Gewöhnlich wurden ihm zu guter Letzt noch einige Worte nachgerufen, gerade wenn er um die Ecke bog.
Die ganze Nachbarschaft wurde durch dieses Gepränge und diese Umstände in Bewegung gesetzt. Der Schuhflicker verließ seinen Leisten, der Haarkräusler ließ sein frisirtes Haupt mit dem Kamm darin aus der Hand; eine Menge Menschen sammelte sich an des Gewürzkrämers Thüre, und man hörte die Worte von einem Ende der Straße zum andern murmeln: »Der Doktor reitet auf sein Landgut.«
Das waren goldene Augenblicke für Dolph. Kaum war der Doktor aus dem Gesicht, so ruhten Mörser und Mörserkeule, er kehrte dem Laboratorium den Rücken, um für sich selbst zu sorgen, und der Student trieb tolle Streiche.
In der That, man muß gestehen, der junge Bursche, wie er so aufwuchs, war auf dem besten Wege, die Voraussagung des alten kupferigen Herrn zu erfüllen. Er war der Rädelsführer aller Feiertagsspäße und mitternächtlichen Streiche, bereit zu allen Arten von muthwilligen Possen und albernen Abenteuern.
Es giebt nichts Lästigeres als einen Helden von einem kleinen Maßstab oder vielmehr einen Helden in einer kleinen Stadt. Dolph wurde bald der Abscheu aller trägen, alten Bürger, die alles Geräusch haßten und keinen Gefallen am Spaß fanden. Die guten Frauen aber hielten ihn für nicht viel besser als einen ruchlosen Menschen, nahmen, wie die Bruthennen, ihre Töchter unter ihren Schutz, wenn er sich nur blicken ließ, und zeigten ihn ihren Söhnen zur Warnung. Niemand schien ihn viel zu achten, mit Ausnahme der wilden Gesellen des Ortes, die sein offenherziges kühnes Benehmen für ihn einnahm, und der Neger, die immer auf jeden müßigen Taugenichts schauen, als wäre es ein Gentleman. Auch der gute Peter de Groodt, der sich gewissermaßen als einen Patron des Burschen betrachtete, fing an, an ihm zu verzweifeln und schüttelte zweifelhaft den Kopf, als er eine lange Litanei der Haushälterin anhörte und dabei ein Glas von ihrem Himbeerliqueur schlürfte.
Nur seine Mutter ließ trotz aller Verkehrtheit ihres Jungen nicht von ihrer Zuneigung, und ließ sich durch die Erzählungen seiner bösen Streiche, mit welchen ihre guten Freunde sie unablässig regalirten, nicht irre machen. Sie genoß in der That sehr wenig von dem Vergnügen, dessen sich reiche Leute erfreuen, wenn sie ihre Kinder immer loben hören; aber sie betrachtete alle diese üble Nachrede als eine Art von Verfolgung, die er erdulden mußte, und liebte ihn nur um so mehr. Sie sah ihn aufwachsen als einen schönen, schlanken, gut aussehenden Burschen und betrachtete ihn mit dem geheimen Stolz eines mütterlichen Herzens. Es war ihr großer Wunsch, daß Dolph wie ein Gentleman erscheinen sollte, und alles Geld, das sie erübrigen konnte, verwendete sie darauf, seiner Tasche und seiner Garderobe aufzuhelfen. Sie sah nach ihm aus dem Fenster, wenn er in seinem besten Anzug vorbeiging, und das Herz lachte ihr im Leibe. Einmal, als Peter de Groodt an einem schönen Sonntagsmorgen überrascht von seiner netten Erscheinung bemerkte: »Ja, das muß man sagen, Dolph wird ein hübscher Junge!« traten der Mutter die Thränen in die Augen. »Ach, Nachbar, Nachbar«, rief sie: »sie mögen sagen, was sie wollen, der arme Dolph wird noch seinen Kopf so hoch tragen wie die Besten unter seines Gleichen.«
Dolph Heyliger hatte jetzt fast das einundzwanzigste Jahr erreicht, und der Termin seines medicinischen Studiums ging gerade zu Ende; indessen muß man gestehen, daß er von seinem Fache wenig mehr verstand, als damals, wo er zuerst des Doktors Thüre betrat. Dieß entsprang indessen nicht aus Mangel an Verstand, denn er bewies ungewöhnliche Fähigkeiten, sich anderer Zweige des Wissens zu bemeistern, die er nur in Zwischenzeiten studirt haben konnte. Er war z. B. ein tüchtiger Spieler und gewann an den Weihnachtsfeiertagen alle Gänse und Truthühner. Ebenso war er ein geschickter Reiter; er war berühmt als Springer und Ringer; er spielte erträglich die Geige, schwamm wie ein Fisch und war der Erste im Ball-oder Kegelspiel.
