Es verging indeß einige Zeit, ehe Dolph seine Augen schließen konnte. Er lag da und betrachtete sich die Scene vor ihm: wilde Wälder und Felsen ringsum; das Feuer, das helle Strahlen auf die Gesichter der schlafenden Wilden verbreitete, und dazu Herr Anton, der ihn so seltsam, wenn auch unbestimmt, an den nächtlichen Besuch im verzauberten Hause erinnerte. Hier und da hörte er das Geschrei einiger Thiere aus dem Forst, oder das Geschrei der Eule; oder die Töne der Nachtschwalbe, welche in jener einsamen Gegend sehr häufig zu sein schienen; oder das Plätschern eines Störs, der sich aus dem Flusse erhob und wieder auf die ruhige Wasserfläche zurückfiel. Er verglich alles dieses mit seinem gewohnten Aufenthalt in der Dachstube des Doktors, wo in der Nacht keine anderen Töne zu hören waren, als der Klang der Kirchenglocke, welche die Stunden anzeigte, die schwerfällige Stimme des Wächters, der ausrief, daß Alles in Ordnung sei, das tiefe Schnarchen des Doktors aus dem unteren Stocke, oder die vorsichtige Arbeit einiger Ratten, die an dem Tafelwerk nagten. Seine Gedanken wanderten dann zu seiner armen alten Mutter. Was mochte sie von seinem geheimnißvollen Verschwinden denken – welche Angst und welchen Kummer mochte sie erdulden? Diese Gedanken drangen sich ihm unaufhörlich auf und verdarben ihm jede Freude der Gegenwart. Er empfand Schmerz und Gewissensbisse, und mit Thränen in den Augen schlief er ein. –
Wäre dieß ein bloßes Bild der Einbildungskraft, so würde hier eine schickliche Veranlassung sein, seltsame Ereignisse in diesen wilden Gebirgen und unter diesen umherschweifenden Jägern einzuweben, und nachdem wir unseren Helden in mancherlei Gefahren und Schwierigkeiten verwickelt hatten, würden wir ihn aus allem durch einige wunderbare Erfindungen retten können. Aber alles dieß ist ja eine wahre Geschichte, und wir müssen uns daher auf einfache Thatsachen beschränken und nicht gegen die Wahrscheinlichkeit verstoßen.
Am folgenden Tage früh bei rechter Zeit, nach einem tüchtigen Frühstück, brach das Lager auf, und unsere Abenteurer schifften sich in der Pinasse des Anton van der Heyden ein. Da kein Wind wehte, ruderten die Indianer langsam weiter und schlugen dabei zu einem von den weißen Männern gesungenen Liede den Takt. Der Tag war heiter, der Fluß ohne Wellen, und wie das Fahrzeug das helle Wasser durchschnitt, ließ es eine lange, wogende Spur hinter sich. Die Krähen, die das Mahl der Jäger witterten, sammelten sich und schwebten schon in der Luft, gerade da, wo eine dünne, blaue Rauchsäule, die unter den Bäumen aufstieg, den Ort anzeigte, wo die Jäger ihre letzte Nachtherberge gehalten hatten. Als sie an der Basis der Gebirge hinfuhren, zeigte Herr Anton Dolph einen mächtigen Adler, den Beherrscher dieser Gegenden, der auf einem trockenen, über den Fluß herüber hängenden Baum saß und mit aufwärts gerichteten Augen den Glanz der Sonne einzuziehen schien. Ihre Annäherung störte das Nachdenken des Monarchen. Er breitete erst einen Flügel, dann den andern aus, balancirte einen Augenblick und verließ dann seinen Ast in würdiger Ruhe, indem er langsam über ihre Köpfe wegflog. Dolph ergriff schnell ein Gewehr und schickte ihm eine Kugel nach, die ihm einige Federn aus dem Flügel wegnahm; der Knall von dem Gewehr verbreitete sich von Fels zu Fels und erweckte tausend Echos; aber der Beherrscher der Lüfte segelte ruhig weiter, stieg immer höher und höher, sich im Steigen im Kreise drehend, und flog dem grünen Schooße des waldigen Gebirges zu, bis er über einem hervorstehenden Abgrund verschwand. Dolph empfand gewissermaßen einen Vorwurf in dieser stolzen Ruhe und tadelte sich fast selbst, daß er diesen majestätischen Vogel so muthwillig beleidigt habe. Herr Anton sagte ihm lachend, er möge daran denken, daß er noch nicht aus dem Gebiete des Herrn von Dunderberg sei; und ein alter Indianer schüttelte den Kopf und meinte, einen Adler tödten bringe wenig Glück; der Jäger sollte im Gegentheil ihm immer einen Theil seiner Beute überlassen.
