Sie werden kein Risiko eingehen. Und Sie werden gut bezahlt werden. Möglicherweise müssen Sie nicht einmal töten. Hören Sie zu!« Manfred hatte gesehen, wie Thery seinen Mund geöffnet hatte, um etwas zu sagen. »Kennen Sie England? Ich sehe schon, nein. Aber Sie kennen Gibraltar? Nun, das sind dieselben Menschen. Es ist ein Land dort oben.« Manfreds ausdrucksvolle Hände deuteten nach Norden. »Ein komisches, langweiliges Land mit komischen, langweiligen Menschen. Dort lebt ein Mann, ein Mitglied der Regierung, und es gibt Menschen dort, von denen die Regierung noch nie etwas gehört hat. Sie erinnern sich sicher an einen: Garcia, Manuel Garcia, Führer der Carlisten-Bewegung. Er ist in England. Es ist das einzige Land, in dem er sicher ist. Von dort aus lenkt er die Geschicke der Bewegung hier -der ganz großen Bewegung. Sie wissen doch, wovon ich spreche?«
Thery nickte.
»In diesem Jahr hat es, wie im vorigen Jahr, eine große Hungersnot gegeben. Menschen sind vor den Kirchentoren gestorben und auf den öffentlichen Plätzen verhungert. Sie haben verfolgt, wie eine korrupte Regierung eine andere korrupte Regierung ablöste. Sie haben mit angesehen, wie Millionen der öffentlichen Gelder in die Taschen der Politiker flössen. Dieses Jahr wird etwas geschehen. Das alte Regime muß verschwinden. Die Regierung weiß das. Sie kennt die Gefahr und weiß, daß es nur eine einzige Rettung für sie gibt: Garcia wird ihnen ausgeliefert, bevor es zum Aufstand kommen kann. Im Augenblick ist Garcia noch sicher, und er wäre es für alle Zeiten, wenn nicht ein gewisses Mitglied der englischen Regierung dabei wäre, einen neuen Gesetzesentwurf einzubringen und ihn zu verabschieden. Ist er verabschiedet, ist Garcia so gut wie tot. Sie sollen uns verhindern helfen, daß dieses Gesetz je in Kraft tritt. Deshalb haben wir Sie kommen lassen.«
Thery sah bestürzt drein.
»Aber - wie?« stammelte er.
Manfred holte aus einer seiner Taschen ein Blatt Papier und reichte es Thery.
»Das hier«, sagte er bedächtig, »ist wohl eine exakte Kopie Ihres polizeilichen Steckbriefes?«
Thery nickte.
Manfred beugte sich vor und deutete auf ein Wort etwa in der Mitte des Blattes. »Ist das Ihr Metier?«
Thery sah verwirrt aus.
»Ja«, erwiderte er.
»Und Sie verstehen wirklich etwas von diesem Handwerk?« fragte Manfred ernst.
Die beiden anderen beugten sich ebenfalls vor, um die Antwort mitzubekommen.
»Ich weiß alles, was man dazu wissen muß«, antwortete Thery langsam. »Wäre dieser Irrtum nicht passiert, hätte ich sehr viel Geld verdienen können.«
Manfred stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und nickte seinen beiden Begleitern zu.
»Dann«, sagte er munter, »ist der englische Minister ein toter Mann.«
1
Am 14. August 1902 erschien in Londons gemäßigtster Tageszeitung am Ende einer unwichtigen Seite eine winzige Notiz, in der stand, daß der Außenminister durch eine Anzahl von Drohbriefen sehr verärgert worden ist und bereit sei, für jede Information, die zur Festnahme und Verurteilung der betreffenden Person oder der Personen führen würde, eine Belohnung von fünfzig Pfund zu zahlen usw. Die wenigen Menschen, die Londons gemäßigtste Zeitung lasen, dachten in ihrer schwerfälligen Athenäum-Klub-Art, daß es im Grunde höchst bemerkenswert war, daß sich ein Staatsminister durch irgend etwas verärgern ließ; und noch bemerkenswerter schien, daß er seine Verärgerung auch noch durch eine Anzeige öffentlich kundtat; und am allerbemerkenswertesten, daß er auch nur eine einzige Minute lang daran glaubte, daß die Aussetzung einer Belohnung das Ärgernis aus der Welt schaffen könnte.
Nachrichtenredakteure weniger gemäßigter, aber größerer Zeitungen mit höherer Auflage, die gelangweilt die stumpfsinnigen Artikel der Old Sobriety überflogen, horchten sichtlich auf, als sie die Zeitungsnotiz lasen.
»Hoppla, was ist denn das?« fragte Smiles vom Comet.
Er schnitt die Notiz mit einer riesigen Schere aus, klebte sie auf ein Blatt Durchschlagpapier und schrieb drüber: Wer ist Sir Philips Briefpartner?
Als nachträglichen Einfall - der Comet stand auf der Seite der Opposition - ließ er der Frage noch eine kurze Bemerkung vorangehen, in der er humorvoll mutmaßte, die Briefe würden wohl von einer intelligenten Wählerschaft stammen, die der bisher unentschlossenen Haltung der Regierung müde geworden war.
Der Nachrichtenredakteur der Evening World - ein weißhaariger besonnener Gentleman - las die Notiz zweimal, schnitt sie ebenfalls sorgfältig aus, las sie noch einmal, vergaß sie aber sehr bald restlos, nachdem er sie unter einen Briefbeschwerer gelegt hatte.
Der Nachrichtenredakteur des Megaphone, eines wirklich sehr schillernden Blattes, schnitt die Notiz aus, während er sie las, läutete, zitierte einen Reporter herbei und erteilte ihm ein paar knappe Instruktionen - alles sozusagen in einem Atemzug.
»Machen Sie sich auf den Weg zum Portland Place -versuchen Sie mit Sir Philip Ramon zu sprechen -, beschaffen Sie sich die Story dieser Notiz! Warum droht man ihm, und womit droht man ihm? Wenn möglich, versuchen Sie eine Kopie eines solchen Drohbriefes zu bekommen! Und wenn Sie Ramon selbst nicht sprechen können, dann schnappen Sie sich einen Sekretär!«
Der gehorsame Reporter machte sich auf den Weg.
Eine Stunde später kehrte er in einem sehr rätselhaften Zustand der Erregung zurück, der typisch für einen Reporter war, der mit einer Sensationsmeldung aufwarten konnte.
Der Redakteur gab die Meldung ordnungsgemäß an den Chefredakteur weiter, und dieser bedeutende Mann sagte: »Das ist sehr gut, das ist wirklich sehr gut.«
Was als höchstes Lob gewertet werden mußte.
Was an der Story des Reporters wirklich sehr gut‹ war, kann man der halbspaltigen Veröffentlichung entnehmen, die am folgenden Tag im Megaphone erschien:
KABINETTSMINISTER IN GEFAHR.
MORDDROHUNGEN GEGEN DEN AUSSENMINISTER.
»DIE VIER GERECHTEN.«
KOMPLOTT ZUR VERHINDERUNG DER VERABSCHIEDUNG DES AUSLÄNDER-AUSLIEFERUNGS-GESETZES. SENSATIONELLE ENTHÜLLUNGEN.
Beachtliches Aufsehen erregte das Erscheinen der nachfolgenden Notiz im Nachrichtenteil des gestrigen »National Journal: Der Außenminister (Sir Philip Ramon) hat während der letzten Wochen Drohbriefe erhalten, die alle offensichtlich aus einer
Quelle stammen und von ein und derselben Person geschrieben wurden.
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