Ich will nicht

an allem nörgeln. Wenn sie zu mir redet,

was mich zu hören freut, so will ich horchen,

auf was sie redet. Was die Wahrheit ist,

das bringt kein Mensch heraus. Niemand auf Erden

weiß über irgendein verborgnes Ding

die Wahrheit. Gibts nicht welche in den Kerkern,

die sagen, daß ich eine Mörderin

und daß Ägisth ein Meuchelmörder ist?

Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr

nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,

daß meine Augenlider angeschwollen

und meine Leber krank ist, und daß alles

nur von der kranken Leber kommt, und winselst

nicht du ins andre Ohr, daß du Dämonen

gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,

die mir das Blut aussaugen? zeigst du nicht

die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg ich

dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer

und Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden

und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht

mehr hören: dies ist wahr und das ist Lüge.

Wenn einer etwas Angenehmes sagt,

und wär es meine Tochter, wär es die da,

will ich von meiner Seele alle Hüllen

ablösen und das Fächeln sanfter Luft,

von wo es kommen mag, einlassen, wie

die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,

am Teiche sitzend, abends ihre Beulen

und all ihr Eiterndes der kühlen Luft

preisgeben abends, und nichts andres denken,

als Linderung zu schaffen. So will ich

einmal anfangen, selbst für mich zu sorgen.

Laßt mich allein mit ihr.

 

Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden, und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen.

 

KLYTÄMNESTRA nach einer Pause.

Ich habe keine guten Nächte. Weißt du

kein Mittel gegen Träume?

ELEKTRA näher rückend.

Träumst du, Mutter?

KLYTÄMNESTRA.

Hast du nicht andre Worte, mich zu trösten?

Laß deine Zunge los. Ich träume, ja.

Wer älter wird, der träumt. Allein es läßt sich

vertreiben. Warum stehst du so im Dunkel?

Man muß sich nur die Kräfte dienstbar machen,

die irgendwo verstreut sind. Es gibt Bräuche.

Es muß für alles richtige Bräuche geben.

Wie man ein Wort und einen Satz ausspricht,

darauf kommt vieles an. Auch auf die Stunde.

Und ob man satt ist, oder nüchtern. Mancher

kam um, weil er ins Bad gestiegen ist

zur unrichtigen Stunde.

ELEKTRA.

Denkst du da

an meinen Vater?

KLYTÄMNESTRA.

Darum bin ich so

behängt mit Steinen. Denn es wohnt in jedem

ganz sicher eine Kraft. Man muß nur wissen,

wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,

du könntest etwas sagen, das mir nützt.

ELEKTRA.

Ich, Mutter, ich?

KLYTÄMNESTRA.

Ja, du! denn du bist klug.

In deinem Kopf ist alles stark. Du redest

von alten Dingen so, wie wenn sie gestern

geschehen wären. Aber ich bin morsch.

Ich denke, aber alles türmt sich mir

eins übers andre. Und ich tu den Mund auf,

da schreit Ägisth, und was er schreit, das ist mir

verhaßt, aufbäumen will ich mich und stärker

als seine Worte sein – und finde nichts,

Ich finde nichts! ich weiß auf einmal nicht,

ob er das heut gesagt hat, was vor Wut

mich zittern macht, ob heute oder einmal

vor langer Zeit; dann schwindelts mich, ich weiß

auf einmal nicht mehr, wer ich bin, und das ist

das Grauen, das heißt mit lebendigem Leib

ins Chaos sinken, und Ägisth! Ägisth

verhöhnt mich, und ich finde nichts, ich finde

die fürchterlichen Dinge nicht, vor denen

er schweigen müßte und bleich wie ich selber

ins Feuer starren. Aber du hast Worte.

Du könntest vieles sagen, was mir nützt.

Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn

ein Hauch! und doch kriecht zwischen Nacht und Tag,

wenn ich mit offnen Augen lieg, ein Etwas

hin über mich, es ist kein Wort, es ist

kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht,

es läßt mich liegen, wie ich bin, und da

an meiner Seite liegt Ägisth und dort,

dort ist der Vorhang: alles sieht mich an,

als wärs von Ewigkeit zu Ewigkeit:

nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch,

es ist so fürchterlich, daß meine Seele

sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied

an mir lechzt nach dem Tod, und dabei leb ich

und bin nicht einmal krank: du siehst mich doch:

seh ich wie eine Kranke? Kann man denn

vergehen, lebend, wie ein faules Aas?

kann man zerfallen, wenn man gar nicht krank ist?

zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,

zerfressen von den Motten? Und dann schlaf ich

und träume, träume! daß mir in den Knochen

das Mark sich löst, und taumle wieder auf,

und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr

ist abgelaufen, und was unterm Vorhang

hereingrinst, ist noch nicht der fahle Morgen,

nein, immer noch die Fackel vor der Tür,

die gräßlich zuckt wie ein Lebendiges

und meinen Schlaf belauert.

Ich weiß nicht, wer die sind, die mir das antun,

und ob sie droben oder drunten wo

zu Hause sind – wenn ich dich stehen sehe,

wie jetzt, so mein ich, du mußt mit im Spiel sein.

Allein wer bist denn du? Du weißt nicht einmal

ein Wort zu reden, wenn man auf dich hört.

Wem könnt es so viel nützen oder schaden,

ob du lebst oder nicht? Warum siehst du

so starr auf mich? Ich will nicht, daß du mich

so ansiehst. Aber diese Träume müssen

ein Ende haben. Wer sie immer schickt:

ein jeder Dämon läßt von uns, sobald

das rechte Blut geflossen ist.

ELEKTRA.

Ein jeder!

KLYTÄMNESTRA.

Und müßt ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,

zur Ader lassen und im Dampf des Bluts

aufstehn und schlafen gehen wie die Völker

der letzten Thule in blutrotem Nebel:

ich will nicht länger träumen.

ELEKTRA.

Wenn das rechte

Blutopfer unterm Beile fällt, dann träumst du

nicht länger.

KLYTÄMNESTRA näher zu ihr tretend.

Also wüßtest du, mit welchem

geweihten Tier –

ELEKTRA.

Mit einem ungeweihten!

KLYTÄMNESTRA.

Das drin gebunden liegt?

ELEKTRA.

Nein! es läuft frei.

KLYTÄMNESTRA begierig.

Und was für Bräuche?

ELEKTRA.

Wunderbare Bräuche,

und sehr genau zu üben.

KLYTÄMNESTRA.

Rede doch!

ELEKTRA.

Kannst du mich nicht erraten?

KLYTÄMNESTRA.

Nein, darum frag ich.

Den Namen sag des Opfertiers.

ELEKTRA.

Ein Weib.

KLYTÄMNESTRA gierig.

Von meinen Dienerinnen eine, sag!

ein Kind? ein jungfräuliches Weib? ein Weib,

das schon erkannt vom Manne?

ELEKTRA.

Ja! erkannt!

das ists!

KLYTÄMNESTRA.

Und wie das Opfer? welche Stunde?

und wo?

ELEKTRA.

An jedem Ort, zu jeder Stunde

des Tages und der Nacht.