Ich bin ein Sohn deines Volkes und wie das Vaterland im Elend. Ich komme aus der Ferne und will bei euch wohnen, will eine Hütte im Walde bauen für mein Kind hilf mir, daß es so geschehe, ich will es auch den Leuten deines Dorfes lohnen.«

Staunend über solche Rede hub der junge Pfarrherr die Hände; diese Sprache hatte er nicht erwarten können. Sie trug den Fremden so hoch hinaus über die armen Menschen, unter welchen der Prediger bis jetzt seine Tage verbringen mußte, daß Ehrn Friedemann fast die Antwort vergaß und sich erst besann, als ihn der Fremde recht ungeduldig ansah. Nun redete auch er in lateinischer Zunge zu dem Fremden und meinte, hocherfreulich müsse ihm die Ankunft und Absicht eines solchen Mannes sein; doch verwunderlich erscheine letztere ihm auch. Der Winter sei vor der Tür; und hart, rauh und langdauernd sei er in diesem Gebirge, und es sei doch wohl nicht gut und barmherzig, ein zart klein Kind allen Gefahren und Beschwerden der Wildnis auszusetzen. Das Dorf sei arm, sprach der Pfarrherr, und habe arg und viel gelitten von der langen, schrecklichen Kriegesnot, doch biete es zuletzt immer noch einen bessern Schutz und Zufluchtsort als der wilde Forst; es stehe mehr denn eine Hütte leer, deren solle der Herr die Wahl haben, und er – Friedemann Leutenbacher – wolle in allem helfen und zu Rat und Handen sein, wo und wie er könne.

Auf diese Rede schüttelte der Fremde nur den Kopf und antwortete, er sei dankbar, doch sein Entschluß stehe fest: sein Sinn sei nicht angetan unter den Menschen zu wohnen, sein Kind aber müsse bei ihm hausen im Wald und könne es auch.

Ganz verdutzt hatten die Bauern von Wallrode während dieses Zwiegesprächs dagestanden. Ihre Blicke wanderten zwischen ihrem Pfarrherrn und dem Fremden hin und her, sie kratzten sich hinter den Ohren und stießen einander in die Seiten und schlossen ihren Kreis immer enger. Jetzt aber setzte ihnen Ehrn Friedemann Leutenbacher auseinander, was der fremde Mann wünsche und verlange, und nun erhob sich ein Gemurmel in der Gemeinde, welches allmählich zum lauten Geschrei wurde.

Die einen sagten, man müsse dem ausländischen Herrn helfen, da er Geld biete und wenig verlange; die andern vermeinten, dem Ding sei nicht zu trauen, und das Wesen gefalle ihnen gar nicht. Letztere hatten den Kopf voll von allerlei unheimlichen Bedenken und meinten, sie traueten niemandem mehr, nicht dem Nachbar, nicht dem Verwandten, ja kaum noch dem Herrgott. Sie fluchten, wenn sie an die erduldeten Leiden und das gegenwärtige Elend dachten, und sie waren leider so im Recht, daß sie niemand darum strafen konnte.

Man könne nicht wissen, sagten sie, welchem neuen Unheil dieser fremde Mensch mit seiner seltsamlichen Begleitung vorangehe. Die Welt sei nun einmal wie ausgewechselt und so falsch, schlecht und blutig, daß ein jeglicher sich hüten solle und daß keiner mehr auf sich lade, als er müsse.

Sie redeten noch mancherlei und erhitzten sich immer mehr, bis sie wieder vor den begütigenden Worten des Pfarrherrn still wurden. Das Ende vom Widerstreit aber war, daß man den Fremden aufforderte, seinen Namen, Stand und früheren Wohnort anzugeben und darzutun, in welcher Weise er imstande sei, den guten Willen und die Hülfleistung des Dorfes Wallrode im Elend zu erkaufen.

Da sprach der Mann, er wolle sich nennen der Magister Konradus, mehr aber sei nicht zu wissen nötig, und werde er auch nichts weiter sagen. Was aber den zweiten Punkt anbelange, so solle man angeben, was man fordere für das, was er wünsche, nämlich eine Hütte und Frieden.

Als er bei diesen Worten in die Ledertasche an seiner Seite griff und vier Goldstücke hervorzog und sie in der hohlen Hand zeigte, da stießen die Bauern die Köpfe zusammen und berieten von neuem. Die Vorsichtigen, die Furchtsamen und die Schreier wurden überstimmt; es wurde beschlossen, dem Magister Konradus die erbetene Hülfe zu leisten und ihn an der hohen Tanne in Frieden wohnen zu lassen, solange er selber Frieden halte.

Besiegelt wurde der Pakt durch einen Handschlag zwischen dem Pfarrherrn Friedemann Leutenbacher und dem Fremden, die Hütte wurde erbaut aus altem Gebälk und Brettern, aus Rasen und Steinen – ein wüstes Ding, selbst solang es noch neu war. Der Magister Konradus aber wohnte in der Hütte an der hohen Tanne mit seinem Kind, und die vier gewaltigen Hunde hielten Wacht davor. Das schwarze Roß stand unter einem Wetterdach. – –

Zwölf lange, unruhevolle, mühselige, martervolle Jahre war's her, und es ist schon gesagt, wie die Welt, das Dorf Wallrode im Elend und der Pfarrer zu Wallrode, Ehrn Friedemann Leutenbacher, während dieser Zeit gelitten hatten. Aber über die verborgene Stelle im wilden Walde, über die Hütte an der hohen Tanne, in welcher der Magister Konradus mit seinem Kinde lebte, hatte das Geschick schützend seine Hand gehalten. Wie oft auch die Kriegsfurie diesen abgelegenen Erdenwinkel mit ihren Schrecken erreicht hatte; die Hütte an der hohen Tanne war stehengeblieben, und ihre einzigen Feinde waren die Jahre und die Witterung gewesen; die Leute aus dem Dorfe hatten es nicht gewagt, sie niederzulegen, obgleich sie oft genug den besten und bösesten Willen dazu hatten.

