Unter dem Drucke ganz außergewöhnlicher Verhältnisse sind sie selbst nicht gerade bei rosiger Laune und bilden sich ein, weit mehr angestarrt zu werden, als es wirklich der Fall ist. Andrerseits wird man es verzeihlich finden, daß ihnen diese »segelnden Insulaner«
etwas närrisch erscheinen, diese Leute, die sich freiwillig von ihresgleichen trennten und nun auf dem größten Ocean der Erdkugel umherirren. Mit ein wenig Phantasie könnte man glauben, sie gehörten einem andern Planeten unsres Sonnensystems an. Das ist wenigstens die Ansicht Yvernes’, den sein überreiztes Hirn leicht nach nur erdachten Welten versetzt.
Pinchinat begnügt sich dagegen zu sagen:
»Alle diese Leute haben meiner Treu das richtige Millionäraussehen und scheinen mir unter den Nieren, ganz wie ihre Insel, einen kleinen Propeller mit herumzutragen.«
Inzwischen macht sich der Hunger immer mehr geltend. Seit dem Frühstück ist geraume Zeit verflossen und der Magen pocht auf sein Recht. Also schnellstens nach dem Excelsior-Hôtel!
Morgen sollten die nöthigen Schritte erfolgen, um mittelst eines der Steamer von Standard-Island nach San Diego zurückbefördert zu werden, nachdem Calistus Munbar von Rechtswegen eine reichlich bemessene Entschädigungssumme erlegt hätte.
Auf dem Wege durch die Erste Avenue bleibt Frascolin aber vor einem prächtigen Gebäude stehen, dessen Front in goldenen Lettern die Aufschrift »Casino« trägt. Rechts von der stolzen Säulenreihe, die den Haupteingang schmückt, erblickt man durch die mit Arabesken verzierten Spiegelscheiben eines Restaurants eine Menge Tische, von denen an verschiedenen gespeist wird, während ein zahlreiches Personal diensteifrig hin und her eilt.
»Hier giebts etwas zu essen!« ruft die zweite Violine mit einem Blicke auf die hungrigen Kameraden.
Darauf erfolgt von Pinchinat nur die lakonische Antwort:
»Hineintreten!«
Einer nach dem andern betreten sie das Restaurant. Man scheint ihre Gegenwart in dem luxuriösen, von den Fremden meist aufgesuchten Etablissement nicht besonders zu bemerken. Fünf Minuten später vertilgen die Halbverhungerten schon mit Begierde die ersten Schüsseln einer vortrefflichen Mahlzeit, wozu Pinchinat – und der versteht sich darauf – die Speisenfolge aufgestellt hat. Glücklicher Weise ist der Geldbeutel des Quartetts gut gespickt, und wenn er auf Standard-Island auch abmagert, so werden die Einnahmen in San Diego ihn schon bald wieder aufschwellen lassen.
Die Küche ist ganz ausgezeichnet und der in den Hôtels von New-York und San Francisco weit überlegen, und die Speisen werden hier in und auf elektrischen Oefen bereitet, die eine sehr genaue Regelung der Hitze ermöglichen. Auf die Suppe mit conservierten Austern, die Fricassés, den Sellerie und den hier stets aufgetischten Rhabarberkuchen folgen ganz frische Fische, Rumsteaks von unvergleichlicher Zartheit, Wild, das jedenfalls den Prairien und Wäldern Californiens entstammt, und Gemüse, die aus den intensiven Culturen der Insel selbst herrühren. Als Getränk giebt es nicht das in Amerika allgemein gebräuchliche Eiswasser, sondern verschiedne Biere und Weine, die für die Kellereien von Milliard-City aus den Geländen von Burgund, Bordeaux und des Rheins, natürlich mit hohen Unkosten, bezogen waren.
Dieses Menu bringt unsre Pariser auf andre Gedanken.
Vielleicht betrachten sie das Abenteuer, in das sie gerathen sind, schon unter günstigerem Lichte. Bekanntlich haben ja alle Orchestermusiker einen guten Zug. Was aber bei denen natürlich erscheint, die bei der Handhabung von Blasinstrumenten ihre Lunge tüchtig anstrengen, ist weniger zu entschuldigen bei denen, die Streichinstrumente spielen. Doch gleichviel: Yvernes, Pinchinat, selbst Frascolin fangen an, das Leben rosenroth und in dieser Stadt der Milliardäre selbst goldfarbig zu sehen. Nur Sebastian Zorn allein widersteht der Versuchung und läßt seinen Ingrimm nicht durch die feurigen Gewächse Frankreichs ertränken.
Kurz, das Quartett ist bemerkbar »angehaucht«, wie man im alten Gallien sagt, als die Stunde kommt, die Rechnung zu verlangen. Von dem Oberkellner des Hôtels, der in schwarzer Kleidung erscheint, wird sie Frascolin, als dem Cassierer, eingehändigt.
Die zweite Violine wirst einen Blick darauf, erhebt sich, sinkt zurück, erhebt sich wieder, reibt sich die Augen und starrt nach der Decke.
»Was fehlt Dir denn? fragt Yvernes verwundert.
– Es läuft mir ein Frostschauer durch Mark und Bein, antwortet Frascolin.
– Es ist wohl theuer hier?
– Mehr als theuer. Der Spaß kostet zweihundert Francs…
– Für alle Vier?
– Nein, für jeden!«
In der That: Hundertsechzig Dollars, nicht mehr und nicht weniger, und im Einzelnen beläuft sich die Nota für die Vorspeise auf fünfzehn Dollars, für den Fisch auf zwanzig, für die Rumsteaks auf fünfundzwanzig Dollars, für den Medoc und den Burgunder auf dreißig Dollars für die Flasche, und für das übrige im Verhältniß hierzu.
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