Pinchinat hat sich nicht getäuscht. Zu groß für einen Menschen, kann diese Masse nur einem gewaltigen Vierfüßler angehören. Doch welchem Vierfüßler?… Einem Raubthiere?…

Jedenfalls einem solchen… doch welchem Raubthiere?

»Ein Plantigrade! sagt Yvernes.

– Zum Teufel mit dem Vieh, murmelt Sebastian Zorn mit verhaltener, aber grimmiger Stimme, und mit dem Vieh meine ich mehr Dich, Yvernes!… Kannst Du nicht wie andre vernünftige Menschen reden? Was ist denn das, ein Plantigrade?

– Ein Thier, das auf vier Tatzen, und zwar auf den ganzen Sohlen läuft, erklärt Pinchinat.

– Ein Bär!« setzt Frascolin hinzu.

Es war in der That ein Bär, und zwar ein ganz mächtiges Exemplar. Löwen, Tigern oder Panthern begegnet man in den Wäldern Nieder-Californiens nicht. Deren gewöhnliche Bewohner sind nur die Bären, mit denen, wie man zu sagen pflegt, nicht gut Kirschen essen ist.

Man wird sich nicht verwundern, daß unsre Pariser in voller Uebereinstimmung den Gedanken hatten, diesem Plantigraden den Platz zu überlassen, der ja eigentlich »bei sich zu Hause«

war. So drängt sich unsre Gruppe denn noch dichter zusammen und marschiert langsam, doch in strammer Haltung und das Aussehen von Fliehenden vermeidend, mit dem Gesicht nach dem Raubthiere gewendet rückwärts.

Der Bär trottet kurzen Schrittes den Männern nach, wobei er die Vordertatzen gleich Telegraphenarmen bewegt und in den Pranken schwerfällig hin- und herschwankt. Allmählich kommt er näher heran und sein Verhalten wird etwas feindseliger…

sein heiseres Brummen und das Klappen der Kinnladen sind ziemlich beunruhigend.

»Wenn wir nun alle nach verschiednen Seiten Fersengeld gäben? schlägt Seine Hoheit vor.

– Nein, das lassen wir bleiben, antwortet Frascolin. Einer von uns würde doch von dem Burschen gehascht und müßte allein für die andern zahlen.«

Diese Unklugheit wurde nicht begangen, und es liegt auch auf der Hand, daß sie hätte schlimme Folgen haben können.

Das Quartett gelangt so als »Bündel« an die Grenze einer minder dunkeln Waldparcelle. Der Bär hat sich jetzt bis auf zehn Schritte genähert. Sollte er den Ort für günstig zu einem Angriff halten?… Fast scheint es so, denn er verdoppelt sein Brummen und beschleunigt seinen Schritt noch mehr.

Die kleine Gruppe weicht deshalb noch schneller zurück, und die zweite Violine mahnt dringend:

»Kaltes Blut!… Den Kopf nicht verlieren!«

Die Lichtung ist überschritten und der Schutz der Bäume wieder erreicht. Vermindert ist die Gefahr hierdurch doch eigentlich nicht. Von einem Stamme zum andern schleichend, kann das Thier die Verfolgten plötzlich anspringen, ohne daß diese seinem Angriffe zuvorzukommen vermögen, und das mochte der Bär wohl auch vorhaben, als er sein Brummen einstellte und sich etwas zusammenkrümmend fast still hielt….

Da ertönt eine laute Musik in der dicken Finsterniß, ein ausdrucksvolles Largo, in dem die ganze Seele des Künstlers aufzugehen scheint.

Yvernes ist es, der die Violine aus dem Etui gezogen hat und sie unter mächtigem Bogenstriche erklingen läßt. Wahrlich, ein Geniestreich! Warum sollten auch Musiker ihr Heil nicht bei der Musik gesucht haben? Sammelten sich die von den Accorden Amphions bewegten Steine nicht freiwillig um Theben an? Legten sich nicht die mit lyrischem Sinne begabten wilden Thiere besänftigt zu Orpheus’ Füßen nieder? Nun, hier kam man zu dem Glauben, daß dieser californische Bär unter atavistischer Beeinflussung ebenso künstlerisch beanlagt gewesen sei, wie seine Kameraden aus der Sage, denn seine Wildheit erlischt unter der hervortretenden Neigung für Melodien, und ganz entsprechend dem Zurückweichen des Quartetts folgt er diesem in gleichem Tempo nach und läßt wiederholt ein leises Zeichen dilettantischer Befriedigung hören. Es fehlte gar nicht viel, daß er »Bravo!« gerufen hätte.

Eine Viertelstunde später befindet sich Sebastian Zorn mit seinen Gefährten am Saume der Waldung. Sie überschreiten ihn, während Yvernes immer flott drauf losgeigt.

Das Thier hat Halt gemacht. Es scheint keine Lust zu haben, noch weiter mitzutrotten; dagegen schlägt es die plumpen Vordertatzen aneinander.

Da ergreift auch Pinchinat sein Instrument und ruft:

»Den Bärentanz! Und in flottem Tempo!«

Während nun die erste Violine die weitbekannte Melodie in Dur mit vollen Bogenstrichen heruntergeigt, begleitet sie die Bratsche scharf und falsch in Moll…

Da fängt das Thier zu tanzen an, hebt einmal die rechte, einmal die linke Tatze hoch auf, dreht und schwenkt sich hin und her und läßt die kleine Gesellschaft unbehelligt sich weiter auf der Straße entfernen.