Nun dachte der Pfarrherr zu Wallrode im Elend, Herr Friedemann Leutenbacher, an diesem Vierundzwanzigsten des Dezembers sechzehnhundertachtundvierzig in Wonne und Schmerz daran, wie viele Fäden zwischen seiner Hütte und der Hütte an der hohen Tanne hin- und widerliefen und wie sein Leben ein anderes geworden seit den Herbsttagen nach der blutigen Wittstocker Schlacht.

Er hatte in einer Wüste, einer Wildnis gelebt und nicht geahnet, daß es Blumen gebe in der Welt und daß der Boden dazu geschaffen sei, sie zu tränken und zu speisen und ihre Pracht und Schönheit als seinen Schmuck zu tragen. Nun hatte eine Wunderhand aus fremdem Lande in die Wildnis und Wüste ein grün Zweiglein getragen und es in die schwarze, traurige Erde gesteckt, und Ehrn Friedemann hatte in Verwunderung gestanden und zugesehen und die Bedeutung nicht gewußt. Aber ein jeglicher Tag, der kam, brachte dem Zweiglein sein Tröpfchen Segen, und jeglicher Tag, der kam, tat das Seine, das Wunder in der Wüste zur Vollendung zu bringen. Kein Wintersturm hatte dem schwanken, zarten Reis etwas an; keine Windsbraut, die den Forst mit Gewalt durchfuhr und die höchsten Tannen und Eichen brach, durfte diesem Reislein ein Leid antun; es wuchs in der Verborgenheit und wußte nicht, wie die Welt vor dem Walde, aussah.

Durch die Wipfel der hohen Bäume sah die linde Sonne, die auch nichts von dem großen Kriege um den Glauben und dem Niederfall des Reiches wußte, lächelnd hernieder; und als es wieder einmal Frühling geworden, da war der Zauber vollendet, über Nacht war das Zweiglein zu einem Rosenstock worden und stand um und um mit verschlossenen Knospen, die des Sommers harrten. –

Der Magister Konrad hatte sich in seiner Hütte seltsam eingerichtet. Der Karren, welcher seine Habseligkeiten in den Wald trug, schien ebenfalls ein Wunderkarren zu sein. Es befanden sich darauf mehr Dinge, als man auf den ersten Blick glauben konnte: Hausgerät, bunte Teppiche, Bücher und Instrumente von wunderlicher Form, Tiegel und Gläser, die nicht zum Hausgebrauch dienen konnten – alles wohl verpackt. Als nun die Bauern von Wallrode ihre Arbeit und Hülfleistung an der hohen Tanne vollendet hatten, als die Hütte stand, zog der Fremde ein und richtete sein Wesen darin zurecht; vergeblich suchte er aber dabei die neugierigen Augen des Dorfes auszuschließen. Was er in dieser Hinsicht tun konnte, tat er freilich, und seine vier Rüden halfen ihm natürlich wacker dabei; aber selbst das wenige, was über seinen Haushalt unter die Leute kam, genügte, ihnen die Köpfe mit den merkwürdigsten Phantasien zu füllen. Die Übertreibung gesellte sich dazu, und die, so nichts gesehen hatten und alles nur vom Hörensagen kannten, nicht weniger als die, denen durch Zufall oder Gunst ein Einblick gestattet worden war, trugen dunkle, bedenkliche Gerüchte um, welche von Tag zu Tage, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahre sich ungeheuerlicher färbten und sich widriger festhingen um die dunkeln Herde von Wallrode im Elend. Da war bald niemand, alt oder jung – der Pfarrherr ausgenommen – im Dorfe, der nicht bereuete, einst seine Hand zum Aufbau der Hütte geliehen zu haben; da war bald niemand, welcher nicht mit Freuden seine Hand geboten hätte, sie wieder niederzuwerfen.

Die Stelle bei der hohen Tanne wurde verrufen, und was das heißen wollte um die Zeit, als der Dreißigjährige Krieg seinem Ende zuging, das mag sich jeder deuten, der weiß, was das böse Wort heute noch im Munde und Herzen des Volkes wiegt. Ach, es konnte ja niemand zu Wallrode im Elend, außer dem Pfarrherrn Friedemann Leutenbacher, wissen, daß es so viele tausend gute Gründe gab, die den Menschen mit dem, was ihm noch aus einer bessern Zeit, von einem bessern Selbst blieb, in die Einsamkeit trieben! – Nur um Ungeheuerliches, Furchtbares, Tag und Lichtscheues zu brüten und zu schaffen, konnte sich der Fremde auf solche absonderliche Weise an solchem unheimlichen Orte verborgen haben – das war die Meinung des Dorfes.

Zuletzt fanden der Magister Konradus und sein liebliches Kind, nachdem die Rüden bis auf den tapfern Marschalk, der auch nicht mehr sah und nicht mehr stark war, abgestorben waren, in dem Grauen, welches sich um ihr Leben in der Verborgenheit, um die Hütte an der hohen Tanne geisterhaft legte, den einzigen Schutz.