Zwar die Arbeit des Mähens und Wendens überließen die Polen willig den Deutschen, wenn aber das Heu eingeholt werden sollte, wurden sie raublustig. Dann suchten beide Parteien einander zuvorzukommen. Die Pitschner fuhren mit ihren Gespannen und mit tapfern Bürgerschützen vor Sonnenaufgang zur Grenze und stellten Posten aus, warfen das Heu auf die Wagen und schafften diese so schnell als möglich heim. Trafen nun beide Parteien zusammen, so erhob sich wildes Geschrei und Balgerei und es wurden Gewehre abgefeuert, bis der schwächere Haufen wich. Zuweilen aber waren die Polen eher zur Stelle, dann wurden die Wächter, welche Pitschen ausgesetzt hatte, gefangen, gemißhandelt, fortgeschleppt, das Heu genommen und die Brücke, welche vom Stadtwalde über den Graben zu den Wiesen führte, zerstört.
Seit dem Jahre 1822 wurde die Erbitterung beider Teile der Regierung bedenklich, denn auch die Polen erhoben helle Klage, der Bürgermeister von Pitschen sollte eigenhändig in der Prosna einen polnischen Ochsen erschossen und seine Bewaffneten sollten eine polnische Frau getötet haben. Dagegen verteidigten sich die Pitschner wie die Löwen und klagten: erst mausen sie das Heu und dann lügen sie unmenschlich, und sie behaupteten, der Ochse habe räuberisch auf ihren Wiesen geweidet und die Frau sei als Heudiebin bei Nacht vor ihnen geflohen und in der Prosna ertrunken. Die Polen rächten sich dadurch, daß sie einen unschuldigen Bürger, der in Geschäften durch das Dorf Woiczin kam, erbärmlich zerschlugen und zu dem Geistlichen, ihrem Anführer schleppten, dort wurde er wieder gemißhandelt und mit Vergeltung und Tod bedroht. Die Behörden der Grenzkreise auf beiden Seiten vertraten das Recht ihrer Landsleute, die preußische Regierung aber schickte Kommissare, welche untersuchten und berichteten.
Man war jedoch damals in Berlin ängstlich bemüht, der Nachbarregierung nicht lästig zu sein. Die Gendarmen versagten den Pitschnern ihre Beihilfe, und man erzählte sich, der kommandierende General Zieten, welcher die Geschäfte des Oberpräsidenten versah, habe ihnen überhaupt verboten, sich in diesen Streit mit Rußland einzumischen. Nach vielen Protokollen und Gutachten wurde endlich, um des lieben Friedens willen, von Berlin aus entschieden, daß die Pitschner den Polen alljährlich den Wert des halben Heuertrages herauszahlen sollten. Da diese Entscheidung in jedem Fall ungerecht war, erhob sich unter den gekränkten Bürgern laute Wehklage. Doch mußten sie gehorchen. Nur wurde auch jetzt nicht Friede. Neue Klagen über polnische Übergriffe kamen an die preußischen Behörden, diese schrieben wieder nach Wielun und Warschau, die späte Antwort war regelmäßig: an den Polen sei keinerlei Schuld zu finden. Und so zog sich eine öde Schreiberarbeit aus einem Jahr in das andere, während die polnischen Beschwerden über die ungenügende Zahlung und die Kämpfe um das Heu fortgingen. Einmal brach während der Heuernte in Pitschen ein großes Feuer aus, die Besitzer der brennenden Häuser standen zum Teil auf Wache an der Prosna. Sie rannten heimwärts um zu löschen, auch von den benachbarten Dörfern kamen die Spritzen hilfreich herzu. Aber auch die Polen sahen den Feuerschein über der Stadt und rückten in Masse aus, um die Verwirrung der Gegner zu benutzen und sich des Heues zu bemächtigen. Und von den Wiesen kam der Alarmruf nach der Stadt: »Die Polen brechen über die Grenze.« Da riefen die Bürger vor ihren brennenden Häusern: »Fort zu den Wiesen«, sie baten die hilfreichen Nachbarn, allein das Feuer zu löschen, ergriffen ihre Waffen, verjagten die Diebe und retteten ihr Heu.
