt, Ihre Leiden vergrößern zu wollen, vielleicht hätten Sie mich Ihrem Willen gefügiger gefunden, hätten Sie mich früher von einigen Umständen unterrichtet, die ich nur schwer vermuten konnte; doch schließlich weiß ich Bescheid, ich kenne mich, und es bleibt mir nichts weiter übrig, als mich meiner Lebensstellung anzupassen. Ich wundere mich nicht mehr über den Unterschied, den man zwischen meinen Schwestern und mir gemacht hat; ich erkenne die Berechtigung desselben an und unterwerfe mich ihm; aber ich bin doch immer Ihr Kind. Sie haben mich in Ihrem Schoße getragen, und ich hoffe, das werden Sie nicht vergessen!«

»Wehe mir,« unterbrach sie mich lebhaft, »wenn ich dich nicht soweit anerkennen würde, wie es in meiner Macht steht!«[22]

»Nun gut, Mama,« sagte ich zu ihr, »so geben Sie mir Ihre Liebe wieder, schenken Sie mir wieder Ihre Gegenwart, und verschaffen Sie mir wieder die Zärtlichkeit des Mannes, der sich für meinen Vater hält!«

»Es fehlt nicht viel daran, und er ist über deine Geburt ebenso klar unterrichtet, wie du und ich. Ich sehe dich nie in seiner Nähe, ohne seine Vorwürfe zu hören; er macht sie mir durch die Härte, mit der er dich behandelt. Hoffe von ihm nie die Gefühle eines zärtlichen Vaters. Und dann, – soll ich es dir gestehen, – erinnerst du mich an einen Verrat, an eine so gehässige Undankbarkeit von seiten eines andern, daß ich den Gedanken daran nicht zu ertragen vermag: dieser Mann tritt unaufhörlich zwischen dich und mich. Er stößt mich zurück, und der Haß, den ich gegen ihn hege, fällt auf dich zurück!«

»Wie?« erwiderte ich, »darf ich nicht hoffen, daß Sie mich, Sie und Herr Simonin, wie eine Fremde, eine Unbekannte behandeln, die Sie aus Menschlichkeit aufgenommen haben?«

»Das können wir beide nicht. Mein Kind, vergifte mein Leben nicht länger. Wenn du keine Schwestern hättest, so weiß ich, was mir zu thun übrig bliebe, doch du hast zwei, und beide haben eine zahlreiche Familie. Schon vor langer Zeit ist die Leidenschaft, die mich aufrecht hielt, erloschen, das Gewissen ist wieder in seine Rechte getreten.«

»Doch der Mann, dem ich das Leben verdanke?«

»Er ist nicht mehr; er ist gestorben, ohne sich deiner zu erinnern; doch das ist die geringste seiner Missethaten.«

Bei diesen Worten verzerrte sich ihr Gesicht, ihre Augen blitzten; die Entrüstung bemächtigte sich ihrer Züge; sie wollte sprechen, doch sie konnte keine Silbe mehr hervorbringen; das Zittern ihrer Lippen verhinderte sie daran. Sie saß, ihr Kopf neigte sich auf ihre Hände, denn sie wollte mir die heftige Erregung verbergen, die in ihr vorging. In diesem Zustand blieb sie eine Zeit lang, dann erhob sie sich,[23] ging einige Male im Zimmer auf und ab, ohne zu sprechen; endlich drängte sie ihre Thränen zurück und sagte:

