Schon fallen einige große Tropfen, der Beweis, daß sie aus hochziehenden, gewitterhaften Wolken stammen. Die Amphora der hübschen Hebe unsers Yvernes entleert sich jedoch nicht weiter, und die vier Nachtwandler dürfen hoffen, Freschal im Zustande vollständiger Trockenheit zu erreichen.

Immerhin bedarf es noch peinlichster Aufmerksamkeit, um auf dieser finstern Straße nicht zu Fall zu kommen, denn abgesehen von den tiefen Wagenspuren verläuft sie oft in scharfen Krümmungen um vorspringende Felsmassen oder führt neben düstern Schluchten hin, aus denen der Trompetenton der Berggewässer heraufschallt. Wenn Yvernes das bei seiner Sinnesveranlagung poetisch findet, so nennt es Frascolin bei der seinigen mindestens beunruhigend.

Daneben waren noch unliebsame Begegnungen zu fürchten, die die Sicherheit aller Reisenden auf den Landstraßen Niedercaliforniens sehr zweifelhaft machen. Das Quartett besaß an Waffen aber nur die drei Violin- und den einen Violoncellbogen, die in einem Lande, wo der Colt’sche Revolver erfunden und damals noch erheblich verbessert worden war, doch als etwas unzureichend erscheinen dürften.

Wären Sebastian Zorn und seine Kameraden Amerikaner gewesen, so würden sie sich jedenfalls mit dieser handlichen Schutzwaffe versehen haben, die man dort zu Lande immer in einer besondern kleinen Hosentasche bei sich trägt. Um auch nur auf der Bahn von San Francisco nach San Diego zu fahren, würde sich kein waschechter Yankee ohne diesen sechsschüssigen Begleiter auf die Reise begeben haben. Unsre Franzosen hatten das freilich nicht für nöthig erachtet. Fügen wir hinzu, daß sie daran gar nicht gedacht und es doch vielleicht zu bereuen haben dürften.

Pinchinat marschiert an der Spitze und behält die Böschungen der Straße scharf im Auge. Wo diese von rechts und links her sehr eingeengt erscheint, ist ein unerwarteter Ueberfall weniger zu fürchten. Als Bruder Lustig wandelt ihn immer einmal das Verlangen an, seinen Kameraden »einen gelinden Schrecken einzujagen«, z. B. dadurch, daß er plötzlich stehen bleibt und mit vor Schreck bebender Stimme murmelt:

»Halt!… Da unten… was seh’ ich da?… Halten wir uns fertig, Feuer zu geben!«

Wenn der Weg sich aber durch einen dichten Wald hinzieht, inmitten der Mammuthbäume, der hundertfünfzig Fuß hohen Sequoias, jener Pflanzenriesen des californischen Landes…

dann vergeht ihm selbst die Lust zum Scherzen. Hinter jedem dieser ungeheuern Stämme können sich bequem zehn Mann verbergen. Sollten sie hier nicht das Aufblitzen eines hellen Scheines, dem ein trockner Knall folgt, zu sehen, nicht das schnelle Pfeifen einer Kugel zu hören bekommen? An solchen, für einen nächtlichen Ueberfall wie geschaffenen Stellen heißt es die Augen offen halten. Und wenn man zum Glück nicht mit Banditen zusammenstößt, so rührt das daher, daß diese ehrsame Zunft aus dem Westen Amerikas ganz verschwunden ist, oder sich jetzt nur noch Finanzoperationen an den Märkten der Alten und der Neuen Welt widmet. Welches Ende für die Nachkommen eines Karl Moor, eines Johann Sbogar! Und wem sollten derlei Gedanken kommen, wenn nicht unserm Yvernes? Entschieden – meint er – ist das Stück der Decoration nicht werth!

Plötzlich bleibt Pinchinat wie angewurzelt stehen.

Frascolin thut desgleichen.

Sebastian Zorn und Yvernes gesellen sich sofort zu beiden.

»Was giebt es? fragt die zweite Violine.

– Ich glaubte, etwas zu sehen….« antwortet die Bratsche.

Diesmal handelt es sich nicht um einen Scherz seinerseits.

Offenbar bewegt sich eine Gestalt zwischen den Bäumen hin.

»Eine menschliche oder thierische? erkundigt sich Frascolin.

– Das weiß ich selbst nicht.«

Was jetzt am besten zu thun sei, das unterfing sich niemand zu sagen. Dicht aneinander gedrängt, starren alle laut- und bewegungslos vor sich hin.

Durch einen Wolkenspalt fließen die Strahlen des Mondes auf den Dom des dunkeln Waldes herab, dringen durch die Aeste der Sequoias und erreichen noch den Erdboden. Im Umkreis von hundert Schritten ist dieser etwas sichtbar.