»Ich sah wohl, daß es keiner von den großen war, aber ich wollte um deinetwillen doch lieber zu viel, als zu wenig thun.«

»Laß gut sein,« sagte der Professor, »es soll ihm nicht vergessen werden, daß er der erste war, der in dein liebes Angesicht schaute.«

Der Sonntag kam, und in der Mittagstunde unter vielen Verbeugungen der Studiosus. Obwohl er sonst Freitische in Familien als eine zwar werthvolle, aber lästige Einrichtung leidend ertrug, so hatte er doch diesmal in Weste und sogar in Handschuhen eine außerordentliche Anstrengung gemacht. Und Ilse erhielt durch die Haltung des Gatten gegen den Studenten sogleich eine ruhig mütterliche Würde. In solcher Stimmung legte sie ihm ein zweites Bratenstück auf den Teller und versah ihn mit gehäufter Zukost. Die wohlwollende Behandlung und einige Gläser Wein, deren letztes Ilse eingoß, stärkten dem Studenten das Herz und hoben ihn über die Erbärmlichkeiten des irdischen Daseins. Nach Tische besprach der Professor mit dem Doctor etwas Gelehrtes. Ilse aber setzte gütig die Unterhaltung mit dem jungen Herrn fort und kam, da dies am bequemsten war, auf seine Familienverhältnisse zu sprechen. Da wurde der Student warm und weich und begann Enthüllungen von sehr traurigem Inhalt. Natürlich zunächst, daß er kein Geld hatte, dann aber wagte er auch schmerzliche Offenbarungen über ein zartes Verhältniß zu der Tochter eines Juristen, mit welcher er in demselben Hause gewohnt und die er ein Jahr lang innig verehrt hatte, zuletzt mit Poesie. Endlich kam der Vater dahinter. Dieser verbot mit einer Tyrannei, wie sie geheimen Justizräthen eigen ist, seiner Tochter die Annahme der Gedichte und bewirkte sogar die Entfernung des Studiosus aus dem Hause. Seitdem war das Innere des Studenten ein Abgrund von Verzweiflung; kein Gedicht – es waren Sonette – drang mehr bis zu der umschlossenen Geliebten. Ja, er hatte Grund, anzunehmen, daß auch sie ihn verachte. Denn sie besuchte Bälle, und er hatte sie erst den Abend vorher gesehen, wie sie mit Blumen im Haar aus dem Wagen des Vaters in ein hell erleuchtetes Haus getreten war. Traurig hatte er an der Hausthür unter dem zuschauenden Volk gestanden, sie aber war rosig, lächelnd, strahlend bei ihm vorübergeglitten. Jetzt wandelte er mit seinem Abgrunde dahin, allein, ohne eine menschliche Seele, des Lebens müde und voll schwarzer Gedanken, über welche er sehr düstere Andeutungen machte. Zuletzt bat er Ilse um Erlaubniß, ihr diejenigen Gedichte, welche die Zustände seines Innern am deutlichsten ausdrückten, übersenden zu dürfen.

Natürlich gab das Ilse in warmem Mitleid zu.

Der Studiosus empfahl sich, und Ilse erhielt am nächsten Morgen durch Stadtpost ein ziemliches Päckchen mit einem ehrerbietigen Briefe, worin der Student sich entschuldigte, daß er nicht alle poetischen Actenstücke, welche sein Unglück ins richtige Licht setzten, übersende, da er mit dem Abschreiben nicht fertig geworden sei. Beilage war ein Sonett an Ilse selbst, sehr hochachtungsvoll und zart, doch war daraus allerdings die stille Neigung des Studenten erkennbar, Ilse an Stelle seiner Ungetreuen zur Herrin seiner Träume zu machen.

