Es ist uns sehr wehmüthig, daß Sie aus dieser Gegend ziehen, obgleich wir uns freuen, daß Sie in eine Stadt kommen, wo man das Geistige zu schätzen weiß, und was ein höheres Streben genannt wird. Ich will nicht voluminös werden, weshalb wir Sie beide bitten, auch in treuer Freundschaft an uns zu denken.« Sie fuhr mit dem Tuche nach den Augen und Rollmaus faßte die Familiengefühle kräftig in den vier Worten zusammen: »Das Brautpaar soll leben.« Beim Abschied weinte die Frau Oberamtmann ein wenig und bat den Hausherrn zu erlauben, daß sie doch zur Trauung kommen dürfe, wenn auch die Hochzeit ohne Gäste sei.

Und noch eine Störung brach herein. Der Landwirth hatte um die Ehre gebeten und sie war ihm gewährt: auf dem Wege zum Jagdschloß wollte der Fürst anhalten und im alten Hause das Frühstück einnehmen.

»Es ist gut, Ilse, daß du noch bei uns bist,« sagte der Landwirth.

»Aber man weiß ja gar nicht, wie so ein Herr das gewöhnt ist,« wandte Ilse zwischen Freude und Sorge ein.

»Er bringt doch einen seiner Köche mit, der in der Oberförsterei das Jagdessen zurichtet, der mag helfen; sorge nur dafür, daß er etwas in der Küche findet.«

Am Tage der emsigen Vorbereitung saßen die Kinder, die Mamsell und Arbeiterinnen zwischen Hügeln von Waldzweigen und Herbstblumen und wanden Kränze und Festgehänge. »Verschont nichts,« befahl Ilse dem alten Gärtner, »er ist unser lieber Landesvater, wir Kleinen bringen ihm unsere Blumen als Steuer dar.« Und Hans verfertigte mit Hilfe des Professors aus Georginen riesige Kokarden und Namenszüge.

Schon am Abend vor der Jagd hielten der Fourier und der Mundkoch ihren Einzug. Der Fourier bat, die Tafel im Garten zu decken, dem Fürsten folge die nöthige Dienerschaft, bei der übrigen Aufwartung könnten die schmucken Hausmädchen helfen, dem Herrn sei das Ländliche gerade recht. Am Morgen der Jagd ritt der Landwirth in seinem besten Staat nach Rossau hinab, den Fürsten zu empfangen; die Kinder drängten sich um die Fenster der obern Stuben und spähten wie Wegelagerer nach der Landstraße. Kurz vor Mittag kamen die Wagen den Berg herauf und fuhren an der alten Hausthür vor, der Landwirth und der Oberförster, welche zu beiden Seiten des fürstlichen Wagens ritten, sprangen von den Pferden. Der Fürst stieg mit seinen Begleitern aus und betrat grüßend die Schwelle. Ein Herr in höherem Mannesalter von mäßiger Größe, einem schmalen feinen Gesicht, dem man noch glaubte, daß er in seiner Jugend den Ruf eines schönen Mannes gehabt hatte, mit zwei klugen Augen, deren Umgebung nur durch zu viele kleine Falten verknittert war. Ilse trat in den Hausflur, der Landwirth stellte in seiner einfachen Weise die Tochter vor, der Herr begrüßte Ilse huldreich mit einigen Worten und gönnte dem Professor, der ihm als Bräutigam der Tochter genannt wurde, einen Blick und eine Frage, worauf der Professor vom Oberjägermeisteraufgefordert wurde, am Frühstück Theil zu nehmen. Dann schritt der Fürst sogleich in den Garten, rühmte das Haus und die Landschaft und erinnerte sich, daß er zum ersten Mal als vierzehnjähriger Knabe mit seinem Vater diese Gegend besucht habe.

Das Frühstück verlief auf's Beste, der Fürst that dem Landwirth wohlthuende Fragen, welche sein Interesse an den Zuständen der Landschaft erwiesen. Als er sich vom Tisch erhoben hatte, trat er an den Professor und frug nach Einzelheiten der Universität, er kannte den Namen des einen und anderen Collegen. Durch die sichern Antworten und die gute Haltung des Gelehrten wurde er veranlaßt, das Gespräch zu verlängern. Er erzählte, daß er selbst ein wenig Sammler sei, antike Münzen und Gräberfunde aus Italien mitgebracht habe, und daß ihm die Vermehrung seiner Sammlungen viele Freude gemacht. Und ihm war angenehm, daß der Professor bereits von einigem Bedeutenden darin wußte.

