Eine Autobiographie

Sacher-Masoch, Leopold von

Eine Autobiographie

 

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Leopold von Sacher-Masoch

Eine Autobiographie

 

Ich wurde am 27. Jänner (dem Geburtstage Mozart's) des Jahres 1836 in Lemberg, der Hauptstadt des Königreiches Galizien, geboren. Die Familie meines Vaters ist spanischen Ursprungs. Einer meiner Ahnen, Don Mathias Sacher, kämpfte als Rittmeister unter Kaiser Karl V. in der siegreichen Schlacht bei Mühlberg gegen die deutschen Protestanten, wurde verwundert nach Böhmen gebracht, vermählte sich hier mit einer Marquise Elementi und blieb im Lande. Professor Schleicher, der bekannte Sprachforscher, sagte mir, daß, wenn meine spanische Abkunft erwiesen sei, er nicht im mindesten daran zweifle, daß ich von den Arabern abstamme. Der Name Sacher kann im Arabischen auf mehr als fünfzig Wurzeln zurückgeführt werden, kommt bei diesem Volke häufig vor und es giebt sogar einen arabischen Dichter Sacher, von dem in der Hamasa (Sammlung arabischer Dichter) von Rückert die Rede ist.

Durch meinen Großvater Johann Nepomuk Ritter von Sacher kam die Familie nach Galizien zur Zeit, als dieses Land bei der Theilung Polens 1772 österreichisch wurde. Mein Großvater war Gubernialrath und Administrator von Galizien und erwarb sich als solcher so viel Vertrauen und Liebe, daß ihn der galizische Adel in seine Reihen aufnahm und ihm das Indigenat verlieh.

Mein Vater war der Polizeichef von Galizien und k.k. Hofrath Leopold Ritter von Sacher-Masoch, ein Staatsmann, der sich in drei polnischen Revolutionen 1831, 1846, 1848, bedeutende Verdienste erworben hat. Meine Mutter, Caroline Edle von Masoch, war die Letzte ihres alten slavischen Geschlechtes, mein Vater vereinigte daher – wie es in adeligen Familien Sitte – mit Bewilligung des Kaisers von Oesterreich, ihren Namen mit dem seinen und die Familie heißt seitdem Sacher-Masoch.

Ich brachte meine Kindheit in einem Polizeihause zu. Nur wenige wissen noch, was dies in Oesterreich vor 1848 sagen will: Polizeisoldaten, welche Vagabunden und gefesselte Verbrecher einbringen, finster aussehende Beamte, ein magerer, schleichender Censor, Spione, die Niemandem in das Gesicht zu sehen wagen, die Prügelbank vergitterte Fenster, durch welche hier lachend geschminkte Dirnen, dort melancholisch bleiche polnische Verschworene blicken. Das war, weiß Gott, keine fröhliche Umgebung!

Zum Glück genoß ich sie nur im Winter, und auch da vermochten diese häßlichen Eindrücke nur bis zur Schwelle zu dringen, hinter der meine gute, sanfte, verständige Mutter, dir nur ihrem Mann und ihren Kindern lebte, alles mit einem ruhigen, wohlthätigen Lichte erfüllte. Beinahe noch größeren Einfluß als sie nahm meine Amme, eine kleinrussische Bäuerin aus der Gegend von Lemberg, auf mich. Sie war lange Jahre in unserem Hause und in dieser Zeit der Abgott der Kinderstube. Es war ein großes, schönes Weib, ihr sanftes Antlitz fand ich viele, viele Jahre später in der Florentiner Tribune wieder, an der holden Madonna della Sedia von Rafaels Meisterhand gemalt. Sie erzählte mir alle jene schönen Geschichten und wunderbaren Märchen, welche in dem Munde unseres phantasievollen kleinrussischen Volkes leben, sie erzählte mir von Dobosch, dem Räuber, von der schönen Esterka, der jüdischen Pompadour Polens, von der unglücklichen Barbara Radziwill, von Bogden Chmielnizki, der an der Spitze der Kosaken den Adel Polens auf soviel Schlachtfeldern in die Flucht trieb, von dem Wojwoden Potozki, der Polen verrieth und der wahnsinnig wurde, als er Nachts am Balkone seines Schlosses in der Ukraine das Volkslied hörte, das ihn für ewig brandmarkte, und sie sang mir alle jene herrlichen, schwermüthigen Lieder, wie sie der kleinrussische Bauer singt, die ihresgleichen suchen an Kraft und Poesie und herzergreifender Melodie. Die wahre Freudenzeit war um Weihnachten, wenn Tag und Nacht gebacken wurde, und eine große Krippe aufgestellt war, und man sah das Jesuskind im Stalle zwischen Ochs und Esel, und die Hirten, die Geschenke brachten, und die heiligen drei Könige und sah oben den Stern aus Goldpapier, der sie führte. Dann saßen wir Kinder und die gute Amme und die Dienstleute umher und sangen die köstlichen Kolendi (Weihnachtslieder), in denen das tiefe Gemüth unseres Volkes mit seinem schalkhaften Humor wetteifert.