Ilse trug verlegen diese Sendung auf den Arbeitstisch ihres Gatten. »Habe ich etwas versehen, Felix, so sag' mir's.« Der Professor lachte. »Ich schicke ihm selbst seine Gedichte zurück, das wird die Huldigung wohl bändigen; du weißt jetzt, daß es nicht ohne Gefahr ist, das Vertrauen eines Studenten zu gewinnen. Die Gedichte sind übrigens schlechter als nöthig wäre.«

»Das war also eine Lehre,« sagte Ilse, »die ich mir geholt. In Zukunft wollen wir vorsichtiger sein.«

Aber so schnell wurde sie die Erinnerung an den Studenten nicht los.

Jeden Nachmittag, wenn das Wetter nicht gar unfreundlich war, ging zu derselben Stunde Ilse am Arm des Gatten in den Stadtwald. Die Glücklichen suchten einsame Nebenpfade, wo das Astgeflecht dichter ragte und das Grün des Grundes fröhlich gegen die gelben Blätter abstach. Dann dachte Ilse an die Bäume des Gutes, und da machte sich's, daß die Gatten immer wieder vom Vater und von den Geschwistern sprachen und von den ersten Nachrichten, die sie aus der Heimat bekommen. An dem Wiesengrund, welcher sich von den letzten Gebäuden in den Wald zog, stand unter dichtem Gebüsch eine Bank, dort übersah man im Vordergrund die feindlichen Häuser, dahinter Giebel und Thürme der Stadt. Als Ilse das erste Mal aus dem Gebüsch an die Stelle trat, freute sie sich des Anblicks ihrer Fenster und der umdämmerten Thürme, dabei fiel ihr der Sitz in der Höhle ein, von dem sie sooft auf das Vaterhaus geblickt hatte; sie saß auf der Bank nieder, zog Briefe ihrer Geschwister hervor, die sie eben erhalten, und las dem Gatten die schmucklosen Sätze, in denen die letzten Ereignisse des Gutes berichtet wurden. Seitdem war ihr die Ruhestelle lieb, jedesmal lenkten sich die Schritte auf dem Heimwege dorthin, und sie schaute von der Bank nach der Wohnung, den Dächern der Stadt und dem Himmel darüber.

Als sie nun am Tage nach jener Sendung des Studenten wieder aus dem Gehölz zu der Bank trat, sah sie einen kleinen Blumenstrauß darauf liegen; neugierig griff sie darnach, ein zierlich zusammengelegtes Briefchen aus Rosapapier hing daran, mit der Aufschrift: »Ein Gruß aus B.« Dahinter gerade so viel Punkte, als der Name des väterlichen Gutes Buchstaben enthielt. Ueberrascht reichte sie den Zettel dem Professor, er öffnete und las die anspruchslosen Worte: »Unterm Stein die kleinen Zwerge senden dir den Blumenstrauß, grüßend über Thal und Berge, aus dem lieben Vaterhaus.« – »Das gilt dir,« sagte er verwundert.

»Wie allerliebst,« rief Ilse.

»Die Zwerge sind jedenfalls ein Scherz des Doctors,« entschied der Professor, »freilich hat er seine Hand gut verstellt.«

Erfreut steckte Ilse den Strauß an: »Wenn der Doctor heut Abend kommt, soll er nicht merken, daß wir ihn errathen haben.« Der Professor erzählte von den neckischen Einfällen des Freundes, und Ilse, die sonst den Doctor mit einem geheimen Zweifel betrachtete, stimmte herzlich bei.

Als aber der Doctor am Abend die größte Unbefangenheit heuchelte, wurde fröhlich seine Verstellungskunst gescholten und der Dank doch an ihn abgegeben. Da aber erklärte er fest, daß Strauß und Gedicht nicht von ihm kämen; es erhob sich eine fruchtlose Erörterung über den Urheber, und der Professor sah zuletzt sehr ernsthaft aus.

Die Begrüßung im Walde wiederholte sich. Wenige Tage darauf lag wieder ein kleiner Strauß mit derselben Aufschrift und einem Verse auf der Bank.