Er liebte sie, und da er heftig war, so blieb er plötzlich stehen, warf mir einen schrecklichen Blick zu und sagte: »Hinaus«.

Wäre er mein Vater gewesen, ich hätte ihm nicht gehorcht, doch er war es nicht. Zu dem Diener, welcher mir leuchtete, sich wendend, fügte er hinzu:

»Sagen Sie ihr, sie soll nicht wieder hier erscheinen.«

Ich schloß mich wieder in mein kleines Gefängnis ein und dachte über das nach, was mir meine Mutter gesagt hatte; dann ersuchte ich die Magd, welche mich bediente, sie möchte mich benachrichtigen, wenn mein Vater ausgegangen wäre, und schon am nächsten Tage erbat ich eine Unterredung mit meiner Mutter; doch sie ließ mir antworten, sie hätte Herrn Simonin das Gegenteil versprochen, aber ich könne ihr mit einem Bleistift, den sie mir schicke, schreiben.

Ich schrieb ihr daher folgendes auf ein Blatt Papier:

»Mama, ich bin traurig wegen allen den Leiden, die ich Ihnen verursacht habe, und bitte Sie deswegen um Verzeihung; es ist meine Absicht, ihnen ein Ende zu machen. Verlangen Sie von mir alles, was Ihnen beliebt, und wenn es Ihr Wille ist, daß ich Nonne werden soll, so wünsche ich nur, daß es auch der Wille Gottes sein möge.«

Die Magd nahm diese Zeilen und brachte sie meiner Mutter. Einen Augenblick später kam sie wieder herauf und sagte zu mir hocherfreut:

»Fräulein, da es nur eines Wortes bedurfte, Ihren Vater, Ihre Mutter und Sie glücklich zu machen, warum haben Sie das so lange aufgeschoben? Der Herr und die Madame haben ein Gesicht gemacht, wie ich es, seit ich hier bin, bei ihnen nicht gesehen; sie zankten sich Ihretwegen unaufhörlich;[26] Gott sei Dank werde ich das jetzt nicht mehr sehen.«

Einige Tage vergingen, ohne daß ich etwas hörte; doch eines Morgens gegen 9 Uhr öffnete sich meine Thür plötzlich; es war Herr Simonin, der im Schlafrock und in der Nachtmütze eintrat. Ich erhob mich und machte ihm eine Verbeugung, während er zu mir sagte:

»Susanna, erkennst du dieses Billet?«

»Ja, mein Herr!«

»Hast du's aus freien Stücken geschrieben?«

»Darauf kann ich nur ›Ja‹ sagen!«

»Bist du wenigstens entschlossen, das auszuführen, was du darin versprichst?«

»Ich bin es!«

»Hast du keine Vorliebe für irgend ein Kloster?«

»Nein, sie sind mir gleichgültig!«

»Es ist gut; das genügt!« – – –

Etwa 14 Tage vergingen, ohne daß ich von dem, was man mit mir beabsichtigte, auch nur das geringste erfuhr; ich glaube, man hatte sich an verschiedene fromme Häuser gewendet, doch der Skandal meines ersten Schrittes war meiner Aufnahme als Postulantin hinderlich. In Longchamp war man weniger schwierig, und zwar jedenfalls, weil man hatte durchblicken lassen, ich wäre musikalisch und hätte Stimme. Man übertrieb wohl die Schwierigkeiten, die man gehabt, und die Gnade, die man mir angedeihen ließ, daß man mich in diesem Hause aufnahm; man veranlaßte mich, sogar, an die Oberin zu schreiben. Ich hatte keine Ahnung von den Folgen dieses schriftlichen Zeugnisses, das man mir abverlangte; man fürchtete anscheinend, ich könnte mein Gelübde widerrufen, und wollte ein Zeugnis von meiner eigenen Hand haben, daß mein Entschluß ein freiwilliger gewesen war.

Ich wurde also nach Longchamp gebracht, und meine[27] Mutter begleitete mich dorthin. Man erwartete mich, ich wurde gemeldet; und man kannte mich bereits durch meine Geschichte und meine Talente. Von der ersteren sagte man mir nichts, wollte dagegen gleich sehen, ob die Erwerbung, die man machte, der Mühe wert war. Als man sich von vielen gleichgültigen Dingen unterhalten hatte, sagte die Oberin:

»Mein Fräulein, Sie verstehen Musik und singen, wir haben einen Flügel; wenn Sie wollen, gehen wir in unser Sprechzimmer!«

