Noch einmal versuchte Ilse leise eine Mitwirkung des Doctors zu behaupten, aber der Professor wies das kurz ab und steckte den rosafarbenen Zettel ein. Ilse nahm den Strauß mit, diesmal nicht im Gürtel. Als der Doctor herüberkam, wurde das Abenteuer wieder in Erwägung gezogen.
»Es kann Niemand sein als der kleine Student,« gestand Ilse gedrückt.
»Das fürchte auch ich,« sagte der Professor, und erzählte dem Doctor zu Ilse's Kummer von der vertraulichen Sendung des Musensohns. »So harmlos die Sache an sich ist, hat sie doch eine ernste Seite. Das Auflegen dieser Adressen setzt eine genaue Beobachtung voraus, die nichts weniger als angenehm ist, und solche emsige Thätigkeit kann den Verehrer bis zu größerem Wagniß führen. Dem muß gesteuert werden. Ich werde morgen versuchen, ihn von seinem Unrecht zu überzeugen.«
»Und wenn er dir die Täterschaft ableugnet,« warf der Doctor ein. »Dies wenigstens sollte man ihm vorher unmöglich machen. Der Strauß kann, wenn er andern Vorübergehenden entgehen soll, erst im letzten Augenblicke vor eurer Ankunft hingelegt werden, und es ist nicht schwer, euer Kommen abzuwarten, da der Spaziergang in größter Regelmäßigkeit stattfindet. Man muß den Dreisten zu überraschen suchen.«
»Ich werde also morgen allein gehen,« sagte der Professor.
»Du darfst einem Studenten nicht im Walde aufpassen,« entschied der Doctor, »auch wird, wenn Frau Professorin zu Hause bleibt, der Strauß wahrscheinlich nicht auf der Bank liegen. Ueberlaß mir die Sache. Geht morgen und in den nächsten Tagen aus wie gewöhnlich, ich will von anderer Seite her die Stätte des Frevels beobachten.«
Das wurde beschlossen, der Professor nahm die beiden kleinen Sträuße aus dem Glase und warf sie zum Fenster hinaus.
Den Tag darauf ging der Doctor als Spion verkleidet in grauem Rock und dunklem Hut eine Viertelstunde vor den Freunden in den Stadtwald, um aus einem Versteck den vermessenen Versifex zu überfallen; er nahm sich vor, den Thäter im Gebüsch so zu zerknirschen, daß seinem Professor jede persönliche Einmischung gespart wurde. Gerade gegenüber der Bank fand er eine gute Stelle, wo dauerhaftes Buchenlaub den Jäger vor dem Wilde verbarg. Dort stellte er sich auf dem Anstand zurecht, zog einen großen Operngucker aus der Tasche, zwang ihn durch Drehen zu der schärfsten Wirkung und starrte unverwandt nach der verhängnißvollen Bank. Noch war die Bank leer, wenige Spaziergänger gingen gleichgültig an ihr vorüber, die Zeit wurde lang, der Doctor sah eine halbe Stunde durch die Gläser, daß ihm die Augen schmerzten, aber er hielt aus, sein Stand war ausgezeichnet, der Verbrecher konnte nicht entrinnen. Da plötzlich, gerade als sein Auge zufällig nach Herrn Hummels Haus abschweifte, sah er dort die Gartenthür nach dem Stadtpark geöffnet, etwas Dunkles fuhr heraus zwischen die Bäume, kam bei der Bank aus dem Gehölz, sah sich vorsichtig um, strich längs der Bank dahin und verschwand wieder hinter den Coulissen der Bäume und hinter der feindlichen Gartenpforte. Ein unendliches Erstaunen lagerte sich auf dem Antlitz des Doctors, er drückte das Opernglas zusammen und lachte still vor sich hin, richtete wieder die Gläser und spähte der verschwundenen Gestalt nach, schüttelte mit dem Kopf und verfiel in ein tiefes Sinnen. Da, horch, der ruhige Schritt zweier Lustwandelnden. Der Professor und Ilse traten in seiner Nähe aus dem Holz, sie blieben einige Schritt von der Bank stehen und sahen auf einen verhängnißvollen Strauß, welcher recht unschuldig dalag. Der Doctor brach lachend aus dem Gebüsch, er nahm den Strauß und bot ihn Ilse an. »Es ist nicht der Student,« sagte er.
»Wer also?« frug der Professor unruhig.
»Das darf ich nicht sagen,« versetzte der Doctor, »aber die Sache ist harmlos, der Strauß ist von einer Dame.«
»Im Ernst?« frug der Professor.
»Verlaß dich darauf,« tröstete Fritz überzeugend, »er ist von Jemand, den wir beide kennen. Und deine Frau darf keinen Augenblick anstehen, sich den Gruß gefallen zu lassen, er ist in bester Meinung gegeben.«
»Sind die Städter so reich an Versen und Geheimnissen?« frug Ilse neugierig und nahm mit leichtem Herzen die Blumen. Wieder wurde gerathen, leider fand sich kein Mensch, dem man dergleichen zutrauen konnte. »Es ist mir lieb, daß sich die Sache so löst,« sprach der Professor, »doch sage deiner Dichterin, daß solche Sendung sehr leicht in falsche Hände kommen kann.«
»Ich habe keinen Einfluß auf sie,« erwiederte der Doctor, »aber weshalb sie sich diese Grüße auch in den Kopf gesetzt hat, es wird euch nicht ewig Geheimniß bleiben.«
Endlich kam die heißersehnte Stunde, in welcher Laura mit der hohen Fremden – so wurde Ilse bis zu diesem Tage in den Memoiren bezeichnet – ohne Beobachter zusammentraf. Die Mutter war ausgegangen, als Ilse mit einer häuslichen Frage in das Wohnzimmer trat. Laura gab Auskunft, wurde im Reden herzhaft und wagte endlich die Bitte, daß Ilse mit ihr in den Hausgarten hinabsteigen möchte. Dort saßen beide nebeneinander in dem letzten Strahl der Octobersonne und begutachteten mild den Kahn, den chinesischen Tempel und die Vorübergehenden. Endlich faßte Laura mit den Fingerspitzen Ilse's Hand und zog sie in die Gartenecke, um ihr die größte Seltenheit, das verlassene Nest eines Zaunschlüpfers, zu zeigen. Die Vögel waren längst entflogen, das Gewebe hing an halbentlaubten Aesten. »Hier waren sie,« rief Laura nachdrücklich; »himmlische kleine Wesen, fünf gesprenkelte Eier lagen darin, und sie haben die Kleinen glücklich heraufgebracht.
1 comment