»Das Ungeheuer! es ist nicht seine Schuld, wenn du nicht durch alle Leiden, die er mir verursacht hat, in meinem Schoße erstickt bist. Gott hat uns beide erhalten, damit die Mutter ihren Fehltritt durch das Kind sühne. Meine Tochter, du hast nichts und wirst nie etwas haben. Das wenige, das ich für dich thun kann, entziehe ich deinen Schwestern; das sind die Folgen meiner Schwäche. Jedoch hoffe ich, daß ich mir bei meinem Tode nichts vorzuwerfen brauche; denn ich werde deine Ausstattung durch meine Ersparnisse erworben haben. Ich mißbrauche die Nachsicht meines Gatten durchaus nicht und lege alle Tage beiseite, was ich durch seine Freigebigkeit erhalte. Ich habe alles verkauft, was ich an Schmucksachen besaß, und habe von ihm die Erlaubnis bekommen, über den empfangenen Betrag nach Belieben zu verfügen. Ich liebte das Spiel; ich spiele nicht mehr; ich liebte das Theater; ich habe darauf verzichtet; ich liebte die Gesellschaft; ich lebe zurückgezogen; ich liebte den Prunk; ich habe ihm entsagt. Wenn du ins Kloster trittst, so wie es mein Wille und der des Herrn Simonin ist, so wird deine Ausstattung die Frucht dessen sein, was ich alle Tage zurücklege.«

»Aber Mama,« versetzte ich, »es kommen noch immer einige wohlhabende Leute hierher; vielleicht findet sich einer, der, mit meiner Person zufrieden, nicht einmal die Ersparnisse verlangen wird, die Sie für meine Ausstattung bestimmt haben?«

»Daran darfst du nicht denken; das Aufsehen, das du gemacht, hat alles verdorben!«

»So ist das Übel unheilbar?«

»Unheilbar!«

»Wenn ich nun aber keinen Gatten finde, so brauche ich doch deswegen nicht in ein Kloster eingesperrt zu werden?«[24]

»Wenn du meinen Schmerz und meine Gewissensbisse nicht verlängern willst, bis ich die Augen schließe, so muß es sein. Einst wird auch meine Stunde schlagen; in diesem schrecklichen Augenblick werden deine Schwestern an meinem Bette stehen; sage mir, ob ich dich unter ihnen dulden kann. Welchen Eindruck würde deine Gegenwart in diesem letzten Moment machen? Meine Tochter, denn du bist es wider meinen Willen, deine Schwestern haben vom Gesetz einen Namen erhalten, den du nur dem Verbrechen dankst. Betrübe eine Mutter nicht, welche sühnen will, lasse sie friedlich ins Grab steigen; mag sie sich selbst sagen, wenn sie im Begriffe steht, vor dem großen Richter zu erscheinen, daß sie ihren Fehler, soviel es an ihr lag, gut gemacht hat, daß sie sich schmeicheln darf, daß du nach ihrem Tode keinen Hader in das Haus tragen und keine Rechte beanspruchen wirst, die du nicht besitzest.«

»Mama,« sagte ich zu ihr, »seien Sie darüber unbesorgt, lassen Sie einen Rechtsgelehrten kommen, er mag eine Schenkungsakte aufsetzen, und ich unterschreibe alles, was er mir befiehlt.«

»Das ist nicht möglich; ein Kind enterbt sich nicht selbst, das ist die Strafe von seiten eines Vaters und einer mit Recht erzürnten Mutter. Wenn es Gott gefiele, mich morgen zu sich zu rufen, so müßte ich mich morgen zum äußersten entschließen und mich meinem Gatten eröffnen, um im Einverständnis mit ihm dieselben Maßregeln zu treffen. Zwinge mich nicht zu einem Schritte, der mich in seinen Augen verhaßt macht und Folgen nach sich ziehen würde, die dich entehren müßten. Wenn du mich überlebst, so wirst du ohne Namen, ohne Vermögen und ohne Stand dastehen; Unglückliche, sage mir, was soll aus dir werden? ... Welche Gedanken soll ich ins Grab mit mir nehmen? Ich soll also deinem Vater sagen ... Doch was soll ich ihm sagen? Daß du nicht sein Kind bist? Meine Tochter, wenn[25] weiter nichts nötig wäre, um mich zu deinen Füßen zu werfen und dich zu bestimmen ... Doch du fühlst nichts, du hast die unbeugsame Seele deines Vaters ...«

In diesem Augenblick trat Herr Simonin ein und bemerkte die Aufregung seiner Frau.