Später kam eine französische Bonne und ich sprach bald ebenso geläufig französisch wie meine slavische Muttersprache. Nun hörte ich noch andere hübsche Geschichten und wurde mit Barbe-bleu, Cendrillon und dem gestiefelten Kater bald ebenso vertraut, wie mit unserem schlauen Iwanov, der die Juden so herrlich zu prellen versteht, und der grausamen Russalka, welche schöne Jünglinge an sich lockt und mit ihrem goldenen Haar erwürgt.

Nichts hat mir jedoch einen so tiefen Eindruck gemacht, als die Geschichte des Schwarzkünstlers Twardoski, ich lauschte athemlos seinen spaßhaften Abenteuern und zitterte für ihn, als ihn ein fremder Diener in Krakau in die Schenke zur Stadt Rom einlud, denn ich wußte, daß sein Pakt mit dem Teufel dahin lautete, daß er ihn nur in Rom holen dürfe, und errieth sofort, daß die Hölle ihn überlistet habe. Als nun Twardoski in dem Augenblick, wo Satan erscheint, das schuldlose Kind der Wirthin ergreift und sich auf diese Weise schützt, spricht der Böse lächelnd: »Nun weiß ich, was das Wort eines Edelmanns werth ist.« Dies genügt. Twardoski giebt das Kind der Mutter zurück und überliefert sich dem Teufel. Giebt es eine Geschichte, welche den Keim der Ehre und des Ehrgefühls besser in eine Kinderseele senken könnte, wie diese? Und wie nun Satan Twardoski durch die Lüfte entführt und der letztere hört die Glocken der Marienkirche zum Ave läuten und beginnt das Gebet an die Muttergottes zu murmeln, das ihn seine Mutter gelehrt hat, da muß ihn der Teufel loslassen und Twardoski bleibt zwischen Himmel und Erde schweben und schwebt heute noch dort, und alle hundert Jahre kommt eine Spinne zu ihm herauf und bringt ihm Kunde von der Erde. Kann es ein schöneres Bild geben für den Menschen und sein Streben?

Frühzeitig war in mir der Instinkt rege, alles, was mich bewegte, darzustellen, und so spielten wir, Kleine und Große, uns alle die hübschen Geschichten vor, am liebsten den Twardoski und Barbe-bleu. Mein Cousin mit schwarzem Gesicht war ein unübertrefflicher Teufel, während ich den Twardoski vorstellte. Aus Sesseln und anderen Möbeln bauten wir ein herrliches Schloß, ein Spielkamerad, der später ein braver Offizier wurde, war Barbe-bleu, die Französin in einer alten, rothen, mit Hermelin besetzten Kazabaika meiner Mutter seine Frau, und ich einer der Brüder, die den Wütherich auf dem Thurme – und das war immer unser großer Speisetisch – todtstachen.

Im Sommer waren wir stets auf dem Land, in Zlazow oder dem wunderschönen Winiki; ich hatte eine kleine Flinte und eine Jagdtasche und durchstreifte, ganz mir selbst überlassen, Wald und Feld, Sumpf und Berge. Ich konnte stundenlang auf dem Teufelsfelsen sitzen und in die unermeßliche podolische Fläche hineinblicken. Damals schon waren die galizischen Bauern meine Lieblinge. Ich kehrte gerne bei ihnen ein und hörte mit fieberhafter Theilnahme ihre Erzählungen von der alten Kosakenfreit, der Umanier Adelsschlächterei, dem Räuberleben in den Karpathen. Damals erwachte wohl zu gleicher Zeit in mir jene tiefe Liebe für die Natur, welche man jetzt meinen Geschichten aus Galizien nachrühmt. Mein Vater nahm mich, so klein wie ich war, nicht allein auf die Schnepfen- und Wildenten-, sondern auch im Winter auf die Wolfsjagd mit.