Er wird Eure Heiligkeit begrüßen, wenn er den Urlaub antritt, den ihm die Gnade des Kaisers zugesagt hat und der uns Glückselige« – sie sprach es mit jubelnden Augen – »auf unserer Meeresinsel vereinigen wird. Aber er selbst verweigert sich denselben für einmal noch, weniger des politischen Horizontes wegen, der nicht heller noch trüber sei als sonst – so schreibt er – sondern weil er gerade jetzt das Heer ungern verlasse. Der Mörder«, sagte sie lächelnd, »beschäftigt sich nämlich mit einer vervollkommneten Feuerwaffe und einem neuen Manöver. Das brächte er nun gerne erst zu einem Ergebnis. So hat er mich, die er anfänglich hier in Rom überraschen wollte, in sein Feldlager nach Novara beschieden und ich reise morgen, nicht im Schneckenhaus meiner Sänfte, sondern im Sattel meines hitzigen türkischen Pferdchens. Hätte ich Flügel! mich verlangt nach den Narben meines Herrn, dessen Antlitz ich nicht gesehen seit jener berühmten Schlacht, die ihn unsterblich gemacht hat. Und so bin ich zu der Heiligkeit geeilt in der Freude meines Herzens, um mich bei Ihr zu beurlauben: denn das ist der Zweck meines Besuches.« So redete Victoria aufwallend und überquellend wie ein römischer Brunnen.
Ihre aufrichtigen Worte belehrten den Heiligen Vater, daß Pescara sein Tun und Lassen in dasselbe Zwielicht stelle, welches auch er liebte. Nur mit dem Unterschiede, daß der junge Pescara im entscheidenden Augenblicke wie ein Blitz aus seiner Wolke hervorsprang, während Clemens unentschlossen, über sich selbst zornig, in der seinigen verborgen blieb, weil er aus greisenhafter Überklugheit den Moment zu ergreifen versäumte. Er schärfte, in einem andern Bilde gesprochen, den Stift so lange, bis zu seinem Ärger die allzu feine Spitze abbrach. Jetzt trat er leise und tastete.
»Einen Urlaub hat der Marchese verlangt?« verwunderte er sich. »Ich dächte, seinen Abschied? Achilles zürnt im Zelte, so hörte ich.«
»Davon weiß ich nichts und das glaube ich nicht, Heiliger Vater«, entgegnete Victoria und warf mit einer stolzen Gebärde das Haupt zurück. »Warum seinen Abschied?«
»Nicht wegen einer rosigen Briseis, Madonna«, antwortete Clemens ärgerlich mit einem frostigen Scherze, »sondern geprellt um einen erbeuteten König und um die Türme von Sora und Carpi.«
Damit spielte der Papst auf zwei bekannte Tatsachen an. Der Vizekönig von Neapel hatte bei Pavia, Pescara zuvorkommend, den Degen des französischen Königs in Empfang und damit die Ehre vorweggenommen, die erlauchte Beute nach Spanien führen zu dürfen. Und dann hatte der Kaiser Sora und Carpi den begehrlichen Colonnen, den eigenen Verwandten der Victoria geschenkt, nicht seinem großen Feldherrn, welcher ebenfalls einen Blick danach geworfen.
Victoria errötete unwillig. »Heiliger Vater, Ihr denkt gering von meinem Gemahl. Ihr stellet Euch einen kleinlichen Pescara vor: gebet mir Urlaub, damit ich reise und mich überzeuge, daß Euer Pescara nicht mein Pescara ist. Ich habe Eile vor den wahren zu treten.«
Sie erhob sich und stand groß vor dem Papste, aber schon verbeugte sie sich wieder tief mit demütiger Gebärde, um seinen Segen flehend. Da bat er sie, sich wiederum zu setzen, und sie gehorchte. Clemens durfte sich die Gelegenheit nicht entrinnen lassen, Pescara durch den geliebten Mund seines Weibes zum Abfalle zu bereden. Daß aber mit Anspielungen und Vorbereitungen bei der Colonna, wie er sie vor sich sah, nichts getan wäre, begriff er leicht: entweder würde sie sich gegen das Zweideutige aufbäumen, oder es als etwas Unverständliches und Nichtiges unbesehen in den Winkel werfen. Er mußte dieser wahren und auf Wahrheit dringenden Natur die Sache in klaren Umrissen vorzeichnen und in ein volles Licht stellen, damit sie dieselbe ihres Blickes würdige. Das ging ihm gegen seine Art, und er tat einen schweren Seufzer.
Da fand er eine Auskunft, die nicht ohne Geist und List war. Er fragte Victoria mit einer harmlosen Miene, während er die Hand mit dem Fischerring auf ein in blauen Sammet gebundenes Buch mit vergoldeten Schlössern legte: »Spinnst du wieder etwas Poetisches, geliebte Tochter? Wahrlich, ich bin ein Verehrer deiner Muse, weil sie sich mit dem Guten und Heiligen beschäftigt. Und ich liebe sie insbesondere, wo sie moralische Fragen stellt und beantwortet. Aber das schwerste sittliche Problem hast du noch in keinem deiner Sonette behandelt. Weißt du, welches ich meine, Victoria Colonna?«
Diese wunderte sich nicht über den plötzlichen Einfall des Heiligen Vaters, weil sie hier auf dem eigenen Boden stand und, bei ihrem schon gefeierten Namen, Gelehrte und Laien wohl nicht selten ähnliche Fragen an sie richten mochten. Sie fühlte sich und erhob den schlanken Leib kampflustig, während sich ihre Augen mit Licht füllten. »Der größte sittliche Streit«, sagte sie ohne Besinnen, »ist der zwischen zwei höchsten Pflichten.«
Jetzt hatte der Heilige Vater Fahrwasser gewonnen. »So ist es«, bekräftigte er mit theologischem Ernste. »Das heißt: scheinbar höchsten, denn eine der beiden ist immer die höhere, sonst gäbe es keine sittliche Weltordnung.
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