Doch da wollte der Zufall, daß gleich nach ihr der Doctor als Störenfried eintrat, und es gab nichts als ein zerpflücktes Gespräch und verblichene Redensarten, durch welche gar nichts erreicht wurde. Und sie empfahl sich wieder, böse auf den Doctor und unzufrieden mit sich selbst, weil sie nichts Besseres zu sagen gewußt.
Seit diesen Tagen war die Hausgenossin für Laura ein Gegenstand stiller unablässiger Verehrung. Sie setzte sich nach Tische an das Fenster und wartete auf die Stunde, in welcher Ilse am Arm des Gatten auszugehen pflegte. Dann lauschte sie hinter der Gardine hervor und sah ihr bewundernd nach. Sie huschte oft über den Hausflur und um die Entreethür der Miether, aber wenn Ilse einmal von weitem sichtbar wurde, verbarg sie sich, oder wenn sie mit ihr zusammentraf, verneigte sie sich tief und wußte in der Schnelle nur Gewöhnliches zu reden. Sie war sehr bekümmert, ob ihr Clavierspiel nicht stören würde und ließ hinauffragen, in welchen Stunden sie am wenigsten damit lästig sei; und als er, der rothe Kobold ohne Namen, einst gegen Ilse geknurrt und ihr tückisch in das Kleid gebissen hatte, gerieth sie in solchen Zorn, daß sie ihren Sonnenschirm holte und das Scheusal damit bis unter die Treppe verfolgte.
Unter dem Namen der Mutter – denn für sich selbst wagte sie es nicht – begann sie einen Feldzug von kleinen Aufmerksamkeiten gegen den Oberstock. Wenn Verkäufer gute Dinge für die Küche anboten, wurde Laura den Mittagsfreuden des Herrn Hummel verhängnißvoll, denn sie fing junge Gänse und fette Hühner vor der Kücheab und sandte sie regelmäßig nach der Höhe, bis das Dienstmädchen Susanne über das Vorkaufsrecht der Miether in Erbitterung gerieth und Frau Hummel zu Hilfe holte. Als durch eine Frage Gabriels offenbar wurde, daß sich die Frau Professorin nach einer bestimmten Art feiner Aepfel erkundigt hatte, eilte Laura auf den Markt, suchte so lange, bis sie ein Körbchen davon heimbrachte, und diesmal zwang sie sogar Herrn Hummel selbst, den Korb mit vielen Empfehlungen hinaufzusenden. Ilse freute sich des artigen Hauswirths, aber sie ahnte nicht den geheimen Quell.
»Vor einem Volk habe ich große Scheu,« sagte Ilse zu ihrem Gatten, »und das sind die Studenten. Ich war kaum flügge und zum Besuch bei unserer Tante, da sah ich eine ganze Gesellschaft zum Thore hereinziehen, mit großen Degen, mit Federhüten und sammtenen Röcken. Thaten die wild! Ich durfte den Tag nicht auf die Straße gehen. Wenn ich jetzt als deine Frau mit den wilden Männern verkehren muß, ich fürchte mich nicht gerade, aber sie sind mir bangsam.«
»Nicht alle sind so arg,« tröstete der Professor, »du wirst sie bald gewöhnt werden.«
Trotzdem erwartete Ilse mit Spannung den ersten Studenten. Und es traf sich, daß an einem Morgen die Schelle gezogen wurde, als gerade der Professor auf der Bibliothek weilte, Gabriel und das Mädchen ausgeschickt waren. Ilse öffnete selbst die Thür. Betroffen prallte ein junger Mann zurück, der durch die bunte Mütze als Student deutlich wurde und außerdem eine schwarze Mappe unter dem Arme trug. Dieser sah freilich anders aus, ohne Straußenfeder und Degen, er war auch bleich und schmächtig; aber Ilse fühlte doch Respect vor dem gelehrten jungen Herrn und fürchtete nebenbei, daß die Wildheit seines Standes plötzlich aus ihm hervorbrechen könnte. Indeß, sie war ein tapferes Mädchen gewesen und nahm den Besuch von der praktischen Seite: Das Unglück ist einmal da, jetzt gilt's artig sein. – »Sie wünschen meinen Mann zu sprechen, er ist im Augenblick nicht zu Hause, wollen Sie sich nicht gütigst hereinbemühen?«
Der Student, ein armer Philolog, welcher als Bewerber um ein kleines Stipendium anlief, gerieth solchem majestätischen Willen gegenüber in starke Beklemmung. Er machte viele Verbeugungen, aber er wagte nicht zu widerstreben. Ilse führte ihn also in das Besuchzimmer, nöthigte ihn, auf einem Lehnsessel niederzusitzen und frug, ob sie ihm mit irgend etwas dienen könne. Der arme Schelm wurde immer verlegener, und auch Ilse wurde durch seine Unruhe ein wenig angesteckt. Sie fing aber entschlossen eine Unterhaltung an und erkundigte sich, ob er aus dieser Stadt stamme. Dies war nicht der Fall. – Aus welcher Gegend er zugezogen, auch sie sei eine Fremde. – Da ergab sich, daß er aus ihrer Landschaft war, zwar nicht aus der Nähe ihrer Heimat, sondern, wie beide miteinander berechneten, etwa zehn Meilen ab aus anderer Ecke, indeß er hatte doch von klein auf dieselben Berge gesehen und kannte die Mundart ihres Landes und die Sprache seiner Vögel. Nun rückte sie ihm näher und machte ihn gesprächig, bis beide wie gute Gesellen miteinander plauderten. Endlich sagte Ilse: »Mein Mann kommt vielleicht nicht so bald, ich möchte ihn aber des Vergnügens nicht berauben, Sie zu sprechen, wie wäre es, Herr Landsmann, wenn Sie uns den nächsten Sonntag die Freude machten, unser Mittagsgast zu sein?« Ueberrascht und unter vielen Danksagungen erhob sich der Student und entfernte sich, von Ilse bis an die Thür begleitet. Er hatte aber, umstrickt durch das Abenteuer, seine Mappe vergessen, noch einmal tönte schüchtern die Schelle, er stand noch einmal verlegen an der Thür und bat mit vielen Entschuldigungen um seine Mappe.
Ilse freute sich der Begegnung und daß sie so gut die erste Schwierigkeit überwunden hatte. Froh rief sie ihrem Mann an der Thür zu: »Felix, der erste Student war hier.«
»So?« erwiederte der Gatte, durch die Nachricht keineswegs erschüttert, »wie hieß er?«
»Den Namen weiß ich nicht, er trug aber eine rothe Mütze und sagte: er sei kein Fuchs. Ich habe mich nicht gefürchtet, ich habe ihn dir für Sonntag zum Essen gebeten.«
»Nun,« versetzte der Professor, »wenn du das bei Jedem thust, so wird unser Haus voll werden.«
»War's nicht recht?« frug Ilse bekümmert.
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