Alle diese Talente aber setzten ihn in den Augen des Doktors nicht in Gunst; dieser wurde im Gegentheil immer mürrischer und unerträglicher, je näher der Termin seiner abgelaufenen Lehrzeit rückte. Dazu suchte Frau Ilsy jede Gelegenheit auf, einen Sturmwind ihm um die Ohren sausen zu lassen, und selten traf sie außer dem Hause mit ihm zusammen, ohne ihrer Zungenfertigkeit freien Lauf zu geben, so daß endlich das Klappern ihrer Schlüssel, wenn sie in seine Nähe kam, für Dolph wie das Läuten der großen Glocke klang. Nur die nie verschwindende gute Laune des unbedachtsamen Burschen setzte ihn in den Stand, alle diese häusliche Tyrannei ohne offene Empörung zu ertragen. Es war klar, daß der Doktor und seine Haushälterin daran waren, zur Zeit, wenn der Termin zu Ende ging, den armen Jungen aus dem Neste zu werfen, ein kurzer Prozeß, dessen sich der Doktor öfter bei unnützen Schülern zu bedienen pflegte.
Wirklich war der kleine Mann in der letzten Zeit in Folge verschiedener Sorgen und Plagen, die ihm aus seinem Landsitze erwuchsen, ungewöhnlich reizbar geworden. Der Doktor wurde häufig durch die über sein altes Haus umgehenden Gerüchte und Erzählungen beunruhigt und fand es schwer, den Landmann und seine Familie zu bewegen, auch unentgeltlich da zu bleiben. Jedesmal, wenn er nach dem Landgut ritt, wurde er durch neue Klagen über seltsame Geräusche und furchtbare Erscheinungen, durch welche die Bewohner bei Nacht geängstigt wurden, belästigt; und der Doktor kam ärgerlich und zornig nach Haus und ließ seine Galle an dem ganzen Haushalt aus. Es war ihm aber der Aerger nicht zu verübeln, denn die Sache ging sowohl seinen Stolz als seinen Beutel an. Es drohte ihm der gänzliche Verlust irgend eines Ertrags seines Eigenthums, und dann, welche Demüthigung für einen Landgutbesitzer, Herr eines verzauberten Hauses zu sein!
Man bemerkte sehr bald, daß der Doktor trotz aller Plagen sich niemals entschloß, in dem Hause selbst zu schlafen; ja er konnte nie dazu beredet werden, auf dem Gut zu bleiben, wenn es dunkel geworden war, sondern trat seinen Rückweg nach der Stadt an, sobald die Fledermäuse anfingen im Zwielicht herumzufliegen. Die Sache war aber die, der Doktor glaubte im Geheimen an Geister, da er den früheren Theil seines Lebens in einem Lande zugebracht hatte, wo sie ganz besonders häufig zu finden waren; ja es wird erzählt, daß, als er noch ein Knabe war, er einmal sogar den Teufel auf dem Harzgebirge in Deutschland gesehen habe.
Endlich kamen des Doktors Aergernisse über diesen Punkt zu einer Krise. Eines Morgens, als er eben halb schlummernd über einem Buch in seinem Studirzimmer saß, fuhr er plötzlich zusammen, weil die Haushälterin hereinstürmte.
»Das ist eine schöne Geschichte«, rief sie, als sie eintrat. »Da ist Claus Hopper mit Sack und Pack von dem Landgut gekommen und schwört, daß er nichts mehr damit zu thun haben wolle. Die ganze Familie hat fast vor Furcht den Verstand verloren, denn es herrscht ein solches Lärmen und Toben in dem alten Hause, daß sie nicht ruhig in ihren Betten schlafen können.«
»Donner und Blitz!« rief der Doktor ungeduldig.
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