Herr Ingenieur, Ihre Schöne bedient Jüngelchen.«

»Wer will schon was von der wissen? Die hat auch den alten Spanò bedient, bei dem sie in Dienst war«, sagte Gaetano und schaute Stefano an.

Stefano ließ das Tema fallen. Wieder war da das Gefühl körperlicher Einsamkeit, das er unter der festlichen Menge und dem merkwürdigen Himmel da oben den ganzen Tag empfunden hatte. Den ganzen Tag hatte Stefano sich abgesondert wie jenseits aller Zeit, und hatte in die Gassen geschaut, die sich in den Himmel aufaten. Warum hatte Giannino ihm lachend gesagt: »Gehen Sie, gehen Sie mit Fenoaltea. Sie werden Ihren Spaß haben.«

Stefano hätte sich unter die anderen mischen und in dem Raum mit der niedrigen Holzdecke, wo die Weinkrüge zur Kühlung am Fenstersims hingen, unter Geschrei und Gesang den lichten Nachmittag draußen vergessen können. Auch Pierino, der Zöllner, hatte es so gehalten. Oder er hätte, durch den Wein dreist geworden und entschuldigt, Concia unter der vielfarbigen Menge suchen können. Statt dessen hatte Stefano mit den anderen herumgesessen, war mit ihnen umhergezogen und war doch weit entfernt von ihnen gewesen, auf der Suche nach etwas, das der Lärm, das Gelächter und die grelle Musik nur für einen flüchtigen Tag überdeckten. Jenes niedrige Fenster, das sich über dem Nichts zur blauen Wolke des Meeres hin auf tat, war ihm wie das enge, jahrhundertealte Guckloch im Gefängnis dieses Lebens vorgekommen. Dort oben zwischen diesen farblosen gekalkten Mauern gab es Frauen und alte Leute, die nie über das schweigsame Plätzchen und die Gäßchen hinausgekommen waren. Für sie war die Illusion, der ganze Horizont könne hinter einer Hand verschwinden, Wirklichkeit. Hinter seinem Kartenfächer hervor beobachtete Stefano die Gesichter der jungen Leute, die aufgehört hatten zu sprechen. Manche von ihnen waren dort oben geboren. Alle Familien kamen von dort oben. In ihren lebhafen dicht bewimperten Augen, und in der bedenklichen Magerkeit des einen oder anderen schien alle Sehnsucht weiterzuleben, die in dem Nest dort oben, in dem einsamen, vom Himmel umschlossenen Gefängnis durchlitten wurde. Ihr Blick und ihr Lächeln, die so beflissen waren, glichen dem Ausblick aus einem Fensterchen.

»Mir hat das Dorf gefallen«, sagte Stefano und spielte eine Karte aus, »es ähnelt den Kastellen über unseren Dörfern.«

»Würden Sie dort wohnen wollen?« sagte der dunkelhaarige junge Mann lächelnd.

»Man kann überall leben, auch in der Gefangenschaf«, bemerkte Fenoaltea.

»Dort oben würde ich gern mit den Ziegen zusammenleben«, sagte Stefano.

Darin also bestand seine Herzenspein. Concia, sein Mädchen, war die Geliebte eines schmuddeligen alten Mannes und die Wollust der jungen Burschen. Aber hätte er sie anders gewollt? Concia kam aus einer Gegend, deren Nester noch einsamer als das Oberdorf waren. Gestern hatte Stefano beim Anblick eines Balkons mit Geranientöpfen ihrer gedacht, als er lustvoll die klare kräfige Luf atmete, die ihn an ihren federnden Tanzschritt erinnerte. Selbst die schmutzigen niedrigen Räume, wo rote und grüne Papierspitzen jahrhundertealte Backtröge umsäumten, wo der Holzwurm tickte und die Wände wie Stallmauern mit Maiskolben und Olivenzweigen bedeckt waren, gemahnten an ihr Ziegengesicht, an ihre niedrige Stirn und an eine geheimnisvolle jahrhundertealte Intimität.

»Haben Sie Don Giannino Catalano gesehen?« fragte Fenoaltea und sammelte die Karten ein. »Sie sind dran, Herr Ingenieur.«

»Er ist nicht gekommen, weil er Besuch hatte«, sagte Stefano.

»Er hat an den Festtagen immer zu tun«, sagte Vincenzo anzüglich.

»Fragen Sie Camobreco mal, was er von seinen Besuchen hält.«

»Camobreco ist der alte Goldschmied«, erklärte Gaetano, »der letztes Jahr mit dem Revolver aus dem Schlafzimmerfenster auf ihn geschossen hat. Während der Alte sein Geld zählte, hat Don Giannino Catalano seinen Spaß mit seiner Frau gehabt. Es ist dann mit der Behauptung in Ordnung gebracht worden, der Alte habe nachts einen Dieb zu sehen geglaubt.« »Oder glauben Sie das am Ende?« fragte jemand. »Niemand glaubt das, aber um des lieben Friedens willen, will Camobreco, daß es ein Dieb war. Herr Ingenieur, auf ein Wort, ehe Sie fortgehen.«

Gaetano begleitete ihn an den Strand. Die Sonne stach so sehr, daß Stefano vorandrängte, um sich möglichst bald ausziehen zu können, aber sein Begleiter hielt ihn am Arm fest.

»Kommen Sie baden, Fenoaltea«, sagte Stefano. Gaetano blieb im Schatten zwischen zwei Häusern stehen.

»Sie haben sich an das Meer gewöhnt. Wie werden Sie es diesen Winter aushalten?« sagte er.

»Man nimmt so viele Gewohnheiten an. Sie sind unsere einzige Gesellschaf.«

»Und die Frauen, Herr Ingenieur, wie kommen Sie ohne die aus? Waren Sie an die nicht gewöhnt?« Stefano lächelte. Gaetano hatte sich an die Mauer gelehnt und fingerte mit seiner rechten Hand an Stefanos Jackenaufschlag herum.

»Ich lasse Sie zu Ihrem Bad gehen, Herr Ingenieur.