Die Pitschner hatten für die gesetzliche Seite ihres Widerstandes einen guten Berater in ihrem Stadtrichter Konrad. Er war ein tapferer, feuriger Mann, natürlich auch Hallenser, und der nächste Freund des Vaters, an dem er mit großer Wärme hing. So oft ihn irgend etwas beschäftigte und aufregte, kam er die zwei Meilen nach Kreuzburg herübergefahren. Als das Ministerium des Innern einmal von ihm verlangt hatte, er solle wegen der Teilung des Wiesenertrags zwischen Pitschen und den Polen mit den Bürgern verhandeln, verweigerte er dies mannhaft, denn die Forderung der Polen sei gegen alles Recht der alten Urkunden und gegen die Hypothekenrechte, die auf den Wiesen seit längerer Zeit ruhten, und diese Weigerung hatte für den Augenblick den Erfolg, daß das Ministerium eine bereits erlassene Verfügung zurücknahm.
Da der Freund noch im guten Mannesalter starb, verlor der Vater viel von dem, was ihm Frische und Frohsinn erhalten hatte; er trug das Leid in seiner Weise still, erst in späterer Zeit merkte der Sohn, wie groß der Verlust gewesen war.
Ost, wenn ich als Knabe dem Männergespräch zuhörte, wehte etwas von dem Wiesengras der Prosna, von dem Ärger über den Hohn der Woicziner, von Trauer über die preußische Lammesgeduld und die endlose Schreiberei der Beamten in meine Seele, dort bewahrte ich es still.
Aber noch von anderer Seite wurde unser Haushalt an den Streit der Nachbarschaft erinnert. Man hatte endlich zu Berlin ein Einsehen, – Merkel war wieder Oberpräsident, auch er ein Studienfreund von Halle – es wurde mit der polnischen Regierung verhandelt und von jeder Seite ein Kommissar erwählt, um die Ansprüche der Streitenden zu prüfen und neue Grenzpfähle zu stecken. Deshalb kam zu uns als Besuch ein hagerer Mann mit faltigem Gesicht, der russische Staatsrat Falz, wieder ein Universitätsfreund. Er war als junger Beamter von Südpreußen in das russische Polen verschlagen worden, dort zu Rang und Ehren gelangt und jetzt von Warschau abgeschickt. Auch der preußische Kommissar ließ sich sehen, dies war der vielgenannte Regierungsrat Neigebauer, der seinen Namen gern französisch aussprach, ein geckenhafter Geselle, der später als diplomatischer Agent in den Donaufürstentümern und als Schriftsteller geringen Ruhm gewonnen hat. Die Herren arbeiteten lange, sie hatten in Pitschen ein Standquartier und bereisten von dort die Grenze; der Winter kam heran, bevor für die Pitschner die Frage entschieden wurde. Die Nachbarn mußten wohl in ihrer gerechten Sache guten Erfolg gehabt haben, denn sie wurden vergnügt und veranstalteten eine große Schlittenfahrt nach der Grenze, wobei sie in dem berechtigten Streben etwas Ungewöhnliches zu leisten, den großen Federbusch des Schützenhauptmanns dem Pferde eines Prachtschlittens aufsteckten, in welchem weiß gekleidete Jungfrauen saßen. Die Jungfrauen aber zogen an Ort und Stelle feierlich die Schleife mit den Pfählen längs der Grenze eine Strecke entlang. Darauf wurde zu Ehren der Kommissare im Gasthof des Ortes ein großer Ball veranstaltet, und als die beiden Herren am späten Abend durchfroren in ihr Quartier zurückkehrten, vermochten sie wegen der Tanzmusik und Fröhlichkeit nicht einzuschlafen und erfuhren auf ihre Beschwerden, daß dies ja ein Ball sei, der ihnen zu Ehren gegeben würde.
Zuletzt darf nicht verschwiegen werden, daß diese feierliche Regelung der Grenze die polnischen Übergriffe keineswegs bändigte.
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