Mir war die Seele wie zugeschnürt, doch es war nicht der Augenblick, Widerwillen merken zu lassen; meine Mutter ging voran, ich folgte ihr; während die Oberin mit einigen Nonnen, die die Neugier herbeigelockt hatte, den Zug schloß. Es war Abend, man brachte Lichter, und ich setzte mich an den Flügel; ich präludierte lange Zeit und suchte in meinem Kopfe nach einem Musikstück, fand aber nichts; indessen drängte mich die Oberin, und ich sang, ohne mir dabei etwas zu denken, aus Gewohnheit, weil mir das Stück vertraut war: »Traurige Vorbereitungen, bleiche Flammen, Tag, der du finsterer bist als die Schatten u.s.w.« Ich weiß nicht, welche Wirkung das Stück hervorbrachte, doch man hörte mir nicht lange zu, sondern unterbrach mich durch Lobeserhebungen, die ich meiner Ansicht nach recht schnell und mit geringen Kosten verdient hatte. Meine Mutter überließ mich den Händen der Oberin, reichte mir die Hand zum Kusse und kehrte nach Hause zurück.

Ich befinde mich also jetzt in einem anderen Kloster als Postulantin, und zwar hat es den Anschein, als hielte ich mich hier aus freiem Willen auf. In Longchamp wechseln wie in den meisten Klöstern, die Oberinnen von drei zu drei Jahren. Es war eine Frau von Monc, welche gerade ihr Amt antrat, als ich in das Haus gebracht wurde. Sie war eine vernünftige Frau, die das menschliche Herz kannte, sie[28] hatte Nachsicht, obwohl niemand derselben bedurfte, und wir waren alle ihre Kinder. Sie sah stets nur die Fehler, die sie sehen mußte, oder deren Bedeutung ihr nicht gestattete, die Augen zu schließen. Ich spreche darüber ohne selbstsüchtiges Interesse, denn ich habe meine Pflicht pünktlich gethan, und sie würde mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bezeugen, daß ich nichts gethan, um Strafe zu verdienen, oder was sie mir hätte verzeihen müssen. – Wenn sie eine Vorliebe zeigte, so wurde ihr dieselbe durch das Verdienst eingegeben; und ich weiß nicht, ob ich sagen darf, daß sie mich zärtlich liebte, und daß ich nicht die letzte unter ihren Favoritinnen war. Den Namen Favoritin geben die andern den Lieblingen der Oberin aus Neid. Wenn ich Frau von Monc einen Fehler vorzuwerfen habe, so wäre es der, daß ihre Neigung für die Tugend, die Frömmigkeit, die Offenheit, die Sanftmut, die Talente, die Ehrenhaftigkeit sie beeinflußten, und daß sie recht wohl wußte, daß diejenigen, die keinen Anspruch darauf erheben könnten, dadurch nur noch mehr gedemütigt werden würden. Sie besaß auch die Gabe, die menschlichen Geister schnell voneinander zu unterscheiden. Mich gewann sie bald lieb, und auch ich hatte gleich von vornherein Vertrauen zu ihr. Sie sprach mit mir von meinem Abenteuer in Sainte-Marie; ich erzählte es ihr ohne Umschweife und sagte ihr alles, was meine Geburt betraf, sowie auch hinsichtlich meiner Leiden; nichts wurde vergessen. Sie beklagte mich, tröstete mich und ließ mich auf eine schönere Zukunft hoffen. Indessen verging die Zeit des Postulats; dann kam die, den Schleier zu nehmen, und ich nahm ihn. Ich bestand mein Noviziat ohne Widerwillen und übergehe schnell diese zwei Jahre, weil sie nichts Trauriges für mich hatten, als das geheime Gefühl, daß ich mich Schritt für Schritt einem Stande näherte, für den ich nicht geschaffen war. Manchmal tauchte dieses Gefühl von neuem in mir auf, doch sogleich nahm ich zu meiner[29] guten Oberin meine Zuflucht, die mich umarmte, meine Seele aufrichtete, mir nachdrücklichst ihre Gründe auseinandersetzte und schließlich stets zu mir sagte:

»Haben die andern Berufe nicht auch ihre Dornen? Man fühlt nur die seinen ... Auf, mein Kind, kommen Sie, lassen Sie uns auf die Knie fallen und beten.«

Bei diesen Worten warf sie sich nieder und betete laut, doch mit solcher Salbung, Beredsamkeit, Kraft und Rührung, daß man hätte glauben können, der Geist Gottes begeistere sie.

Indessen versank ich, je mehr sich der Tag nahte, an dem ich das Gelübde ablegen sollte, in eine so tiefe Schwermut, daß die gute Oberin durch dieselbe auf schreckliche Proben gestellt wurde. Ihr Talent verließ sie, und sie gestand es mir selbst.

»Ich weiß nicht,« sagte sie zu mir, »was in mir vorgeht.