Er gehört zu uns, und in dieser Schicksalsstunde, da wir mit dem noch ledigen Arm unsern andern schon gefesselten befreien wollen, nehmen wir den größten Sohn der Heimat und ihren einzigen Feldherrn in Anspruch. Wir wollen zu ihm gehen, ihn umschlingen und ihn anrufen: Rette Italien, Pescara! Ziehe es empor! Oder es reißt dich mit in den Abgrund!«
»Genug deklamiert!« rief Guicciardin. »Ein Phantast wie du, Kanzler, mit den unbändigen Sprüngen deiner Einbildungskraft ist dazu da, das Unmögliche zu erdenken und auszusprechen, das vielleicht, näher betrachtet, nicht völlig unmöglich ist. Jetzt aber sei stille und laß die Vernünftigen es beschauen und sich zurechtlegen, was du im Fieber geweissagt hast. Gebärde dich nicht wie ein Rasender, sondern setze dich und laß mich reden!
Herrschaften, oft, und in verzweifelten Lagen immer, ist Kühnheit der beste und einzige Rat. Der Krieg unter dem Urbinaten starrt uns an wie eine Maske mit leeren Augen. Wir alle fühlen, er würde uns langsam lähmen und methodisch zugrunde richten. Lieber ein halsbrechendes Wagnis. Also ja! Wenn es nach mir geht, versuchen wir den Pescara! Verrät er uns an den Kaiser, so kann er uns alle verderben. Aber wer weiß, ob er nicht seinem Dämon unterliegt? Zuerst müssen wir uns fragen: wer ist Pescara? Ich will es euch sagen: ein genialer Rechner, der die Möglichkeiten scharfsinnig scheidet und abwägt, der die Dinge unter Ihrem trügerischen Antlitz auf ihren wahren Wert und ihre reale Macht zu untersuchen die Gewohnheit hat. Wäre er sonst, der er ist, der Sieger von Bicocca und Pavia? Wenn wir ihn an – treten, wird er zuerst eine große Entrüstung heucheln über eine Sache, die er sicherlich selbst schon in gewissen Stunden sich besehen und betrachtet hat, wenn auch vielleicht nur als Übung seines immerfort arbeitenden Verstandes. Dann wird er langsam und sorgfältig abwägen: den Stoff, den wir ihm geben, das heißt unser Italien, ob sich daraus ein Heer und später ein Reich bilden ließe, und – seinen Lohn. Und da der Stoff zwar edel, aber spröde ist und einer gewaltig bildenden Hand bedarf, müssen wir ihm die größte Belohnung bieten: eine Krone.«
»Welche Krone?« stammelte der Herzog angstvoll.
»Eine Krone, Hoheit, sagte ich, keinen Herzogshut, und meinte die schöne von Neapel. Sie ist in Feindeshand, also erledigt, und ein Lehen der Heiligkeit.«
»Wenn wir Kronen austeilen«, spottete der Venezianer, »warum bieten wir dem Pescara nicht gleich die Fabel- und Traumkrone von Italien?«
»Die Traumkrone!« Das Antlitz des Florentiners zuckte schmerzlich. Dann sprach er trotzig, sich und die Umsitzenden vergessend: »Die Krone von Italien! Wenn Pescara an der Spitze unserer Heere reitet, wird sie ungenannt vor ihm her schweben. Möchte er sie, als der Größte unserer Geschichte, fassen und ergreifen, diese ideale Krone, nach welcher schon so manche Hände und die frevelhaftesten sich gestreckt haben! Möge sie auf seinem Haupte zur Wahrheit werden! Und«, sagte er kühn, »weil wir heute jedes gewöhnliche Maß verlassen und unsern Endgedanken und innersten Wünschen Gestalt geben, so wisset, Herrschaften: ist Pescara der Vorausbestimmte, wie es möglich wäre, in der Zeit liegen große Begünstigungen und in den Sternen glückliche Verheißungen. Baut er Italien, so wird er es auch beherrschen. Aber, Kanzler, ich habe dich einen Phantasten genannt, und phantasiere größer als du. Kehren wir zurück aus dem Reiche des Ungebornen in die Wirklichkeit und stellen wir die Frage: wer übernimmt die Rolle des Versuchers?«
»Ich stürze mich wie Curtius in den Abgrund!« rief der Kanzler aus.
»Recht«, billigte Guicciardin. »Du bist die Person dazu. Einem andern würde die Stimme versagen und er würde vor Scham versinken, wenn er vor Pescara träte, um mit ihm von seinem Verrate zu reden. Du Schamloser aber bist zu allem fähig, und deine Schellenkappe bringt dich aus Lagen und Verwicklungen, wo jeder andere hängenbliebe. Will Pescara nicht, so nimmt er dich von deiner närrischen Seite und behandelt dich als Possenreißer; will er, so wird er unter deinen tragischen Gebärden und deinen komischen Runzeln den Ernst und die Größe der Sache schon zu entdecken wissen. Gehe du hin, mein Sohn, und versuche den Pescara!«
Der Herzog, der sich grübelnd auf seinem Schemel zusammengekauert hatte, wollte eben nach Licht rufen, denn die Dämmerung wuchs, und er fürchtete das Dunkel. Da sah er die Dinge unvermutet auf ihre Spitze kommen und wurde ängstlich. »Kanzler, du darfst nicht!« verbot er. »Ich will mit diesem großmächtigen Pescara nichts zu schaffen haben. Bekommen wir ihn, so wird er zuerst meine Ebenen nehmen, welche den Krieg anlocken, und meine Festungen, welche sie behaupten. Und hat er sie, so wird er sie behalten. Verspielt er aber, so büße ich zuerst und verfalle ohne Gnade dem Spruche des Kaisers meines Lehensherrn.
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