Ich glaube, wenn Sie kommen, zieht sich Gott von mir zurück, und sein Geist schweigt. Umsonst rege ich mich an, suche Gedanken und will meine Seele anfeuern; ich fühle mich als eine gewöhnliche und beschränkte Frau und fürchte mich, zu sprechen.«

»Oh, teure Mutter,« sagte ich zu ihr, »welche Ahnung! wenn Gott Sie selbst stumm machte!«

Eines Tages, als ich mich ungewisser und niedergeschlagener als je fühlte, ging ich in ihre Zelle; meine Anwesenheit verwirrte sie zuerst; sie las augenscheinlich in meinen Augen, in meiner ganzen Person, daß das Gefühl, das ich in mir trug, über ihre Kräfte ging, und sie wollte nicht kämpfen ohne auch die Gewißheit zu haben, daß sie siegen würde. Dennoch machte sie einen Versuch, und je mehr mein Schmerz sank, wuchs ihre Begeisterung; plötzlich warf sie sich auf die Kniee, und ich folgte ihrem Beispiel. Sie sprach einige Worte, dann schwieg sie plötzlich. Ich wartete umsonst, sie sprach nicht mehr, sondern erhob sich,[30] brach in Thränen aus, faßte mich bei der Hand und sagte, mich in ihre Arme schließend:

»Oh, mein teures Kind, welchen grausamen Einfluß haben Sie auf mich ausgeübt; jetzt ist es geschehen; der Geist hat sich von mir zurückgezogen; ich fühle es. Gehen Sie, Gott selbst spricht zu Ihnen, da es ihm nicht gefällt, sich durch meinen Mund hören zu lassen.«

In der That weiß ich nicht, was in ihr vorging, ob ich ihr ein Mißtrauen auf ihre eigenen Kräfte eingeflößt, das nie wieder vergangen ist, ob ich sie eingeschüchtert, oder ob ich ihren Verkehr mit dem Himmel wirklich gebrochen habe; doch das Talent, zu trösten, kehrte ihr nicht mehr wieder.

Am Abend vor der Ablegung meines Gelübdes suchte ich sie auf; ihre Schwermut war der meinen gleich. Ich fing an, zu weinen, sie ebenfalls, ich warf mich ihr zu Füßen; sie segnete mich, hob mich auf, umarmte mich und schickte mich fort, indem sie zu mir sagte:

»Ich bin des Lebens müde und wünsche zu sterben; ich habe Gott gebeten, mich diesen Tag nicht sehen zu lassen; doch es ist nicht sein Wille; gehen Sie; ich werde mit Ihrer Mutter sprechen; ich werde die Nacht im Gebet zubringen; beten Sie auch; doch legen Sie sich nieder, ich befehle es Ihnen.«

»Gestatten Sie mir,« erwiderte ich, »daß ich mich mit Ihnen einschließe?«

»Ich gestatte es Ihnen von 9 bis 11 Uhr, doch nicht länger. Um 91/2 Uhr werde ich zu beten beginnen, und Sie ebenfalls; doch um 11 Uhr werden Sie mich allein beten lassen und ruhen. Gehen Sie, teures Kind, ich werde den Rest der Nacht für Sie zu Gott flehen.«

Sie wollte beten, doch sie konnte es nicht. Ich schlief, und währenddessen ging diese heilige Frau in den Gängen auf und ab, klopfte an jede Thür; weckte die Nonnen und ließ sie geräuschlos in die Kirche hinuntersteigen. Alle begaben[31] sich dorthin, und als sie versammelt waren, forderte sie sie auf, zum Himmel für mich zu flehen.

Dieses Gebet fand zuerst in tiefem Schweigen statt; dann löschte sie die Lichter aus, alle sprachen zusammen das Miserere, mit Ausnahme der Oberin, die am Fuße des Altars zu Boden gesunken war und sich kasteite. Am nächsten Tage trat sie frühzeitig in meine Zelle, ich hörte sie nicht, denn ich war noch nicht wach. Sie setzte sich neben mein Bett und hatte eine ihrer Hände leicht auf meine Stirn gelegt; sie sah mich an; die Unruhe, die Verwirrung, der Schmerz, jagten sich auf ihrem Gesicht; und so erschien sie mir, als ich die Augen aufschlug. Von dem, was in der Nacht vorgegangen war, sprach sie nicht zu mir; sie fragte mich nur, ob ich mich freiwillig niedergelegt hätte, und ich antwortete ihr:

