Im Jahre 1760 wurde er als Diakonus nach Konstadt berufen, dort wurde er später Pastor und Senior der Diözese.

Aber auch von Konstadt aus besorgte er noch immer die Wirtschaft des Vaters, nach dem Tode desselben für den jüngsten kleinen Bruder, bis dieser mündig geworden war.

Von den drei Städten war Konstadt damals wohl die kleinste, sie war keineswegs zu allen Zeiten die harmloseste gewesen. Ihrem Gedeihen mag schon im Mittelalter geschadet haben, daß sie wiederholt in den Besitz kleiner Grundherren kam. Im fünfzehnten Jahrhundert setzte sich ein Bandenführer der Hussiten dort so fest, daß die schwachen Landesherren ihm die Stadt abkaufen mußten, und fünfundzwanzig Jahre später wurde der Ort ein Nest verwegener Raubgesellen, welche im Stegreif die ganze Landschaft unsicher machten, bis endlich die Breslauer im Bunde mit dem Landesherrn mitten im Winter einen Kriegszug gegen Konstadt unternahmen und die Räuberburg brachen, welche für eine der festesten in ganz Schlesien galt. Wahrscheinlich war es der Grund der zerstörten Raubfeste, auf welchem die Kirche und die Pfarrwohnung erbaut wurden. Zur Zeit des Großvaters war freilich in dem kleinen Ort jede Erinnerung an die alte wilde Zeit verschwunden, die Fuhrleute, welche dort rasteten, klagten über das schlechte Pflaster, und anspruchsvolle Reisende wollten die Sauberkeit der Gassen und Häuser nicht loben. Aber die Bürger lebten doch in einem mäßigen Wohlstand, denn ihre Stadt war ein Markt für viele deutsche Dörfer und die zahlreichen Gutsherren der Umgegend hielten dort im Winter gern ihre geselligen Zusammenkünfte.

Von der Gemeinde wurde der Nachbarsohn freundlich aufgenommen und er vergaß dies seinen Konstädtern niemals. Er wurde ein wirksamer Prediger, der es mit seinem Kanzelamte ernst nahm. Was er selbst darüber aufgezeichnet hat, ist so charakteristisch, daß man dem Enkel gestatten möge, seine eigenen Worte mitzuteilen: »Mir ging es mit meinem Predigen so, wie die Verfassung meiner Seele war. Ließ mich Gottes Gnade in meinem Bibellesen und in meinem Betragen leiten, so konnte ich kaum den Sonntag erwarten, sondern glühte vor Begierde, zu meiner Gemeinde zu reden. Eine solche Predigt rührte während dem Hersagen derselben so meine ganze Seele, als ob alles neue Worte wären, die ich gesprochen, und ich habe mich manchmal noch einige Tage, nachdem sie gehalten war, daran erbaut. War ich aber nicht wachsam auf mich, so daß eine Leidenschaft ihre Fesseln mir anlegte, oder war ich träge im Lesen der heiligen Schrift, so stand ich tausendfache Angst in meiner Seele aus. In meiner Predigt redete nicht mein Herz, sondern nur meine Theorie aus mir, und ich schämte mich, wenn ich von der Kanzel war, vor mir selber, klagte es mit Tränen Gott, daß ich vor einigen Tagen zu einer Leidenschaft geneigt habe, gab Gott recht, daß er mich verlassen. Aber was können die Schafe dafür, wimmerte ich hinterdrein.«

Er war ein rechtgläubiger Verehrer des älteren Hollaz, dessen Gemütswärme und innige Religiösität seinem Wesen vorzüglich entsprachen. Während er seiner Gemeinde die angeborene Sündhaftigkeit der Menschheit und die Gnade der Erlösung ins Gemüt führte, war er auch unablässig bemüht, die unendliche Liebe Gottes und das gütige Walten der Vorsehung eindringlich zu machen. Wie liebevoll hatte doch der Himmel ihn selbst geschützt, schon als kleinen Knaben, wo er einmal in einem Hälter des Gartens eingebrochen und völlig unter das Eis gekommen war und nur durch eine plötzliche Angst des Vaters gerettet wurde, die diesen veranlaßte nach dem Kinde zu sehen; dann später, als ein schweres Scheunentor auf ihn gefallen war ohne ihn zu zerdrücken, und dann wieder unter dem Schwibbogen, und auf der Weichsel, unter aller feindlicher Einquartierung und so immer, immer fort in großen und kleinen Gefahren. In der Stille rang auch er zuweilen gegen die Zweifel, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Gottesgelehrter nicht ganz von sich abzuhalten vermochte. Aber im ganzen stand er fest in der alten Rechtgläubigkeit.

