Zwar die Verständigung gelang leidlich, da der Vater geläufig polnisch sprach, aber die Anmaßung und Raubsucht der niederen Offiziere war im Anfange gar nicht zu bändigen; bis die Erfahrung Hilfsmittel darbot. Die Flasche mit Wotka und der Tabakkasten standen immer auf dem Tisch des Vaters, ein schwerer Kavalleriesäbel lehnte an seinem Stuhl und ein großer Kantschu hing an seinem Arbeitstisch. Diese Waffe hatte ihm ein höherer russischer Offizier, ein Deutscher, geschenkt, damit er sie im Notfall gegen die Bundesgenossen gebrauche. Der Gast hatte in einer Ecke zugesehen, wie ein junger russischer Offizier tobend ohne Gruß in die Stube getreten war, um ungerechte Forderungen brutal geltend zu machen, da war er zornig aufgesprungen, hatte den Frechen mit seinem Kantschu gehauen und hinausgeschleudert und darauf dem Bürgermeister wohlwollend den Rat gegeben, dergleichen Käuze in dieser Weise zu bändigen. Der Vater wies in späteren Jahren das geflochtene Leder den Kindern und freute sich über den guten Erfolg, den er zuweilen damit gehabt hatte. – Doch die Anstrengungen, welche ihm selbst zugemutet wurden, waren für den Mann in der Vollkraft der Jahre unwesentlich gegenüber den Leiden seiner Stadt. Seit sechs Jahren war alles kleiner und dürftiger geworden: der Staat, der Wohlstand der Bürger und Landbewohner, das Selbstvertrauen und die Unternehmungslust. Jetzt waren die Gesunden und Kräftigen im Heer oder in der Landwehr ausgezogen, die Angehörigen der Mehrzahl darbten und jammerten. Und ohne Ende kamen neue Zumutungen an die Zurückgebliebenen, die das Letzte nahmen, was noch vorhanden war. Kein Ackerbürger der Vorstadt konnte mit Sicherheit am Morgen darauf rechnen, daß er mit seinem letzten Pferde die Tagesarbeit auf seinem Acker vollenden würde. Knecht, Pferd und Wagen wurden in der nächsten Stunde zum Vorspann genommen, und es war sehr zweifelhaft, ob er sie je wiedersah. Die Fleischer, Bäcker, Tuchmacher, Gerber und Schuster sollten dem Staat liefern und wieder liefern, und niemand wußte, woher die Bezahlung kommen sollte. Täglich kamen die Leute zum Vater und klagten, auch Männer rangen die Hände und weinten im Jammer um ihr Geschick. Ost war es nur eiserner Strenge möglich, das Unvermeidliche durchzusetzen. In den Sommermonaten von 1813, während der Kampf auf den Schlachtfeldern unentschieden hin und her wogte, schwand die Begeisterung, welche im Frühjahr die Herzen erhoben hatte; die furchtbare Empfindung, daß man das Letzte von Kraft und Habe darangesetzt habe und ohne Erfolg, nahm in den Seelen überhand. Die Menschen wurden nicht aufsätzig, aber sie gingen wortkarg, in schlechten Kleidern, mit bleichen Gesichtern einher und sahen scheu aus der Ferne nach den Boten des Rats. Da flog die Kunde von der Schlacht bei Leipzig durch das Land, die Freude und der Stolz, den dieser Sieg in die Seelen brachte, war für die armen Grenzkreise eine Rettung aus Verzweiflung, in Wahrheit der Beginn eines neuen Lebens. Seitdem ging in Kreuzburg alles leichter, die Menschen hofften wieder. Noch mußte ihnen länger als ein Jahr viel Hartes zugemutet werden, aber es wurde verhältnismäßig gern ertragen, und wenn der Vater über die Straße ging, liefen die Leute, die ihn sonst schweigend, mit stillem Vorwurf im Blicke gegrüßt hatten, freudig zu ihm heran, frugen nach Neuigkeiten und äußerten ihr gutes Vertrauen. Die gemeinsam erlebte Not und Erhebung wurde von da ab ein festes Band zwischen dem Bürgermeister und der Bürgerschaft, beide Teile hatten einander kennen gelernt. Denn auch der Vater hatte in dieser Zeit eine Kenntnis der Charaktere und der Gemütsart jedes Einzelnen erhalten, die sonst am Ratstisch nicht so leicht gewonnen wird.

Der Friedenstörer Napoleon war gebändigt. Die Kreuzburger wagten wieder für ihr eigenes friedliches Gedeihen zu arbeiten, auch ihr Bürgermeister richtete sich seinen Hausstand neu ein, er heiratete. In dem Hause des Pastor Neugebaur lernte er die Schwester der Frau Pastorin kennen, meine Mutter Henriette Albertine Zebe, deren Vater Prediger in Wüstebriefe bei Ohlau war.

Ihr war die erste Jugend in der Tätigkeit für andere vergangen, zuerst auf einsamem Pfarrhofe im großen, kinderreichen Haushalt ihres Vaters, der in zweiter Ehe verheiratet war, dann im Hause der Verwandten zu Kreuzburg. Kurz nach der Schlacht bei Waterloo war die Trauung der Eltern, im Jahre darauf, nachdem man das Friedensfest feierlich begangen hatte, wurde ich als ältester Sohn am 13. Juli 1816 geboren.

Der junge Haushalt blieb nicht immer in Kreuzburg. Die sechs Jahre des Bürgermeisteramtes waren um, der niedrige Gehalt war dem Vater bis dahin gleichgültig gewesen, jetzt mahnte eine neue Pflicht an die Zukunft zu denken. Er nahm deshalb die Wiederwahl nicht an, ließ sich die Physikatsgeschäfte des Kreises übertragen und zog als Arzt in die Nachbarstadt Pitschen, wo er liebe Freunde und die Mutter nahe Verwandte hatte. Und ihr kleiner Sohn wankte auf seinen Beinchen zuerst in Pitschen über das unebene Pflaster. Aber schon nach zwei Jahren wurde der Vater zurückgerufen. Die Kreuzburger boten ihm aufs neue den Posten ihres Bürgermeisters an, diesmal auf Lebenszeit und mit einem Gehalt, der für damalige Verhältnisse hoch war.