Ist dir das fremde Ding lieber als Herden und Knechte?

Noah: Schlüge Gott mich mit Blindheit, so wäre alles gut, aber Gott ließ mir meine Augen. Geh' gelinde mit mir um, mit meinen guten Augen bin ich so bedauernswert wie Japhet mit seinen schielenden. Wir verdienen beide deine Nachsicht – Japhets Brut mag ich ungern sehen, weder da draußen noch hier bei mir.

Ahire: Es sind wohl nicht nur deine armen Augen, die dieses arme Kind reich machen soll. Gib sie Japhet, Japhets Augen sind bedürftiger als deine –. Sie kommen, Noah, unsere Söhne kommen, sage ja, sagst du ja? Ich würde Gott fluchen, wenn er es zulassen wollte, daß du 30 nein sagst – ich fluche ihm mit dem nächsten Wort, wenn du kein Ja sprichst!

Noah: Fluche nicht, Ahire, Gott will nicht verflucht sein, er will es nicht dazu kommen lassen. (zu Awah) Geh hin, geh zu ihr, du bist ihr Kind.

(Ahire faßt sie, sie stößt einen leisen Schrei aus.)

Sem, Ham und Japhet kommen.

31 Zweiter Teil

33 1.

Wüste.

Der buckelige Aussätzige: Bist du noch da, lieber Buckel, und unser lieber Aussatz auch? Kommt, kommt, eh es Schläge gibt (streicht fort).

Ein Bettler an Krücken geht mit schleppenden Schritten vorüber, 2 Engel begegnen ihm und stellen sich zu beiden Seiten.

1. Engel: Wir kennen dich in jeder Gestalt.

2. Engel: Wir finden dich an jedem Ort.

1. Engel: Überall wo du bleibst.

2. Engel: Als Bild deines Ebenbilds.

1. Engel: Des Menschen, den du mehr liebst als uns alle, die aus Licht und Kraft und Glut geboren sind.

2. Engel: Des Erdenkloßes, dessen Elend du um deine Schultern geschlagen.

Bettler: Eure Rede ist Verschweigen, ihr verhüllt mit Worten euer Wollen.

1. Engel: Wir wollen, was du willst.

2. Engel: Und können nichts wollen als deinen Willen – sie können anders.

1. Engel: Die Menschen können anders.

Bettler (macht eine demütige Gebärde).

1. Engel: Erde ist ein schlimmer Stoff für dein Schaffen, es liegt ein Wolfssame in ihr, die Erde durchdringt 34 den Menschen mit ihrem Wesen, sie nährt ihn mit wölfischer Milch.

2. Engel: Was die Kinder aus den Müttern saugen, bricht wie feurige Wut aus ihren Augen.

1. Engel: Reißt sie zu Rudeln zusammen, daß sie wie Tiere durch die Welt wildern.

2. Engel: Väter zeugen selbst ihre Weiber, Mütter genären selbst ihre Männer.

1. Engel: Tieren und tönernen Bildern bauen sie Häuder, ihren gräulich gestalteten Göttern geben sie die Würde deiner Größe.

2. Engel: Dein Ebenbild ist zu einer Fratze geworden.

1. Engel: Deine Welt ist in Wahnsinn gefallen.

Bettler (schüttelt den Kopf). Und Noah?

1. Engel: Noah, dein Kind und dein Knecht?

2. Engel: Noah ist der einzige unter allen.

Bettler: Ich will ihn sehen, geht hin, mich zu verkünden.

Engel (schweigen).

Bettler (macht eine bittende Gebärde).

1. Engel: Dich, die Herrlichkeit, die Heiligkeit?

2. Engel: Dich, die Größe, die Güte?

1. Engel: Dich, den Sturm, dich, die Stille?

2. Engel: Dich, allen Schein, dich alles Sein?

Bettler: Sagt ihm, er soll mich mit Augen sehen und mit Händen greifen. Nicht mehr, nichts von meiner Gestalt, nichts von meinem Gewand. Geht. (Engel ab, er humpelt weiter, im Selbstgespräch, jämmerlich): mich reuts, 35 mich reuts, sie sollen verderben, ich will sie ausraufen und ersäufen, versenken, vergessen – vergessen, vergessen! Sie sind aus falschem Samen entquollen, nicht meine Kinder, nicht meine.