Als nun der Fürst mit einer Wendung zum Schlusse den Gelehrten frug, ob er in dieser Gegend heimisch sei, und Felix antwortete, daß ein Zufall ihn hierher geführt, da flog dem Gelehrten plötzlich der Gedanke durch das Haupt, daß hier eine Gelegenheit sei, die wohl so nicht wiederkehren werde, die höchste Gewalt des Landes mit dem Schicksale der verlorenen Handschrift bekannt zu machen, vielleicht Förderung für weitere Nachforschungen in der Residenz zu gewinnen. Er begann seinen Bericht. Der Fürst hörte mit sichtlicher Spannung zu, führte ihn während angelegener Querfragen weiter von der Gesellschaft ab und war so ganz bei der Sache, daß er darüber, wie es schien, die Jagd vergaß. Der Oberjägermeister wenigstens sah oft nach der Uhr und sagte dem Gutsherrn Verbindliches über das Interesse, welches der Herr an seinem Schwiegersohn nehme. Endlich schloß der Fürst die Unterhaltung: »Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilung, ich würdige das Vertrauen, welches Sie mir damit erweisen, kann ich Ihnen darin selbst nützlich sein, so wenden Sie sich direkt an mich, führt Sie der Weg einmal in meine Nähe, so lassen Sie mich das wissen, ich werde mich freuen, Sie wieder zu sehen.«

Als der Fürst durch den Hausflur nach dem Wagen schritt, blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um, der Oberjägermeister gab dem Landwirth schnell einen Wink, Ilse wurde gerufen und verneigte sich wieder und der Fürst dankte ihr in Kürze für die gastliche Aufnahme. Ehe die Wagen zwischen den Hofgebäuden verschwanden, sah der Fürst sich noch einmal nach dem Hause um. Auch diese Artigkeit fiel auf fruchtbaren Boden. »Ganz umgedreht hat er sich und ganz eigen darauf gesehen,« erzählte die Taglöhnerfrau, die sich mit Arbeitern bei dem Laubgewinde an der Scheuer aufgepflanzt hatte. Alles war zufrieden und freute sich der Huld, welche mit gutem Anstand erwiesen und empfangen war. Ilse rühmte die Leute des Fürsten, die ihr Alles so bequem gemacht, dem Professor hatten die gescheidten Fragen des Herrn sehr wohl gefallen, und als der Landwirth am späten Abend zurückkehrte, erzählte auch er, wie gut die Jagd verlaufen, und daß der Fürst ihm noch Freundliches gesagt und vor allen Leuten zu seinem Schwiegersohn Glück gewünscht habe.

Der letzte Tag kam, den die Jungfrau im Hause des Vaters verlebte. Sie ging mit Schwester Clara hinab in das Dorf, sie stand am Fenster des armen Lazarus, sie kehrte in jedem Hause ein und übergab die Armen und Kranken der Schwester. Dann saß sie lange bei dem Herrn Pfarrer in der Studierstube, der alte Mann hielt sein liebes Kind an den Händen fest und wollte sie nicht fortlassen. Bei der Trennung schenkte er ihr die alte Bibel, in welcher seine Frau gelesen hatte. »Ich wollte sie mit mir nehmen in die letzte Behausung,« sagte er, »aber sie ist besser aufgehoben in Ihren Händen.« Als Ilse zurückkam, setzte sie sich in ihrer Stube nieder, und die Mägde und Arbeiterinnen des Gutes traten eine nach der andern ein, von jeder nahm sie unter vier Augen Abschied, sie sprach noch einmal über das, was jeder auf dem Herzen lag, gab Trost und guten Rat, ein kleines Andenken aus ihrer Habe und zuletzt einen guten Spruch, wie er auf das Leben paßte. Am Abend saß sie zwischen dem Vater und dem geliebten Mann, der Lehrer hatte den Kindern einige Verse eingelernt, Clara brachte den Brautkranz und der kleine Bruder erschien als Genius, aber als der Genius seinen Spruch sagen sollte, fing er an zu schluchzen, verbarg seinen Kopf in Ilse's Schoß und war gar nicht wieder zu beruhigen.

Zur Gutenachtzeit, als sich Alles entfernt hatte, saß Ilse noch einmal auf ihrem Stuhl in der Wohnstube, und als der Vater aufbrach, reichte sie ihm den Leuchter. Der Vater setzte ihn wieder hin und ging auf und ab, ohne zu sprechen.