In der Neununddreißigsten Avenue der Steuerbordhälfte ermietheten sie ein kleines Hôtel mit einem nach dem großen Park hinausliegenden Garten. Hier wohnten die beiden Souveräne sehr zurückgezogen, ohne sich in die Zwistigkeiten und Intriguen der rivalisierenden Stadthälften einzumischen, unter ganz bescheidnen Verhältnissen. Der König beschäftigte sich mit astronomischen Studien, für die er schon von jeher eine Vorliebe gehabt hatte. Die Königin, eine strenge Katholikin, führte ein fast klösterliches Leben und hatte nicht einmal Gelegenheit zu Werken der Barmherzigkeit, da Elend und Armuth auf dem Juwel des Stillen Oceans unbekannt sind.
Das ist die Geschichte der frühern Herrscher von Malecarlieu, wie sie der Oberintendant unsern Künstlern erzählt hat, unter dem Hinzufügen, daß dieser König und diese Königin die besten Menschen seien, die man nur finden könne, wenn auch ihre Vermögensverhältnisse ziemlich viel zu wünschen übrig ließen.
Sehr gerührt über diesen mit so viel Philosophie und Resignation ertragenen Umschlag der Dinge empfindet das Quartett eine ehrerbietige Theilnahme für die entthronten Souveräne. Statt sich nach Frankreich, der Heimat der exilierten Könige, zu flüchten, haben Ihre Majestäten Standard-Island gewählt, so wie sich reiche Leute aus Gesundheitsrücksichten in Nizza oder auf Korfu niederlassen.
Sie sind freilich nicht eigentlich verbannt, nicht verjagt aus ihrem Königreiche und hätten dort wohnen bleiben oder dorthin zurückkehren können… natürlich nur als einfache Bürger wie jeder andre. Das kam ihnen jedoch gar nicht in den Sinn, denn sie fühlten sich in dieser friedlichen Existenz ganz außerordentlich wohl und unterwarfen sich gern den Gesetzen und Anordnungen, die für die Propeller-Insel erlassen waren.
Im Vergleich mit der Mehrheit der Milliardeser und mit den in Milliard-City gewöhnlichen Lebensanforderungen waren der König und die Königin von Malecarlieu freilich nicht reich zu nennen. Mit zweimalhunderttausend Francs Rente ist nicht viel anzufangen, wenn die Wohnung schon fünfzigtausend Francs Miethe kostet. Die Exsouveräne galten indeß schon für nicht vermögend unter den Kaisern und Königen Europas, die wiederum neben den Gould’s, den Vanderbilt’s, den Rothschild’s, den Astor’s, den Makay’s und andern Finanzgrößen keine hervorragende Rolle spielen könnten. Daß jene sich keinen Luxus, sondern nur das Allernothwendigste gestatteten, schien sie nicht im geringsten zu belästigen. Die Gesundheit der Königin besserte sich hier so befriedigend, daß der König gar nicht daran denken kann, den jetzigen Aufenthalt wieder zu wechseln. Er wünscht jedoch seine Einnahmen etwas aufzubessern, und da eine Stellung am Observatorium frei geworden war, bewarb er sich darum beim Gouverneur. Nach einem Telegrammaustausch mit der Direction in der Madelainebay hat Cyrus Bikerstaff über diese Stellung zu Gunsten des Souveräns verfügt, und so konnten die Journale von Milliard-City also verkündigen, daß der König von Malecarlieu zum Astronomen des Observatoriums von Standard-Island ernannt worden sei.
Das hätte in allen andern Ländern einen unerschöpflichen Redestoff geliefert. Hier spricht man davon zwei Tage, nachher ist die Sache vergessen. Es erscheint jedem ganz natürlich, daß ein König sich bemüht, sich durch Arbeit die Möglichkeit seines fernern Verbleibens in Milliard-City zu sichern. Er ist ein Gelehrter: die Gesammtheit wird davon Nutzen haben, darin liegt doch nichts Ehrenrühriges. Wenn er einen neuen Stern, einen Planeten, Kometen oder Fixstern entdeckt, wird man diesem seinen Namen geben. Und er wird mit Ehren unter den mythologischen Namen figurieren, von denen es in den officiellen Annalen wimmelt.
Im Parke lustwandelnd, unterhielten sich die Künstler über diese Angelegenheit, denn sie hatten an demselben Morgen den König auf dem Wege nach dem Bureau gesehen und waren noch nicht genug amerikanisiert, um darin nicht etwas außergewöhnliches zu erblicken. So verhandelten sie also noch über dieses Thema und Frascolin sagte:
»Wenn Seine Majestät nicht befähigt gewesen wäre, die Functionen eines Astronomen zu erfüllen, so scheint es, hätte er als Musiklehrer auftreten können.
– Ein König, der Privatstunden giebt! ruft Pinchinat.
– Ja, und zu einem Preise, den nur seine reichen Zöglinge hier hätten anlegen können.
– Man sagt wirklich allgemein, daß er ein guter Musiker sei, bemerkt Yvernes.
– Ich bin nicht erstaunt darüber, daß er fast Musiknarr sein soll, setzt Sebastian Zorn hinzu, denn wir haben ihn ja bei unsern Concerten an der Thür des Casinos stehen sehen, weil er einen Salonplatz für sich und die Königin nicht erschwingen konnte.
– He, Ihr Bierfiedler, ich habe eine Idee! sagt Pinchinat.
– Eine Idee Seiner Hoheit, erwidert der Violoncellist, muß allemal eine barocke sein!
– Barock oder nicht, mein alter Sebastian, antwortet Pinchinat, ich bin ganz überzeugt, daß Du sie billigst.
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