Ich hatte mir den ganzen Abend ausschließlich dafür freigehalten, gründlich über die Sache nachzudenken, und war ganz allein; denn schon hatte man, als ob durch allgemeine Übereinkunft, die Sitte aufgenommen, nach Sonnenuntergang nicht mehr außer Haus zu gehen; auf die Gründe dafür werde ich bei Gelegenheit noch zu sprechen kommen.
In der Zurückgezogenheit dieses Abends bemühte ich mich, zu einem Entschluß zu kommen, hauptsächlich, mir klar zu werden, was meine Pflicht war zu tun. Ich hielt mir all die Gründe vor, mit denen mein Bruder mich gedrängt hatte, aufs Land zu gehen, und ich stellte ihnen die starken Beweggründe gegenüber, die in meinem Geist für ein Verbleiben sprachen; war nicht der besondere Umstand meines Berufes, daß die Erhaltung meiner Effekten gewissermaßen von meiner Standesehre eine sorgfältige Pflege erheischte, schon ein deutlicher Hinweis? Und dann die Eingebungen, von denen ich glaubte, daß sie von oben kämen: Wiesen sie mich nicht beinahe an, wagemutig zu sein? Und es schien mir so einleuchtend, daß, wenn ich eine, wie ich es nennen mochte, Anweisung zum Bleiben hatte, ich auch unterstellen dürfe, sie enthalte das Versprechen des Bewahrtwerdens, wenn ich ihr Folge leistete.
Das schien mir überzeugend, und ich fühlte mich mehr denn je in der Seele ermutigt zu bleiben, wobei mir die geheime Gewißheit, daß ich am Leben bleiben würde, Sicherheit gab.
Hinzu kam dann, daß, während ich in der vor mir liegenden Bibel blätterte und meine Gedanken mit mehr als gewöhnlichem Ernst bei der Frage verweilten, ich solche Rufe ausstieß wie: »Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll! Herr, gib mir eine Weisung!« In einem solchen Augenblick hielt ich auf einmal im Blättern inne, und mein Blick fiel auf den zweiten Vers des 91. Psalms, und ich las weiter bis zum siebenten Vers, und dann noch den zehnten, und sie lauteten: »Der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit Seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter Seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrekken müssest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittage verderbt. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es dich nicht treffen. – Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.«
Ich brauche dem Leser wohl kaum zu sagen, daß von dem Augenblick an mein Entschluß feststand: Ich würde in der Stadt bleiben und, mich ganz der Güte und der Obhut des Allmächtigen überantwortend, keinen anderen Schutz außerdem mehr suchen; da mein Schicksal ja in Seiner Hand lag, konnte Er mich ebensogut in der Zeit der Seuche bewahren wie in der Zeit der Gesundheit; und wenn es nicht in Seinem Ratschluß lag, mich zu retten, dann war ich immer noch in Seiner Hand, und es war recht und billig, daß Er mit mir tue, wie Ihm beliebte.
Mit diesem Entschluß ging ich zu Bett; und am nächsten Tag wurde ich noch weiter dadurch bekräftigt, daß die Frau, der ich mein Haus und mein Geschäft anzuvertrauen vorgehabt hatte, krank wurde. Aber es wurde mir nach dieser Seite hin auch eine weitere Last auferlegt, denn am Tage darauf fühlte ich mich selbst ebenfalls sehr unpäßlich, so daß, auch wenn ich gewollt hätte, ich nicht hätte gehen können. Ich lag drei oder vier Tage lang krank, und das gab vollends den Ausschlag für mein Bleiben. So verabschiedete ich mich von meinem Bruder, der nach Dorking in Surrey ging und später noch weiter nach Buckinghamshire oder Bedfordshire hinein auswich, wo er für seine Familie ein abgelegenes Quartier gefunden hatte.
Es war damals sehr schlimm, krank zu werden, denn von jedem, der nur eine Beschwerde äußerte, hieß es sogleich, er habe die Pest; und obwohl sich tatsächlich keinerlei Anzeichen der Seuche bei mir fanden, so war mir doch in Kopf und Magen so übel, daß mich die Furcht erfüllte, ich hätte mich tatsächlich angesteckt. Aber nach drei Tagen erholte ich mich wieder; in der dritten Nacht schlief ich gut, schwitzte ein wenig und fühlte mich viel frischer. Alle Befürchtungen, es könne die Seuche gewesen sein, schwanden mit der Krankheit ebenfalls dahin, und ich ging meinen Geschäften nach wie immer.
Eine Folge war jedoch, daß ich alle Pläne, aufs Land zu gehen, aufgab; und da mein Bruder auch nicht mehr da war, gab es weder mit ihm noch mit mir selbst weiteren Streit in dieser Frage.
Es war jetzt Mitte Juli, und die Pest, die hauptsächlich am anderen Ende der Stadt, wie ich schon sagte, in den Pfarren St. Giles und St. Andrew in Holborn und gegen Westminster hin, gewütet hatte, begann sich nun nach Osten zu wenden, auf den Stadtteil zu, in dem ich wohnte. Man konnte allerdings sehen, daß sie sich nicht geradewegs auf uns zu bewegte; die City nämlich, das heißt, alles was innerhalb der Stadtmauern lag, war nach wie vor gesund; auch über den Fluß nach Southwark hinüber war die Seuche noch kaum gedrungen; obwohl in der Woche an allen Krankheiten zusammen 1268 Menschen starben, wovon man mehr als 900 für Pesttote rechnen konnte, so waren es in der ganzen City innerhalb der Ummauerung nur achtundzwanzig Todesfälle, und nur neunzehn in Southwark, den Lambeth Sprengel mitinbegriffen; in den Pfarren St. Giles und St. Martin-in-den-Feldern hingegen starben allein 421 Menschen.
Wie wir bemerkten, hielt sich die Infektion vorerst mehr in den Außenbezirken; da diese sehr bevölkert waren, besonders von Armen, fand das Übel dort eher seine Opfer als in der City, worauf ich später noch hinweisen werde. Ich sage, wir sahen, wie das Übel auf uns zu gekrochen kam, auf dem Wege nämlich über die Sprengel Clerkenwell, Cripplegate, Shoreditch und Bishopsgate; in den letzten beiden Sprengein, die an Aldgate, Whitechapel und Stepney angrenzen, sollte die Seuche schließlich ihre äußerste Wut und Heftigkeit entladen, auch als sie in den westlichen Teilen, wo sie angefangen hatte, schon nachließ.
Es war sehr auffallend, daß in dieser Woche – ich spreche noch von der Woche vom 4. bis 11. Juli, wo in den beiden Pfarren St.