Er war ein kräftiger Mann, der eine angeborene Heftigkeit zu behüten hatte, geliebt von seiner Gemeinde und angesehen in der Umgegend. Daß er nach damaligen Verhältnissen wohlhabend war, erleichterte ihm den gastfreien Verkehr und half dazu, daß er auch unter den Anspruchsvollen vom Landadel und Militär sich fest und in gutem Einvernehmen behauptete. Dies Verhältnis zu vornehmer Nachbarschaft, welches in gelegentlichem Patenstehen und umständlichen Einladungen zur Kirmse Ausdruck fand, hinderte ihn nicht, mit einem gewissen Selbstgefühl die Kreise zu betrachten, welche sich im Bewußtsein höherer Geltung damals mehr als jetzt abschlossen. Er wies seinen Söhnen zuweilen mit guter Laune den Bettelbrief eines Herrn vom höchsten Adel, der ihn in sorgfältig geschnörkeltem Schreiben um ein Darlehen von einigen Dukaten ersucht hatte, und er gab dabei den Söhnen die gute Lehre, solchen, die sich für vornehmer halten, lieber zu geben, als von ihnen zu nehmen. Der Großvater war es auch, der aus den Kirchenbüchern der Nachbarschaft und aus Einzeichnungen in Familienbibeln die Stammtafel der Vorfahren zusammenstellte und mit Bescheinigung der Richtigkeit auf seine Nachkommen brachte. Als er 1799 noch in voller Kraft starb, hinterließ er fünf Töchter und zwei Söhne; die Töchter gingen durch Heirat in preußische Beamtenfamilien über, der älteste Sohn war mein Vater.

Mein Vater, Gottlob Ferdinand (geb. 1774) erhielt schon reichlicher und bequemer seinen Anteil an der Bildung der Zeit. Er verlor die liebe Mutter, als er acht Jahr alt war, und wuchs unter älteren Schwestern heran, bis er vom Großvater auf das Gymnasium nach Oels gebracht wurde; im Jahre 1793 ging er, um Mediziner zu werden, nach Halle, der großen Universität jener Jahre, welcher fast alle studierenden Schlesier zuzogen.

Das wohlgeordnete, ernste Wesen, welches er auf die Universität mitbrachte, Redlichkeit und treue Wärme für seine näheren Freunde, machten ihn dort während eines Aufenthaltes von fast vier Jahren zu einem wohlbekannten Mann, zum Vertrauten und Ratgeber vieler Jüngeren. Das erfuhr sein Sohn später aus rühmenden Schilderungen alter Kommilitonen. Unter den Studenten bestanden damals außer zwei verbotenen Orden als erlaubt die großen landsmannschaftlichen Verbindungen, von denen die der Schlesier die meisten Mitglieder zähte. Der Vater hielt zu seinen Landsleuten, aber bei seiner Abneigung gegen jede Art von Dienstbarkeit, die er aus dem Vaterhause mitgebracht hatte, weigerte er sich fest, ein Mitglied der Verbindung zu werden, obgleich ihm wegen seiner Länge und wegen des guten Wechsels, mit welchem er ausgestattet war, wiederholt Anträge gemacht wurden. In demselben Unabhängigkeitssinn hat er auch später vermieden, Freimaurer zu werden, in einer Zeit, wo der Orden größere Bedeutung für die Mitglieder hatte, als wohl jetzt. Sein Aufenthalt in Halle fiel in das für Deutschland glücklichste Jahrzehnt des scheidenden Säkulums. Diese Jahre, in welchen die Bundesgenossenschaft von Goethe und Schiller über unsere Literatur so hellen Glanz ausstrahlte, waren auch für viele andere Richtungen der deutschen Volkskraft eine Zeit jugendfrischer Erhebung, welcher leider die Bürgschaft der Dauer fehlte.