Doch was will der Gouverneur dem

Geschwadercommandanten antworten, wenn dieser wegen des stattgefundnen Zusammenstoßes Reclamation erhebt?

Wahrscheinlich ist das doch seine Absicht, vorzüglich, wenn die Besatzung des verunglückten Schiffes von dem Geschwader vielleicht noch gerettet worden wäre. Zu dem Entschlusse ist aber noch Zeit, wenn man weiß, woran man ist.

Das sollte am nächsten Tage sehr frühzeitig der Fall sein.

Mit Sonnenaufgang weht schon die Flagge des Contreadmirals am Besan des führenden Kreuzers, der sich zwei Meilen vom Backbordhafen unter Dampf hält. Jetzt stößt ein Boot davon ab und kommt auf den Hafen zu.

Eine Viertelstunde darauf erhält der Commodore Simcoë folgende Depesche:

»Der Kapitän Turner vom Kreuzer »Herald«, Generalstabschef des Admirals Sir Edward Collinson, verlangt, unverzüglich zu dem Gouverneur von Standard-Island geführt zu werden.«

Hiervon benachrichtigt, ertheilt Cyrus Bikerstaff dem Hafenkapitän Anweisung, die Landung zu gestatten, und antwortet, daß er den Kapitän Turner im Stadthaus erwarte.

Zehn Minuten später bringt ein Wagen, der dem Generalstabschef zur Verfügung gestellt wurde, diesen und einen ihn begleitenden Schiffslieutenant nach dem Stadthause.

Der Gouverneur empfängt sie in dem Salon neben seinem Cabinet.

Zuerst werden die gewöhnlichen, hier aber ziemlich kühl ausfallenden Begrüßungen gewechselt.

Dann beginnt Kapitän Turner in etwas theatralischer Haltung und unter Betonung der Worte, als ob er ein Capitel aus der neuesten Literatur vortrüge, folgende, in eine endlose Phrase zusammenfallende Ansprache:

»Ich beehre mich, Seiner Excellenz dem Gouverneur von Standard-Island, zur Zeit unter hundertsiebzehn Grad dreizehn Minuten westlich des Meridians von Greenwich und unter sechzehn Grad vierundfünfzig Minuten südlicher Breite, zur Kenntniß zu bringen, daß in der Nacht vom einunddreißigsten December zum ersten Januar der zum Hafen von Glasgow gehörige Dampfer »Glen«, dreitausendfünfhundert Tonnen groß und mit werthvoller, aus Getreide, Indigo, Reis und Wein bestehender Fracht, von Standard-Island, dem Eigenthum der

»Standard-Island Company« mit dem Sitze an der Madelainebay, Niedercalifornien, Vereinigte Staaten von Amerika, angefahren worden ist, obgleich genannter Dampfer seine Positionslaternen, und zwar mit weißem Licht am Fockmaste, grünem Licht am Steuer- und rothem Licht am Backbord, vorschriftsmäßig führte, und daß er, nachdem er von dem Zusammenstoße wieder klar geworden war, am nächsten Morgen fünfunddreißig Meilen von der Unfallsstelle, mit einem großen Leck am Backbord nahe dem Untergange getroffen wurde, bald darauf aber wirklich versunken ist, nachdem er zum Glück seinen Kapitän nebst Officieren und Mannschaft an Bord des »Herald« retten konnte, eines erstclassigen Kreuzers Ihrer britischen Majestät, segelnd unter der Flagge des Contreadmirals Sir Edward Collinson, der das Geschehene Seiner Excellenz dem Gouverneur Cyrus Bikerstaff hiermit zur Kenntniß bringt, von ihm die Anerkennung der Verantwortlichkeit der »Standard-Island Company limited« unter Garantie der Einwohner des genannten Standard-Island gegenüber den Rhedern des genannten »Glen« erwartet, dessen Werth an Rumpf, Maschinen und Fracht zwölfhunderttausend Pfund Sterling (30

Millionen Francs) oder sechs Millionen Dollars beträgt, welche Summe zu Händen des genannten Admirals Sir Edward Collinson abzuführen ist, widrigenfalls er sich gezwungen sähe, gegen genanntes Standard-Island Gewalt anzuwenden.«

Ein Satz von zweihundertsiebenundfünfzig Wörtern, nur Kommata, keinen einzigen Punkt enthaltend! Doch wie klipp und klar sagt er das alles und verschließt er jedes Hinterthürchen! Der Gouverneur ist sich im ersten Augenblicke nicht klar darüber, ob er der Reclamation des Sir Edward Collinson Folge geben soll, und so beschränkt er sich zunächst auf die in solchen Fällen hergebrachten Antworten.

