Es ist etwa um acht Uhr, wo Sebastian Zorn und seine Kameraden, den Weisungen des Wagenführers entsprechend, die Richtung nach der Küste zu einschlagen. Da die Violinen nur in leichten, wenig umfänglichen Lederetuis stecken, haben die Geiger keine besondre Ursache, sich zu beklagen. Sie thun das auch nicht, weder der weise Frascolin, noch der lustige Pinchinat oder der idealistisch angehauchte Yvernes. Der Violoncellist aber mit seinem umfänglichen Instrumentenkasten, der hat etwas wie einen Schrank auf dem Rücken. Bei seinem uns bekannten Charakter ist es nicht zu verwundern, daß er darüber weidlich wettert und schimpft.
Daneben ächzt und stöhnt der Mann, was sich unter der onomatopoetischen Form von Ahs! Ohs! und Uffs! hörbar macht.
Schon herrscht eine tiefe Finsterniß. Dicke Wolken jagen über das Himmelsgewölbe, die manchmal da und dort etwas zerreißen und dann eine spöttische Mondsichel kaum im ersten Viertel hindurchscheinen lassen. Man weiß nicht, warum –
wenn nicht deswegen, weil er einmal in bissiger, reizbarer Stimmung ist – die blonde Phöbe nicht das Glück hat, unserm Sebastian Zorn zu gefallen. Er streckt ihr aber die geballte Faust entgegen und ruft:
»Na, was hast denn Du mit Deinem einfältigen Gesichte vor?… Nein, wirklich, ich kenne nichts alberneres, als diese Schnitte einer unreifen Melone, die da oben hinspaziert!
– Es wäre freilich besser, wenn der Mond uns das volle Gesicht zukehrte, meinte Frascolin.
– Und warum das? fragte Pinchinat.
– Weil wir da besser sehen könnten.
– O, Du keusche Diana, Du friedliche Nachtwandlerin, Du bleicher Satellit der Erde, o Du angebetetes Ideal des anbetungswürdigen Endymion…
– Bist Du fertig mit Deiner Verhimmelung? ruft der Violoncellist. Wenn diese ersten Geigen erst anfangen, weit auf der Quinte herunter zu rutschen….
– Etwas schneller vorwärts, fiel Frascolin ein, sonst haben wir das Vergnügen, noch unter freiem Himmel zu übernachten….
– Wenn freier Himmel wäre… und dazu noch unser Concert in San Diego zu versäumen! bemerkt Pinchinat.
– Wahrhaftig, ein hübscher Gedanke! ruft Sebastian Zorn, der seinen Kasten schüttelt, daß er einen kläglichen Ton von sich giebt.
– Doch dieser Gedanke, mein alter Kamerad, sagt Pinchinat, rührt ursprünglich von Dir her…
– Von mir?…
– Gewiß! Warum sind wir nicht in San Francisco geblieben, wo wir Gelegenheit hatten, eine ganze Sammlung californischer Ohren zu ergötzen!
– Nun, fragt der Violoncellist, warum sind wir dann fortgegangen?
– Weil Du es so wolltest.
– Dann muß ich gestehen, eine beklagenswerthe Eingebung gehabt zu haben, und wenn…
– Ah, seht einmal da! fällt Yvernes ein, der mit der Hand nach einem bestimmten Punkte des Himmels weist, wo ein dünner Mondstrahl die Ränder einer Wolke mit weißlicher Einfassung säumt.
– Was giebt es denn, Yvernes?
– Zeigt jene Wolke nicht ganz die Gestalt eines Drachen mit ausgebreiteten Flügeln und einem Pfauenschwanze mit hundert Argusaugen darauf?«
Jedenfalls ist Sebastian Zorn nicht mit der Fähigkeit, hundertfältig zu sehen, ausgerüstet, die den Hüter der Tochter des Inachos auszeichnete, denn er bemerkt nicht ein tief ausgefahrenes Geleise, worin er unglücklicherweise mit dem Fuße hängen bleibt. Dadurch fällt er platt auf den Leib, so daß er mit seinem Kasten auf dem Rücken einer großen Coleoptere gleicht, die auf der Erde hinkröche.
Natürlich kommt der Instrumentalist wieder in Wuth – er hat ja auch alle Ursache dazu – und schimpft auf die erste Violine wegen deren Bewunderung ihres in der Luft schwebenden Ungeheuers.
»Da ist nur der Yvernes dran schuld! fährt Sebastian Zorn auf. Hätte ich nicht nach seinem verwünschten Drachen gesehen…
– Es ist gar kein Drache mehr, liebe Freunde, sondern jetzt nur noch eine Amphora! Mit einigermaßen entwickelter Phantasie bemerkt man sie in der Hand der Nektar einschänkenden Hebe…
– Doch denken wir daran, daß in jenem Nektar verteufelt viel Wasser ist, ruft Pinchinat, und hüten wir uns, daß Deine reizende Göttin der Jugend nicht ein Sturzbad über uns ausgießt!«
Das hätte die Lage der Wandrer freilich noch verschlimmert, und thatsächlich fängt das Wetter an, mit Regen zu drohen. Die Vorsicht treibt also zur Eile, um in Freschal rechtzeitig Schutz zu finden.
Man hebt den zornschnaubenden Violoncellisten auf und stellt den Brummbär wieder auf die Füße. Der gefällige Frascolin erbietet sich, ihm seinen Kasten abzunehmen.
Sebastian Zorn will das zuerst nicht zugeben… er, sich von seinem Instrumente trennen… einem Violoncell von Gaud und Bernardel… das heißt ja, von einer Hälfte seines Selbst… Er muß sich aber fügen, und somit geht diese kostbare Hälfte auf den Rücken des dienstwilligen Frascolin über, der dafür sein leichtes Etui genanntem Zorn anvertraut. Nun geht es weiter und raschen Schrittes zwei Meilen vorwärts, ohne daß sich etwas Besonderes ereignet. Die mit Regen drohende Nacht wird immer finstrer.
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