Ich flehe zu Gott und seinen Heiligen, daß sie dir beistehen und dich die höhere Pflicht erkennen lassen, damit du sie der geringern vorziehest, du und dein Gatte, denn siehe, dieser große und schwere Kampf wird an euch beide herantreten.«
Victoria erblaßte, da ihr die akademische Frage plötzlich in das lebendige Fleisch schnitt, der Heilige Vater aber redete feierlich: »Höre mich, meine Tochter! Alles, was ich dir jetzt zu sagen habe, ist auch dem Marchese gesagt, den meine Worte durch dich erreichen. Vernimm es: der Heilige Stuhl trennt sich zu dieser Stunde von der Kaiserlichen Majestät und bietet ihr die Spitze. Ich handle so als Fürst und als Hirte. Als Fürst: weil heute die Schicksalsstunde Italiens ist. Lassen wir sie verrinnen, so verfallen wir italienischen Fürsten alle auf Jahrhunderte hinaus dem spanischen Joche. Frage, wen du willst: so urteilen alle Einsichtigen. Aber auch als höchster Hirte. Ersteht in jenem rätselhaften Jüngling, der Völker in seinem Blut und auf seinem Haupte Kronen vereinigt, der alte Kaisergedanke, so ist die ganze leidenvolle Arbeit meiner heiligen Vorgänger umsonst gewesen, und die Kirche wird durch die neue Staatskunst enger gefesselt und tiefer gedemütigt, als von den eisernen Fäusten jener fabelhaften germanischen Ungetüme, der Salier und der Staufen. So steht es. Blieb dir fremd, was Italien mit Furcht und Hoffnung erfüllt?«
»Der Marchese will es nicht glauben«, sagte Victoria mit einem schnellen Erröten. Der Heilige Vater lächelte. »Heiligkeit vergesse nicht«, lächelte sie ebenfalls, »ich bin eine Colonna, das ist eine Ghibellinin.«
»Du bist eine Römerin, meine Tochter, und eine Christin«, wies sie Clemens zurecht.
Es entstand eine Pause. Dann fragte sie: »Und Pescara?«
»Pescara«, antwortete der Papst und dämpfte die Stimme, »ist eher mein Untertan als derjenige des Kaisers. Denn er ist ein Neapolitaner, und ich bin der Lehensherr von Neapel. Glaube nicht, Victoria, daß ich leichthin rede. Wie dürfte ich es, da ich das Gewissen der Welt bin? Wahrlich, ich sage dir: in schlaflosen Nächten und bekümmerten Frühstunden habe ich mein Recht auf Pescara geprüft. Meiner politischen Vernunft mißtrauend, habe ich die zwei größten Rechtsgelehrten Italiens zu Rate gezogen, Accolti und ... hm ... den zweiten.«
Der Papst zerdrückte den Namen klüglich auf der Zunge, da ihm noch zur rechten Zeit einfiel, dieser zweite Rechtsgelehrte, der Bischof von Cervia, genieße des Rufes der schamlosesten Käuflichkeit. »Beide« – Clemens klopfte mit dem Fischerring auf das blaue Buch – »stimmen zusammen, daß Pescara, nach strengem Rechte betrachtet, viel mehr mein Mann sei als der des Kaisers, und beide erinnern mich daran, daß ich überdies, kraft meines Schlüsselamtes, jetzt da der Kaiser mein Feind wird, die Macht besitze, den Marchese eines Eides zu entbinden, den er einem Feinde des Heiligen Stuhles geschworen hat.«
Der Papst hatte sich langsam erhoben. »Und so tue ich!« sagte er priesterlich. »Ich löse Ferdinand Avalos vom Kaiser und zerbreche seine Treue. Ich ernenne den Marchese von Pescara zum Gonfaloniere der Kirche und zum Feldherrn der Liga, welche die heilige heißt, weil Christus in der Person seines Nachfolgers an ihrer Spitze steht.« Der Papst hielt inne.
Jetzt hob er die rechte und die linke Hand in gleicher Höhe, als hielten sie eine Krone über dem Haupte der Colonna, die, von Staunen überwältigt, auf die Kniee sank, und sprach mit lauter Stimme: »Die Verdienste meines Gonfaloniere um mich und die heilige Kirche voraus belohnend, kröne ich Ferdinand Avalos Marchese von Pescara zum Könige von Neapel!« Die junge Königin erbebte vor Freude. Sie glaubte eine Krone zu verdienen. Sprachlos, mit brennenden Wangen empfing sie den Segen. Dann stand sie auf und ging, in gemessenen, aber eiligen Schritten, als könne sie es nicht erwarten, dem erhöhten Gemahl seine Krone zu bringen.
Der Heilige Vater, selbst aufgeregt, folgte ihr so hastig, daß er beinahe einen Pantoffel verloren hätte. An der Schwelle erreichte er sie und wollte ihr den Band von blauem Sammet bieten. »Für den Marchese«, sagte er.
Da erblickte er hinter ihr Guicciardin mit Morone, die viel leicht ein bißchen an der Türe gehorcht hatten. Victoria mit strahlenden Augen voll glühender Wonne erschien dem Kanzler als ein solches Wunder, daß er fast von Besinnung kam. Rasch gesammelt aber flehte er den Papst an: »Die Heiligkeit mache mich Unheiligen bekannt mit der himmlischen Victoria!« worauf Clemens ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter gab und ihn mit den Worten vorstellte: »Der Kanzler von Malland, ein Weltkind, auf das sich der Heilige Geist herabzulassen beginnt!« Dann wisperte er Victorien ins Ohr: »Morone, Buffone.«
Diese verschwand in der Verwirrung ihres Glückes, während der Papst in der seinigen das wichtige blaue Buch zurückbehielt, denn er war noch ganz berauscht von der kühnen symbolischen Tat, zu welcher ihn der Anblick der schönen Frau hingerissen hatte.
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