Nichts kam indessen vor, was sie auf ihrer Reise belästigt hätte. Sie kamen wohlbehalten durch herrliche und einsame Scenen, bis sie dahin gelangten, wo die Pollopols-Insel wie eine schwimmende Laube am Ende der Hochlande lag. Hier warteten sie, bis die Hitze des Tages abnehmen oder ein frischer Wind sich erheben und die Anstrengung des Ruderns unnöthig machen würde. Einige bereiteten das Mittagsmahl, während Andere im Schatten der Bäume sich dem Nichtsthun in der Sommerhitze überließen und träge auf die Schönheit der Gegend umherschauten. Auf der einen Seite waren die hohen, felsigen Hochlande bis zur Spitze mit Wald bewachsen, die ihre Schatten auf das klare, zu ihren Füßen strömende Wasser warfen. Auf der anderen Seite dehnte sich der Fluß gleich einem breiten See weit aus, mit langem, glänzendem Spiegel und grünen Vorgebirgen, und die fernen Schawungunk-Berge zeigten sich am klaren Horizont oder erschienen durch wolliges Gewölke.
Aber wir unterlassen es, bei den Einzelnheiten ihrer Fahrt auf dem Flusse länger zu verweilen. Dieses herumschweifende amphibienartige Leben, die Silberfläche des Wassers durchsegelnd, an wildem Waldrand landend, an schattigen Vorgebirgen schmausend, mit der Baumdecke über dem Haupt, während der Fluß mit hellem Schaum den Fuß bespülte; die fernen Gebirge und Felsen mit Bäumen, Wolken und tief blauem Himmel, Alles zusammen in sommerlicher Schönheit vor sich; Alles dieses würde ermüdend sein, wollten wir es weiter ausspinnen.
Wenn sie sich am Stromesufer gelagert hatten, pflegten einige von der Gesellschaft in die Wälder zu gehen und zu jagen, andere zu fischen; bisweilen vergnügten sie sich auch mit Schießen nach einem Ziele, mit Springen, Rennen und Ringen. Dolph gelangte dabei zu großer Gunst in den Augen Antons van der Heiden durch seine Geschicklichkeit und Gewandtheit in allen diesen Leibesübungen, die der Herr als die vorzüglichsten aller männlichen Vollkommenheiten betrachtete.
So fuhren sie nun munter den Fluß dahin, indem sie nur die schönen Stunden zur Reise wählten, bisweilen in der kühlen Morgendämmerung, bisweilen in dem stillen Abendzwielicht, und bisweilen, wenn der Mondschein sich über die sich kräuselnden Wellen verbreitete, die an der Seite ihres kleinen Fahrzeuges flüsterten. Nie hatte sich Dolph so vollkommen in seinem Elemente gefühlt, nie war ihm etwas so vollkommen nach seinem Geschmack vorgekommen, als dieses wilde unstäte Leben. Er war der rechte Mann, um Anton van der Heyden in seinen umherstreifenden Launen beizustehen, und gewann immer mehr seine Zuneigung. Das Herz des alten Buschkleppers neigte sich dem jungen Manne zu, der solchergestalt selbst ihm immer ähnlicher wurde; und als sie sich dem Ende ihrer Reise näherten, konnte er nicht unterlassen, ein wenig nach seiner Geschichte zu forschen. Dolph erzählte ihm offen seinen Lebenslauf, seine schweren medicinischen Studien, seine schwachen Fortschritte und seine zweifelhaften Aussichten. Der Herr war betroffen, als er fand, daß solche schönen Talente und Fähigkeiten unter eine Doktorsperücke gezwängt und begraben werden sollten.
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