Oh, ich durchschaue euch! Ihr alle, selbst dieser da« – er blickte wehmütig nach seinem Kanzler – »habet immer nur euer Italien im Sinne, und ich gelte euch« – er blies über die flache Hand – »soviel! Ich aber bin ein Fürst und will mein Erbe, mein Mailand, und nichts als mein Mailand! Und du, Girolamo, gehst nicht zu Pescara. Die Geschäfte würden darunter leiden. Ich kann dich keine Stunde entbehren!«

Jetzt nahm der schöne Lälius das Wort und lispelte: »Wenn Hoheit darauf bestünde, so würde durch ihren Einspruch unser Plan hinfällig, und ich hätte einen andern. Da wir uns einmal, sonderbarerweise, nach unserm Capitano unter den kaiserlichen Feldherrn umsehen, wäre nicht etwa der Versuch zu machen, ob sich der Borbone, gegen ein großes Anerbieten, zu einem zweiten Verrat entschlösse?«

Der Herzog schrak zusammen. »Wann verreisest du, mein Girolamo?« fragte er.

»Zuerst, Kanzler«, fiel Guicciardin ein, »habe ich Auftrag dich nach Rom mitzunehmen. Der Heilige Vater wünscht dich näher kennenzulernen. Denn er hat eine große Meinung von dir. Er nennt dich den Kanzler Proteus und behauptet, du seiest trotz deiner tollen Augen, einer der klügsten Männer Italiens.«

»Das ist gut,« bemerkte der Venezianer, »schon weil es die entscheidende Stunde verschiebt, in welcher Girolamo Morone als Versucher zu Pescara tritt. Ich wünsche dieser Stunde zuvor einen Grund und eine Wurzel in der öffentlichen Meinung zu geben. Darf ich mich darüber verbreiten, Herrschaften?«

Das fade Gesicht des Venezianers nahm, soweit sich in der Dämmerung noch unterscheiden ließ, einen energischen Ausdruck an und er redete mit markiger Stimme: »Der Kanzler, da er sein bedeutendes Wort aussprach, hat uns ohne Zweifel erschreckt, aber nicht eigentlich in Verwunderung gesetzt. Nachdem der vernichtende Schlag von Pavia dem Kaiser unser ganzes Italien wehrlos zu Füßen geworfen hatte, suchte die öffentliche Meinung von selbst eine Schranke gegen die drohende Allmacht und ließ aus der Natur der Dinge unsere Liga emporwachsen. Zugleich beschäftigte sich die öffentliche Meinung mit dem Lohne, der Pescara für seinen vollkommenen Sieg und die Erbeutung eines Königes gebühre. Und da die Kargheit und der Undank des Kaisers weltbekannt sind, zog sie den Schluß, daß er seinen Feldherrn nicht zufriedenstellen und dieser anderwärts einen Ersatz suchen werde. Jetzt verbindet die öffentliche Meinung diese beiden Dinge: unsern schon durchschimmernden patriotischen Bund und einen möglichen größern Gewinn des Pescara. So wird sein Übertritt glaubwürdig, bevor er sich vollzieht. Nur ist es dienlich, daß dieser begründeten allgemeinen Ansicht durch eine geschickte Hand eine überzeugende Gestalt und durch eine geläufige Zunge eine für ganz Italien verständliche Sprache gegeben werde. Nun ist seit kurzem ein wanderndes Talent unter uns aufgetaucht, ein vielversprechender junger Mann, der sich hoffentlich noch an Venedig fesseln läßt –«

»Einen Fußtritt dem Aretiner! Er hat mich schändlich verleumdet ...« »Ein göttlicher Mann! Er hat mich den ersten Fürsten Italiens genannt!« riefen Guicciardin und der Herzog miteinander aus.

»Ich sehe«, lächelte Nasi, »daß der Mann auch hier nach seinem Werte gekannt ist. Seine Briefe, an wahre oder erfundene Personen, in tausend und tausend Blättern ausgestreut, sind eine Macht und beherrschen die Welt. Ich will ihm eine sehr starke Summe senden, und ihr werdet euch über die Saat von schönfarbigen Giftpilzen verwundern, die über Nacht aus dem ganzen Boden Italiens emporschießt: Verse, Abhandlungen, Briefwechsel, ein bacchantisch aufspringender, taumelnder Reigen verhüllter und nackter, drohender und verlockender Figuren und Wendungen, alle um Pescara sich drehend und um die Wahrscheinlichkeit und Schönheit seines Verrates. So bildet sich eine unüberwindliche allgemeine Überzeugung, welche den Pescara zu uns herüberreißt und ihn zugleich – da liegt es – am kaiserlichen Hofe so gründlich und endgültig untergräbt, daß er zum Verräter werden muß, er wolle oder nicht«

»Nichts da, Exzellenz!« rief der Kanzler aus dem Dunkel »Ihr verderbt mir das Spiel! Der Befreier Italiens soll sich in voller Freiheit entscheiden, nicht als das Opfer einer teuflischen Umgarnung ...«

»Du bist prächtig, Kanzler, mit deinen moralischen Skrupeln!« unterbrach ihn Guicciardin. »Wisse, auch mein Herz empört sich und nimmt Teil für den unrettbar Überlisteten, Aber ich heiße den Menschen schweigen und handle als Staatsmann Das Mittel der Exzellenz ist ohne Vergleichung unter alledem; was heute Abend gefunden wurde, das ruchloseste, aber auch das klügste und wirksamste. Erst jetzt wird die Sache wahrhaft gefährlich für Pescara, und sein Verrat wahrscheinlich. Ans Werk«

»Er ist unter uns und lauscht!« schrie der Herzog mit gellen der Stimme, daß alle zusammenfuhren. Ihre Blicke folgten seinem geängstigten. Der Mond, der als blendende Silberscheibe über den Horizont getreten war und seine schrägen Strahlen in das kleine Gemach zu werfen begann, spielte wunderlich auf der Schachpartie. Victorias hervorquellendes Auge blickte erzürnt als spräche es: Hast du gehört, Pescara? Welche Verruchtheit! und jetzt fragte es angstvoll: Was wirst du tun, Pescara? Dieser war bleich wie der Tod, mit einem Lächeln in den Mundwinkeln.

 

Zweites Kapitel

 

In der weiten hellen Fensternische jener edeln vatikanischen Kammer, an deren Dielen und Wänden Raffael die Triumphe des Menschengeistes verherrlicht, saß ein Greis mit großen Zügen und von ehrwürdiger Erscheinung. Er sprach bedächtig zu dem emporgewendeten, mit dunkelblonden Flechten umwundenen Haupte eines Weibes, das zu seinen Füßen saß und mit einem warmen menschlichen Blut in den Adern ebenso schön war als die Begriffe des Rechtes und der Theologie, wie sie der Urbinate in herrlichen weiblichen Gestalten verkörpert. Der betagte Papst ist seinem langen gebückten Rücken und in seinem fließenden weißen Gewande ähnelte einer klugen Matrone, welche lehrhaft mit einem jungen Weibe plaudert.

Noch nicht gar lange mochte Victoria auf ihrem Schemel gesessen haben, denn der Heilige Vater erkundigte sich eben erst nach dem Befinden ihres Gatten des Marchese von Pescara. »Die Seitenwunde von Pavia macht sich nicht mehr fühlbar?« sagte er.

»Der Marchese ist völlig geheilt«, erwiderte Victoria unschuldig. »Die Seitenwunde ist vernarbt sowie auch die schlimmere Stirnwunde.