»Zu der Stunde, zu der Sie's mir befohlen haben!«

»Ob ich geruht hätte?«

»Ja.«

»Das erwartete ich, wie ich mich befände?«

»Sehr gut, und Sie, teure Mutter?«

»Ach,« versetzte sie, »ich habe niemand ohne Unruhe in den geistlichen Stand treten sehen, doch bei keiner habe ich soviel Angst empfunden, als bei Ihnen. Ich möchte, daß Sie glücklich werden.«

»Wenn Sie mich stets lieben, werde ich es sein.«

»Ach, wenn es nur daran läge! Haben Sie an nichts während der Nacht gedacht?«

»Nein.«

»Sie haben keinen Traum gehabt?«

»Nein.«

»Was geht jetzt in Ihrer Seele vor?«

»Ich bin wie blöde; ich gehorche meinem Schicksal, ohne Widerwillen und ohne Geschmack; ich fühle, daß die[32] Not mich hinreißt und lasse mich treiben. Doch Sie sagen mir ja gar nichts?«

»Ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen zu plaudern, sondern um Sie zu sehen und Sie zu hören. Ich erwarte Ihre Mutter, suchen Sie nicht, mich aufzuregen, lassen Sie die Gefühle sich in meiner Seele sammeln. Ruhen Sie noch einen Augenblick, damit ich Sie sehe; sagen Sie nur noch wenige Worte und lassen Sie mich hier empfangen, was ich bei Ihnen suche. Ich werde gehen, und Gott wird das übrige thun.«

Ich schwieg und legte mich auf mein Kopfkissen zurück, während ich ihr eine meiner Hände reichte, die sie ergriff. Sie schien nachzudenken und zwar sehr tief, denn sie hatte die Augen geschlossen; manchmal öffnete sie dieselben, richtete sie gen Himmel, um sie dann wieder auf mich zu heften; sie wurde bewegt, und ihre Seele schien in lebhaftester Erregung. Mehrmals drückte sie mir kräftig die Hand und fragte mich plötzlich, welche Uhr es wäre.

»Es ist bald 6 Uhr!«

»Leben Sie wohl, ich gehe. Man wird Sie ankleiden, und würde ich dabei sein, so würde es mich zerstreuen. Ich habe nur die eine Sorge, nämlich die, in den ersten Augenblicken Mäßigung zu bewahren.«

Sie hatte mich kaum verlassen, als die Novizenmutter und meine Gefährtinnen eintraten; man zog mir meine Ordenskleider aus und legte mir weltliche Kleider an. Ich hörte kein Wort von allem, was um mich her gesprochen wurde; ich war in den Zustand des Automaten zurückgesunken; ich bemerkte nichts und machte nur zeitweise kleine konvulsivische Bewegungen. Indessen unterhielt sich die Oberin mit meiner Mutter, doch ich habe nie erfahren, was in dieser Unterredung, die ziemlich lange dauerte, vorgegangen ist; man sagte mir nur, als sie sich trennten, wäre meine Mutter so verwirrt gewesen, daß sie die Thür nicht hätte[33] finden können, durch die sie eingetreten war, und daß die Oberin, die gefalteten Hände krampfhaft gegen die Stirn drückend, das Zimmer verlassen hätte.

Indessen erklangen die Glocken, und ich ging hinunter. Die Versammlung war wenig zahlreich. Ob die Predigt gut oder schlecht war, weiß ich nicht, denn ich hörte nichts; man verfügte über mich den ganzen Vormittag, der in meinem Leben sozusagen wichtig erscheint, denn nie habe ich die Dauer desselben erfahren. Ich weiß weder, was geschah, noch was ich gethan, noch was ich gesagt habe. Man hat mich jedenfalls gefragt, und ich habe jedenfalls geantwortet, ich habe Gelübde ausgesprochen, doch ich habe keine Erinnerung mehr daran.

Ich befand mich in einem Zustande so tiefer Niedergeschlagenheit, daß, als man mir einige Tage später mitteilte, ich solle im Chore singen, ich nicht wußte, was man damit sagen wollte. Ich fragte, ob es wahr wäre, daß ich das Gelübde abgelegt; ich wollte die Unterschrift sehen, und man mußte diesen Beweisen das Zeugnis der ganzen Klostergemeinde hinzufügen, sowie einiger Fremden, die man zur Ceremonie eingeladen hatte.