»Das Wetter war sehr dunkel in Folge eines vulcanischen Ausbruchs, der weiter im Westen stattgefunden haben muß.

Wenn der »Glen« seine Lichter führte, so führte Standard-Island die seinigen nicht minder. Von der einen Seite waren sie aber so wenig zu erkennen gewesen, wie von der andern. Man stehe hier also einer Vis major gegenüber. Nach den Seegesetzen aber habe für dadurch herbeigeführte Havarien jeder selbst einzustehen, und es könne weder von Reclamationen noch von einer Verantwortlichkeit die Rede sein.«

Antwort des Kapitän Turner:

»Seine Excellenz der Gouverneur würde damit zweifelsohne Recht haben, wenn es sich um zwei Schiffe unter gewöhnlichen Verhältnissen handelte. Wenn der »Glen« diesen entsprach, so könne das doch nicht von Standard-Island gelten, das doch kein Schiff im strengen Sinne des Wortes wäre, sondern eine dauernde Gefahr bilde, indem es sich mit seiner enormen Masse auf befahrenen Seestraßen fortbewege, daß es einer Insel oder einer Klippe gleiche, die ihre Lage so unausgesetzt veränderte, daß sich deren Eintragung auf den Seekarten von selbst verbiete, daß England von jeher gegen dieses, durch hydrographische Messungen bezüglich seiner Oertlichkeit nie zu bestimmende Hinderniß protestiert habe und daß Standard-Island stets für Unfälle haftbar bleibe, die durch seine Natur herbeigeführt wurden u. s. w.«

Den Anführungen des Kapitän Turner fehlt es offenbar nicht an Logik, was Cyrus Bikerstaff im Grunde auch einsieht. Er allein kann hier aber doch keine Entscheidung treffen. Die Sache muß einem Spruchcollegium unterbreitet werden, und er kann dem Admiral Sir Edward Collinson nur erwidern, daß er von seiner Reclamation Kenntniß genommen habe.

Glücklicherweise war es ohne Menschenverlust abgegangen….

»Ja, das war ein großes Glück, erwiderte Kapitän Turner; zum Verluste eines Schiffes und der Millionen, die durch Verschuldung Standard-Islands verschlungen wurden, ist es aber doch gekommen. Verpflichtet sich der Gouverneur von vornherein, die angegebene Entschädigungssumme für den

»Glen« und seine Ladung zu Händen des Admirals Sir Edward Collinson abzuführen?«

Wie hätte der Gouverneur darauf eingehen können?

Uebrigens bietet Standard-Island ja genügende Garantie. Es hat für jeden Schaden aufzukommen, wenn amtlich entschieden wurde, daß es, nach Untersuchung des Falles, für die Ursachen desselben wie für die Höhe des angerichteten Schadens verantwortlich sei.

»Das ist das letzte Wort Eurer Excellenz? fragt Kapitän Turner.

– Mein letztes Wort, erklärt Cyrus Bikerstaff, denn ich bin außer Stande, mich für die Verantwortlichkeit der Compagnie zu engagieren.«

Der Gouverneur und der englische Kapitän wechseln noch einige, womöglich noch kältere Höflichkeiten. Nachher begiebt sich letzterer in dem bereitstehenden Wagen wieder zum Backbordhafen und zurück nach dem »Herald«, wohin ihn die seiner harrende Dampfbarkasse überführt.

Der Rath der Notabeln erhält Kenntniß von Cyrus Bikerstaff’s Antwort und billigt sie ebenso wie nach deren weitern Bekanntwerden die ganze Einwohnerschaft Standard-Islands. Niemand ist willig, sich der unverschämten und befehlerischen Forderung der Vertreter Ihrer britannischen Majestät zu unterwerfen.

Der Commodore Simcoë ertheilt also Anweisung, mit möglichster Schnelligkeit weiterzufahren.